laut.de-Kritik
Schaurig schöne Verschmelzung zweier musikalischer Welten.
Review von Toni HennigDer in Nordwales aufgewachsene Musiker Brian Williams alias Lustmord definierte mit seinen stockfinsteren, bedrohlichen Soundscapes mit Dark Ambient ein ganzes Genre und wirkte nach seinem Umzug in Los Angeles im Jahre 1993 an vielen Film-Soundtracks mit, darunter "The Crow", "Underworld" oder Paul Schraders "First Reformed". Die Sängerin und Pianistin Karin Park machte demgegenüber zunächst mit beschwingter Pop-Musik mit leicht melancholischer, skandinavischer Note auf sich aufmerksam, ließ aber im Laufe der Zeit immer mehr Gothic- und Avantgarde-Einflüsse in ihre Musik einfließen. Bei der Noise-Rock-Band Årabrot, der sie seit neun Jahren angehört, hat sie sich auf die ätherischen Momente spezialisiert.
Das Sakrale von Dead Can Dance oder den Cocteau Twins beschäftigt sie schon seit ihrer Jugend. Aber auch Lustmord ließ sie keineswegs unberührt. Sie sagt, er sei "der Gustave Doré der Musik". Wie der Straßburger Maler steht Williams' Sound für das Unheimliche und Schaurige. Auch auf "Alter" gönnt der 57-Jährige dem Hörer kaum eine Ruhepause. Wieder einmal führt er mit seiner Musik dorthin, wo kein Lichtstrahl durchkommt.
Das hat allerdings eine gewisse Monotonie und Langatmigkeit zur Folge, zumal Veränderungen im Sound eher die Ausnahme denn die Regel darstellen. Bis auf die verschleppten, trippigen Klänge in "Twin Flames" und "Sele" bietet Lustmord musikalisch nichts anderes als Dark Ambient-Dienstleistung. Für Überraschungsmomente sorgt ganz eindeutig Karin Park.
Die Skandinavierin fügt wie die verschiedenen Sänger und Sängerinnen auf dem 2013er-Album "The Word As Power" der Musik Williams' einen Hauch von Anmut hinzu, so dass zwei musikalische Welten zu einer schaurig schönen Einheit verschmelzen. Zudem setzt sie anstatt auf Lyrik auf ihre Intuition, wie man schon im Opener "Hiraeth" hört, wenn das Traurige in ihrer Stimme an Lisa Gerrard erinnert, während man sich zu den Soundscapes Lustmords in einer alten und verlassenen gotischen Kathedrale wähnt.
Im anschließenden "The Void Between" trifft ihr Organ auf mysteriöse Chorpassagen, was in Verbindung mit den repetitiven Klängen Williams' ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit hinterlässt. Fröhlicher gestaltet sich auch nicht "Perihelion", das ohne Vocals auskommt und in tiefste Schluchten und Täler führt. In "Twin Flames" fügen sich dagegen entschleunigte Töne und dramatischer Gesang zu einem Mantra von hypnotischer Schönheit, das keinen Zweifel daran lässt, dass sich trotz aller musikalischen Gegensätze zwei Seelenverwandte gefunden haben.
In "Entwined" hebt Park in entrückte, sakrale Sphären ab, umschlungen von Dunkelheit. Etwas Sakrales besitzt auch ihre Orgel im rein instrumentalen "Kindred", das zunächst an Anna von Hausswolff denken lässt, gegen Ende jedoch mit lauten Pianoschlägen dem "The Fog"-Soundtrack John Carpenters alle Ehre macht. Die Orgel nimmt ebenso in "Song Of Sol" sehr viel Raum ein, was in Kombination mit dem ebenso fragilen wie majestätischen Gesang der Skandinavierin sogar eine gewisse Hoffnung ausstrahlt. Die hält aber nicht lange an, bauen doch in "Sele" die orchestralen Klänge Williams' und ihre zum Teil geflüsterten Vocals kontinuierlich eine unerträgliche Spannung auf, die sich gegen Mitte in Form psychohorrorartiger Soundscapes entlädt.
Somit stellt "Alter" nichts für einen unbeschwerten Sonntagnachmittag zum Chillen auf der Hängematte dar, sondern etwas für dunkle, einsame und trostlose Stunden. Das Album berührt und lässt zugleich das Blut in den Adern gefrieren. Da sieht man sicherlich darüber hinweg, dass Lustmord mit seinem Sound wohl keinen Innovationspreis mehr gewinnt.
1 Kommentar
An der Stelle sei noch mal das Collab-Projekt mit den Melvins, "Pigs Of The Roman Empire", sehr lobend erwähnt.