laut.de-Kritik
Boogie-Punk? Her damit!
Review von Alexander CordasWenn eine Band ihre ersten zwei Alben "Babysitters On Acid" und "Binge & Purge" nennt, sollte man nicht erwarten, dass die Musiker mit Happy Hippo-Sound aufwarten. So auch im Fall der Lunachicks, die sich in den Neunzigern anschickten, jedem aufmüpfigen Weichteil einen ordentlichen Tritt zu verpassen. Wie weiland L7, mussten auch Theo Kogan und ihre Mitstreiterinnen gegen die Widrigkeiten des schwanzgesteuerten Business' ankämpfen. Nie erhielten sie den Respekt und (kommerziellen) Erfolg, den sie eigentlich verdient gehabt hätten.
Vier Damen, die ihren punkig lärmenden männlichen Kollegen in vielerlei Hinsicht eine Nasenlänge voraus waren? Kann nicht sein. Doch, genau das war der Fall. Am besten illustriert dies der dritte Streich der New Yorker Truppe. Die rohe Ungestümheit der ersten beiden Scheiben machte auf "Jerk Of All Trades" einem aufgeräumteren Songwriting Platz, ohne die wunderbaren Ecken und Kanten der Band zu verleugnen.
Hierzu gehört ganz sicher der unnachahmliche Gesangsstil von Theo Kogan. Wie einst Nina Hagen, fährt die Gute eine Bandbreite an Ausdrucksformen auf, die im Hartwurst-Metier leider viel zu selten erklingt. Von der jaulenden Sirene bis zum kläffenden Köter hat Kogan alles drauf, um im Lärm der Lunachicks die leuchtende (Heul-)Boje zu markieren.
Zwei Videos wurden für die Promo des Albums produziert, für "Light As A Feather" und "Edgar". Ersteres thematisiert das Außenseitertum Heranwachsender mit astreinem Rock'n'Roll-Anstrich, Letzteres steht ganz in der Tradition der Ramones, lediglich der Text fällt etwas aus dem Rahmen. Der dreht sich um Kogans Katze und deren Verdauungsrückstände. Beides coole Nummern, aber bei weitem nicht die Crème de la Crème der 16 Stücke.
"Drop Dead", der mit einem Trommelwirbel beginnende Punk-Röhrer, definiert die Lunachicks hervorragend. Mit den feinfühligen Zeilen "Don't you fuck with us, we will follow you on to the bus, fart right in your face and watch out because should've worn tussy like your mama said, then maybe you wouldn't be dead, we can be worster! Drop dead! Drop!" wünschen sie einem unliebsamen Zeitgenossen den Tod an den Hals. Dabei besitzen sie die Chuzpe, nach zwei Minuten sogar eine Flamenco-Gitarre einzustreuen, nur, um direkt im Anschluss das Gaspedal wieder bis zum Boden durchzulatschen. Eine ebenso hübsche Absage an einen übereifrigen Verehrer lassen Kogan und Co. mit "F.D.S." vom Stapel. Boogie-Punk? Her damit. Live müsste der Song abgegangen sein wie das sprichwörtliche Zäpfchen.
Mit "Bitterness Barbie" legt die Band zudem eine Hymne vor, die den Hashtag #notheidisgirl musikalisch perfekt untermalt und den selbstbewussten Gestus der Lunachicks demonstrativ vor sich her trägt. Hier sind keine Heimchen vom Herd am Werk, da kann es schon passieren, dass man für ein falsches Wort die Rübe rasiert bekommt. Und auch das ist gut so.
Das musikhistorische Gedächtnis leidet leider manchmal unter Demenz. Anders ist es kaum zu erklären, weshalb die Brüllwürfel der Lunachicks keinen ihnen angemessenen Platz in den Annalen des Business' erhielten. Damit teilen sie das Schicksal der eingangs erwähnten Damen um Donita Sparks und so vieler anderer Frauen. L7 sind ja mittlerweile wieder aktiv, und auch bei den Lunachicks sollte man die Hoffnung nicht aufgeben, dass Calvin Klein Teilzeit-Model und Schauspielerin Kogan irgendwann wieder Lust auf gepflegten Krach verspürt. Nötig wäre es allemal. Weibliche musikalische Wut hat diese Welt derzeit nötiger als jemals zuvor.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit einer Antwort
Merk schon, selbst die Steine aus den 90igern, sind nicht mehr das was sie mal waren. Noch nie von gehört, also nicht relevant? Kennt die Truppe überhaupt jemand? Haben die damals Platten verkauft oder Brötchen? Ausser der Autor, da gehe ich mal von aus, das er im allgemeinen weiß was er schreibt.
"Anders ist es kaum zu erklären, weshalb die Brüllwürfel der Lunachicks keinen ihnen angemessenen Platz in den Annalen des Business' erhielten."
Na immerhin jetzt!!!
Am besten nicht hinterfragen, was die Laut.de-Redaktion als "Meilenstein" auslegt. Mal werden echte Klassiker rezensiert, mal längst vergessener Flohmarktplunder wie das Album hier.
Bin immer froh über „Geheimtipps“ bei den Meilensteinen.
Bleibt natürlich die Frage für wen oder was das jetzt einer war.
Eine Platte die keine Sau kennt ist kein Meilenstein
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.