laut.de-Kritik

Zwischen Jazzro Tull, André Rieu und Polit-Diskurs.

Review von

Jethro Tulls Flöten-Frontmann Ian Anderson macht mit seinem temperamentvollen Dampflok-Stakkato und ausgefeilten Trillerfiguren eine tolle Figur bei Leslie Mandokis Soulmates. Die Doppel-Platte mit teils wieder sehr langen Songs hat einen Oxymoron-Titel: "A Memory Of Our Future". Zu dieser "Erinnerung an unsere Zukunft" findet sich in den Texten und im übergeordneten Gefühl des Albums nichts wieder. Die Lyrics reihen in erster Linie Wortspiele, philosophische Gedanken und einzelne Bilder aneinander, aber so random, dass sie aus Monologen eines Dementen oder Deliranten stammen könnten.

Der Zweck des Projekts Mandoki Soulmates liegt aktuell auf der Erzeugung eines einzigartigen Wohlklangs an der Kreuzung von Jazzrock-Fusion, Prog, barocker Klassik, Softpop und Downtempo-Lounge-Soundtapete. Der Spagat glückt mal mehr, mal minder. Mehrere Versuche in "My Share Of Your Life" oder "I Am Because You Are", Paul McCartney-Lieblichkeit, irische Folk-Vibes und den artsy Jazz-Einfluss zusammen zu führen, irritieren. In den seifigsten und überbordendsten Abschnitten wirkt das dann ab und an wie eine André Rieu-Inszenierung.

Zwischen dem hohen Anspruch elaborierter Spieltechniken von Spitzen-Instrumentalisten und dem bescheidenen Anspruch anschmiegsamer Süßlichkeit sammeln sich viele große Namen. Der noch lebende der beiden legendären Brass-Stars namens Brecker Brothers, Randy Brecker, übernimmt die Trompete, auch der deutsche Vorzeige-Populärjazzer Till Brönner trötet. Hochkarätig besetzt Al di Meola die Melodiegitarre und biegt schon den Opener "Blood In The Water" mit seiner Handschrift Richtung Flamenco.

Manchen Momenten wie im hyperentspannten Cocktail-Jazzpop von "The Wanderer" merkt man an, dass sich ein Toto-Musiker einbringt, Simon Phillips, 1992 bis 2014 bei Toto, heute als Jazz-Solist am Schlagzeug aktiv, großer Name in Fachkreisen. Supertramp steuern gleich drei Musiker bei.

Während Blechbläser-Motive und Gitarren-Figuren die entscheidenden Akzente im neuen Song-Repertoire setzen, spielt der Zeremonienmeister im Hintergrund, Leslie Mandoki, eine bescheidene Rolle an seinem Drum-Set und am Udu-Krug, einem seiner Percussion-Bottiche. Den Strippenzieher bemerkt man kaum. Die Tasten-Virtuosen Tony Carey (Rainbow, "A Room With A View") und Richard Bona fallen am ehesten auf, wenn sie in "The Big Quit" Psychedelic-Prog-Läufe und hüpfende Jazz-Breaks einstreuen.

Das Songmaterial haut insgesamt nicht wirklich um. Es gestaltet sich deutlich anders als die fesselnden Tracks des Vorgängers, die teilweise noch länger, aber dramaturgisch klarer aufgebaut waren, manchmal einer festen Suiten-Anordnung folgten. "A Memory Of Our Future" lässt etlichen Songs irgendwie ihren Lauf: Sie wirken wie ergebnisoffene Jazz-Impros, dadurch phasenweise beliebig, scheinbar never-ending, "The Big Quit" zieht sich, sieben Minuten fühlen sich wie zwölf an. Der Ansatz holpert, sobald allzu gefällige Pop-Hooks den Flow unterbrechen und der Gesang austauschbar herüber kommt.

Während die Soulmates - wörtlich übersetzt - 'Seelenverwandte' sind, lassen sie sich in ihrem großen Team nicht davon beirren, dass Nick van Eedes Stimme zu farblos klingt, um die große Klangarchitektur rundherum zu tragen. Vocals werden zum Beiwerk, zum bisweilen störenden Schnörkel. Der besonders guten Komposition "Devil's Encyclopedia" wäre sogar mehr damit gedient, sie als Instrumental aufzuziehen. Schon Ians Querflöte erzählt so viel wie eine Story: So spannend anzuhören, da braucht es zum kantigen Sound nicht die Soft-Stimme von ehemals Cutting Crew ("I Just Died In Your Arms Tonight"). Man hatte früher sogar Leute wie Chaka Khan und Chris Thompson, die an der Bühnenfront richtig was reißen.

