laut.de-Kritik

Puhdys-Dieter über Wehrpflicht und Lindemann-Debatte.

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Eine Wehrpflicht wünschen sich aktuell etliche Politiker:innen zurück, aus verschiedenen Gründen. Mehr Bewusstsein junger Leute für den Staat, Stopfen der Personallücke bei der Bundeswehr, Abschreckungspotenzial gegen Putin. Ex-Puhdy Dieter 'Maschine' Birr, frische 80 geworden, hat das alles schon hinter sich. Seine Soldatenzeit absolvierte er widerwillig in der DDR, "Lange Her" arbeitet diese Erfahrung in traurigen Gruseltönen auf. Wenn man doch ein bisschen pro Pflicht tendierte und dann dieses Lied hört, ist man schnell wieder dagegen.

Es ist der zentrale Song, der "Mein Weg" relevant macht und über ein Konstruktionsproblem hinweg tröstet: Hier holt ein Ost-Rockstar nach, was bei Amiga in den 80ern verwehrt war, als importierte Synthesizer rar und teuer waren und Lyrics zensiert wurden. Birr gibt BAP, wie sie damals klangen, hängt Eighties-Synthrock nach, pendelt sich auf einem konventionellen Level ein, das die Simple Minds und U2 mal etabliert haben.

Bei der durchaus positiv zu nehmenden plakativen Eingängigkeit der meisten Stücke kommt es auf Details in Instrumentierung, Arrangement und Abmischung kaum an. Jeder Track würde in einer (West-)Samstagabend-TV-Show mit Eighties-Spirit super funktionieren. Einzig in der Story vom fliegenden Pferd "Ikarus", das in der Sonne verschmort, dringen SpaceRock-artige Anklänge nach Hawkwind-Machart durch, ein Hauch von Avantgarde. Unter Retro-Gesichtspunkt läuft die Platte gut ins Ohr, weil sie weder fordert noch irgendwas neu machen würde, dafür reichlich atmosphärische Momente auskostet. Wie man bei Maffay lernen kann, will der Markt es so haben - es ist ein zuverlässiger Kommerz-Clou.

Die Scheibe splittet sich in je zur Hälfte neues Material und altes aus der Zeit 1975 bis '84. Dass die Texte sehr geradlinig heraus sprudeln, widerlegt die Mär, dass man heutzutage 'nichts mehr offen sagen' dürfe. Die Musik scheint ein recht offener Ort zu sein, um richtig vom Leder zu ziehen. Das neue Stück "Hunderttausend Laienrichter" verteidigt den Kollegen Till Lindemann und pocht aufs Ermittlungs-Prinzip der Unschuldsvermutung. Dennoch, trotz Meinungsoffenheit, ghosten die Puhdys einander. Aber das hat andere Gründe, heben wir sie uns für den Schluss auf.

Zur musikalischen Gestaltung: Petty-Riffs und Galopp-Gothic-Metal, ausnahmsweise in einem Track Synth-Spielereien, die eine Traumwelt symbolisieren - jenseits dieser Schlenker hält sich die Bandbreite in Grenzen. Birr adressiert AOR-Publikum, solange es grüblerische deutsche Texte schluckt. Immerhin: Wer mit runden 80 so viel heavy Zunder geben kann wie mit 18, hat Glück.

"Behutsam ins Hier und Jetzt geholt" habe man die älteren Nummern übertragen wollen. So versetzt Birr das nachdenkliche Akustikstück "Mein Weg" in der "Mein Weg 2024 Version" mit Streichern. Ein bisschen üppiger gerät es, nicht mehr ganz so unauffällig wie seinerzeit 2014. "Melanie", ein Lied von 1980 über Glückssuche, erhält penetrantere Simple Minds-Riffstrukturen. Gealtertes kann thematisch aktuell wirken: "Hiroshima" von 1982 und "Das Buch" von 1984 spielen jeweils auf ihre Weise auf nukleare Bedrohungsszenarien an. Die musikalischen Abweichungen zwischen den Aufnahmen damals und heute liegen vor allem in der Tontechnik begründet. 1984 sang allerdings noch ein FDJ-Chor aus einer Berlin mit, heute gibt es solche Institutionen nicht mehr. Der Klassiker "Sehnsucht" (1983) verbindet heute wie damals Hartes und Zartes.

Der Krieg in der Ukraine hat zwei neue Songs inspiriert, "Lange Her" und "Lebe Wohl". "Lebe Wohl" erzählt vom Gefühl der Heimatlosigkeit nach der Flucht aus der Ukraine. "Lange Her" referiert auf interessante Weise über Birrs Wehrdienst in der DDR Anfang der 1960er. "Verlorene Jugendzeit / wir haben die Zeit gehasst (...) Wir haben so viel verpasst (...) / Gedanken an zuhause / in der grauen Kaserne um die Liebe gebangt." - Zunächst mal wollte man sich in dem Alter als Spätpubertierender nicht damit beschäftigen - keine Lust. Körperlich anstrengend nahm Birr den Dienst damals auch wahr. "Auf dem Rücken das Gewehr / und die Gasmaske unterm Stahlhelm / machte uns das Atmen so schwer."

Die jungen Rekruten hätten sich demnach "durch die Zeit gequält." Ein konkreter Einsatz stand im 'Kalten Krieg' nicht an. Ausgebildet wurde, um Drohpotenzial nach außen aufzubauen und Gehorsam nach innen zu trainieren. "Wenn ich heute Soldaten sehe in der Ukraine / die kämpfen müssen / wird mir klar, dass damals diese Scheiß-Armeezeit / wie ein Kindergarten-Ausflug war", schlussfolgert der Puhdy.

