laut.de-Kritik
Zwischen intimer Ruhe, melodischer Wärme und virtuosem Rausch.
Review von Toni HennigMartin Kohlstedt fühlt sich mit seinen intuitiven Improvisationen gleichermaßen in der Elbphilharmonie in Hamburg als auch auf popkulturellen Festivals wohl. Zuletzt experimentierte er mit Electronica und Chören. Nun besinnt er sich wieder auf den Kern seiner Arbeit zurück: das Solo-Piano.
"Flur" hat der 32-Jährige in seiner Dachgeschosswohnung während der Pandemie eingespielt, mit Blick auf Weimar. Dadurch finden sich allerlei Naturgeräusche in seinen Momentaufnahmen, die er erneut mit kryptischen Buchstabentiteln versehen hat, so dass die Musik eine Menge Interpretationsspielraum offen lässt.
Mit "LUN" leitet Kohlstedt das Werk ruhig ein. Zunächst hört man Vogelgezwitscher. Kurz darauf schimmern mit hellen Pianotönen erste Sonnenstrahlen durch das Stück. Im weiteren Verlauf verbinden sich die Klaviersounds mit dem beruhigenden Rauschen eines Flusses. Der Einstieg in das Album gestaltet sich somit zwar intim, aber auch einladend. Danach präsentiert sich der Thüringer in "ZIN" von seiner virtuosen Seite, wenn man kreisende, tänzerische Klänge vernimmt. Dabei zeigt er aber auch sein unnachahmliches Gespür für herzerwärmende Melodien, die ohne jeglichen Kitsch daherkommen. Das Unprätentiöse hat er sich glücklicherweise bewahrt.
Etwas mehr stilistische Vielfalt gesellt sich in "QUO" dazu, wenn er sich zu jazzigen Sounds hinreißen lässt. Auch kommen die klanglichen Möglichkeiten seines Instruments hervorragend zur Geltung, wenn spärliche Akustikgitarrenakkorde erklingen. Ab der Mitte kristallisiert sich dann wieder einmal eine wunderbar gefühlvolle Melodie heraus.
"PAN" weist dagegen wieder intime, zurückgenommene Töne auf, wovon auch die sachten Schneebesensounds sprechen, die Kohlstedt seinem Instrument entlockt. So sparsam gerät auch das anschließende "NOX" zu Beginn. Die Ruhe währt jedoch nicht lange. Gegen Mitte verschmelzen dunkle Tastenschläge und virtuose Klangfolgen zu einer rauschhaften, dramatischen Einheit. Hier konzentriert sich der Komponist, Musiker, Pianist und Produzent voll und ganz auf die mitreißende Kraft seiner Musik, die er auch auf der Bühne oftmals betont.
Ebenso bewegen sich die folgenden Stücke zwischen ruhevollen Akkorden, warmen Melodien und berauschenden Momenten äußerst gelungen hin und her. "JUL" hat dabei schon fast etwas Kammermusikalisches, lässt jedoch das Emotionale nicht vermissen, wenn gegen Ende die Klaviertöne beseelt vor sich hin kreisen. Zum Schluss verdunkelt in "AJA" ein schweres Gewitter den Himmel, begleitet von bedächtigen, melancholischen Schlägen. Die Schönheit weicht der rücksichtslosen Laune der Natur.
Letzten Endes treffen auf "Flur" unterschiedliche Stimmungen aufeinander, wobei das Natürliche immer im Fokus steht. Ein Album von ungemeiner Lebendigkeit, das in Zeiten des Klimawandels daran erinnert, dass sich Mensch und Natur gegenseitig bedingen und beeinflussen.
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