Warum nicht gleich Ian Anderson die Lead Vocals übernimmt, zumal er auf diesem Terrain ein großartiges Lebenswerk vorweist, leuchtet nicht ein. Den simplifizierenden, aber smarten Slogan "Social media is the Devil's Encyclopedia" kann man gerne ein paar Mal singen, um klar zu machen, vor welchem Hintergrund so ein Zehn-Minuten-Classic Rock-Opus entstand. Der restliche Inhalt erzählt dann aber leider nur wirre Phrasen - überflüssig. Auf die "tiefgründigen Texten zu gesellschaftspolitischen Themen" (Produktwerbung) wartet man lange vergeblich. Erst der beiliegende Werbekatalog steckt voller Poesie und Biss. Besagter Song sei "ein Aufschrei gegen Totalitarismus, (...) Hyperemotionalisierung von Nachrichten", schimpft über "Erregungswellen (...), die uns emotional triggern sollen", peitscht Schlagwörter am laufenden Band heraus, "Desinformations-Cocktail (...) tiefe Vertrauenskrise (...) keine lagerübergreifenden Erkenntnisgewinne", ein Ausflug in die politische Philosophie.

Wie wäre es dann, in die Vocals wirklich zu investieren, statt das Mikro mal an Tony Carey, mal an Mandokis selbst herum zu reichen und die Personallücke durchs Zusammenhelfen mehrerer nicht so gesangsversierter Lead- und Background-Leute zu stopfen? Dazu die Formulierungen - Kostprobe: "
Together we learned to survive / trying hard to arrive alive. / I am because you are / I am because of who we are (...) we are who we are (...) with broken wings and broken hearts
" usw. - Laber Rhabarber.

Schön ist auf jeden Fall die Lebensweisheit "Don't dream your life / live your dreams", untermauert von den beiden besten Soli der Scheibe, erst an der E-Orgel, dann an der Trompete (in "Matchbox Racing"). Neben solchen Virtuositäts-Einlagen meistert das Album drei weitere große Kunststücke. In diesem großen Fusions-Brei hört man viele Teilnehmenden irgendwo mal mit ihren Charakteristika heraus. So treten etwa die Supertramp-Multiinstrumentalisten Mark Hart und John Helliwell in Erscheinung, sowie Jesse Siebenberg, Tour-Gitarrist bei Supertramp Ende der '90er und Sohn des langjährigen Drummers der Gruppe. Das typische treibende Synkopen-Spiel dieser Band prägt den Track "Age Of Thought". Anderson und di Meola hört man unverkennbar in vielen größeren Passagen und kurzen Momenten. "Melting Pot" bringt gar das Zentralafrikanische des Kameruners Richard Bona ein. Der Pluralismus mehrerer Sorten Jazzrock und diverser Handschriften kann so zum Vorbild für Mandokis Vision einer pluralistischen Gesellschaft ohne Spaltung werden.

Hinzu kommt, dass Leslies XL-Supergroup alle Töne analog auf Magnetband laufen ließ, analog mischte und erst hernach digital mastern ließ - also eine AAD-Produktion. Wenn man es nicht wüsste, würde man darüber hinweg hören, doch ja, man muss anerkennen: Der Sound ist schon sehr gut geeignet für audiophile Nerds. (Wieso man den Cue-Punkt zwischen Track 10 und 11 dilettantisch mitten in einen langen Ton-Hall gesetzt hat, ist umso unklarer.)

Noch ein Aspekt des Albums, der irgendwie Charme ausstrahlt, ist der große Fuß, auf dem das Produkt und die Band daher kommen: wuseliger Sound, teils witzig verspielt wie in "We Stay Loud" mit Al Jarreau-Skat-Anleihen, Experimentierfreude, ein üppiges Begleitbuch (erwähnter Werbekatalog, graphisch wirr und chaotisch aufgebaut). Das Vinyl erscheint im Klapp-Cover, es herrscht keinerlei Zeitdruck in den Tracks, an jedem Instrument einer der anerkanntesten Meister seines Fachs usw.: Leslie Mandokis Soulmates zeigen fortwährend 'wir trauen uns, wir gönnen uns/euch was, wir können's uns leisten'.

In Zeiten von Inflation und existenzbedrohlichen Arbeitsbedingungen im Musik- und Festival-Business ist das ein sehr optimistisches Signal der Opulenz. Es macht Mut macht, stiftet Vertrauen. "Music Is The Greatest Unifier", findet Leslie in Großbuchstaben, Chaka Khan lobte mal, wie beharrlich er für "Toleranz in einer intoleranten Welt" eintrete. Im warmen Werk der Soulmates kann man sich entsprechend zurück lehnen und aufgehoben fühlen wie in den good old times großer '70er-Jahre-Artrock-Produktionen.

Trackliste

  1. 1. Blood In The Water
  2. 2. Enigma Of Reason
  3. 3. The Wanderer
  4. 4. The Big Quit
  5. 5. Devil's Encyclopedia
  6. 6. A Memory Of My Future
  7. 7. I Am Because You Are
  8. 8. My Share Of Your Life
  9. 9. Age Of Thought
  10. 10. Matchbox Racing
  11. 11. We Stay Loud
  12. 12. Melting Pot

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