Andere, ältere Lyrics, mögen sie auch unter DDR-Bedingungen entstanden sein, hätten in einer heutigen Neuaufnahme mehr textliche Klarheit verdient. Bei allem Respekt vor Leistung und Popularität der Puhdys, kommt "Hiroshima" über Andeutungen und Phrasen nicht hinaus. Die Lyrics über den "Mann in Hiroshima" sind an sich kein guter Text, sondern ein breit gewalzter Gedanke, der eher das Gefühl der Angst vertont ("erinnert euch gut / sonst holt euch die Glut"), als eine heraus lesbare Bedeutung zu übernehmen.

Sicher, 1980 musste man sich zurück halten und konnte die Angst vor der atomaren Aufrüstung nicht so sowjetkritisch ausdrücken, daher steht "Hiroshima" als Atombombe eines westlichen Alliierten gegen eine Industriemacht und verschiebt das Problem in die kapitalistische Welt. Nur, wenn man die Musik ein bisschen abwandelt, könnte man sich den Text doch noch mal vorknöpfen.

Da fehlt es an Birrs Einsatz, so dass mehr der Eindruck eines Abklatsches entsteht: Er übernimmt die Rolle des Bänkelsängers, der von den Gefahren der Welt erzählt. Das tut er voller Pathos und Melodram. In "Das Buch ft. Nessi" spricht er explizit vom "Strahlentod", und nicht nur das: Er mutet sich die Pose des Weltretters zu und warnt in seinem apokalyptischen Szenario, wie "aus zehn Milliarden Augen ein Trauer-Regen rann", singt von einem "Tränenmeer, das überlief" und über den "Untergang" des Planeten aufgrund von "Hass und Gier".

Die Erde, so fordert er, soll eine "Heimat ohne Ängste sein". Großes Kino! Wäre aber, um ein Update des Stücks zu machen, nicht der Aspekt eines Cyber-War auch eine Zeile wert? Maschine Dieter baut immerhin Nessis Gaststimme ein (hier wie auch in "Lebe Wohl"), um ein bisschen neuen Glanz aufs alte Lied zu polieren. "Melanie" über eine Alleinerziehende mit Kind ungeklärter Vaterschaft igelt sich im Kryptischen ein, sodass bei innovationsfreier Musik auch die Texte eher im Rahmen des Angestaubten lagern.

Das neue Lied "Hunderttausend Laienrichter" thematisiert einen Mann, mit dem die Puhdys einmal anno 2000 eine Single aufnahmen: Till Lindemann. Der alte Song war nach dem Veto von Rammsteins Management damals rasch vergriffen. Der neue ist ohne, aber dafür über ihn. Trotz allseits dokumentierter Praxis der 'ersten Reihe'-Groupies bei Rammsteins Konzerten findet Birr, es sei voreilig über Lindemann geurteilt worden. Und nicht alleine über ihn: "Es gab ja auch die Fälle Luke Mockridge, Jörg Kachelmann oder auch Andreas Türk. Letztlich waren die alle unschuldig, aber in der Öffentlichkeit wurden sie vorverurteilt."

Auffällig ist, wie "Sonnenseite" und "Weitergehen" als neue Stücke ausgerechnet das Thema Freundschaft idealistisch ins Visier nehmen. Die Freundschaft zu den ehemaligen Puhdys-Mitstreitern zerbrach in einem Zerwürfnis über Urheberrecht und Tantiemen. Bei beiden neuen Songs kann man sich aussuchen, ob sie diesen Vorfall gekonnt ignorieren oder Signale von Reue, Friedensfahne und ausgestrecktem Arm sind.

"Weitergehen" drückt sich als Stimmungslied bizarr naiv und optimistisch in Bezug auf Freundschaften aus, die ewig währen. In "Sonnenseite" heißt es wörtlich "Lass dir deinen Mut nicht nehmen / ich werd an deiner Seite stehen / lass dich nicht runter ziehen (...) greif endlich wieder zur Gitarre / und wenn es mich ganz tief berührt / dann spiel ich gerne mit."

In der Riege der großen DDR-Rockbands könnten die wenigen Verbliebenen feiern, dass sie noch am Leben sind. Statt dessen ist Kalter Krieg angesagt zwischen Dieter 'Maschine' Birr und seinen beiden noch lebenden Ex-Kollegen. Birr klagte das Urheberrecht an Hunderten früheren Liedern für sich alleine ein, die anderen hielten dagegen. Seit 2016 herrscht trotz formaler Einigung (mit Schweigevereinbarung) Eiszeit. Die Chance auf eine Reunion verpasste man, denn im Lockdown verstarben zwei Puhdys. Aktuell ist es so, dass Birrs Ex-Mates sich schwer taten, ihm zum Geburtstag zu gratulieren, über die Presse trat man nach, Kindergarten bei Männern Ü80.

Wenn man das weiß, versteht man das Album "Mein Weg" als Statement: 'Ich kann's auch alleine.' Die Scheibe "Mein Weg" liefert dafür nur einen schwachen Beleg. Ausgedünnt sind die Reihen auch bei Karat, die letzten Monat ihren Gründungs-Keyboarder und Komponisten verloren und wo der Drummer zwar noch lebt, 2022 aber seine letzte Show gab, sodass jetzt kein einziges Ursprungsmitglied mehr dabei ist. Auch Silly sind heute eine gänzlich andere Combo, die nur das Recht am Namen weiter führt, City haben Todesfälle zu beklagen usw. