laut.de-Kritik
Eines Morgens standen die Faschisten vor der Tür.
Review von Giuliano BenassiFast zwei Jahre ist es her, seit ein Trash-TV-Moderator und unseriöser Immobilienhändler zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Eine Tatsache, die nach wie vor absurd klingt, und eine Schockstarre zur Folge hatte, die sich nur schwerlich zu lockern scheint. An Entsetzen hat es nicht gemangelt, viele bekannte US-Musiker haben sich auch von Donald Trump distanziert. Der große Aufschrei blieb bislang dennoch aus. Vorbilder gäbe es genügend, etwa Neil Young, als er mit dem Album "Living With War" und dem Stück "Let's Impeach The President" 2006, damals an George W. Bush gerichtet, klar Stellung bezog. Young ist gleichwohl Kanadier.
Höchste Zeit, dass derlei wieder geschieht. Den Anfang macht ein Gitarrist aus New York, der sich mit zahllosen Kollabos und eklektischem Stil einen Namen gemacht hat. Titel und Coverfoto machen seine Botschaft unmissverständlich klar, wie auch der Begleittext im Booklet: "Meine Großeltern haben im Holocaust Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten verloren. Ich selbst war weltweit auf Tour und habe viele Freunde in Russland und der Türkei. Wir verstehen, was Trump darstellt. Es ist kein Rätsel, was passieren wird, wenn wir uns nicht dagegen aufstemmen", schreibt Marc Ribot.
"Ich bin Musiker, deshalb begann mein Widerstand mit Musik", erklärt er den Sinn des vorliegenden Projekts weiter. Dafür stellte Ribot eine Liste von Liedern aus den USA, Italien und Mexiko zusammen und ergänzte sie mit eigenen, von den Nachrichten inspirierten Stücken. Klassische Topical-Songs, also.
Der Widerstand braucht Musik, um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und zu untermauern, betont Ribot. Dass ihm Schunkel-Arrangements offenbar so zuwider sind wie Trump, demonstriert er direkt und spektakulär im Opener, in dem die New Yorker Jazz-Sängerin Fay Victor ein Stück aus der US-Bürgerechtsbewegung der 50er und 60er Jahre interpretiert: "We Are Soldiers in The Army", begleitet von wilden Free Jazz-Arrangements.
Anders geht es mit Tom Waits zu: Ribots größter musikalischer Verdienst auf diesem Album besteht darin, seinen alten Freund wieder ans Mikrophon gelockt zu haben. Der Gitarrist hat seit "Rain Dogs" (1985) an zahlreichen Werken Waits' mitgewirkt. Nun begaben sich beide im kalifornischen Santa Rosa in ein Studio, während um sie herum ein verheerender Brand wütete ("teilweise die Folge der Erderwärmung", so Ribot). Trotz des Rauchs, der in der Luft hing, klingt Waits' Stimme so klar wie schon lange nicht mehr. Die zurückhaltenden Arrangements erinnern an Joe Henry. Ob der Produzent tatsachlich seine Finger im Spiel hatte? Jedenfalls ist er in den Credits aufgeführt.
Bei den meisten Songs überlässt Ribot das Mikrofon befreundeten Sängern. Steve Earle ist auf "Srinavas" zu hören, das Ribot über einen US-Sikh schrieb, der von einem Rassisten erschossen wurde, weil er ihn für einen Muslim hielt. Als wäre das ein Grund, jemand umzubringen. Auch kommen Sam Amidon und der Transgender-Künstler Justin Vivian Bond zum Einsatz.
Neben Waits Stück, das erhaben über allen anderen schwebt, fallen besonders zwei weitere auf: Meshell Ndegeocellos Version des italienischen Partisanenlieds "Fischia Il Vento", zu dem Ribot einen neuen Text mit dem Titel "The Miltant Ecologist" beisteuert, und das mexikanische "Rata De Dos Patas". "Verdammter Blutsauger, verdammte Schabe, du verursachst Entzündungen bei jedem Biss, du verletzt und du tötest", heißt es im letzten Vers. Der Rapper Ohene Cornelius stellt auch klar, wer damit gemeint ist ("Donald Trump, I'm talking to you"). Bemerkenswerter bleibt jedoch, dass die lateinamerikanische Hauptsängerin ihren Namen nicht aufgeführt haben wollte, um möglichen Visumsproblemen vorzubeugen, wie Ribot in einer Fußnote erklärt. Freedom of Speech - was ist aus dir bloß geworden?
Auch wenn die Platte musikalisch zu abenteuerlich geraten ist, um bei Demonstrationen zum Einsatz zu kommen, macht sie den überfälligen Anfang. "One fine morning I woke up early / To find a fascist at my door", singt Waits im frei übersetzten italienischen Partisanenlied "Bella Ciao". Dass gerade aus Italien wieder ähnliche Töne zu vernehmen sind, sollte uns umso nachdenklicher stimmen.
3 Kommentare
"Bemerkenswerter bleibt jedoch, dass die lateinamerikanische Hauptsängerin ihren Namen aufgeführt haben wollte, um möglichen Visumsproblemen vorzubeugen, wie Ribot in einer Fußnote erklärt."
*Nicht?
trump ist neben "Trash-TV-Moderator und unseriöse[m] Immobilienhändler" auch WWE Hall of Famer
Stilistisch sehr disparat, auch klanglich nicht wirklich befriedigend, aber doch „merkenswert“, weil es ein politisches Album eines Jazzmusikers ist – und wegen „Bella Ciao“ mit Tom Waits! (https://www.peter-hamburger.de/blog/2018/0…)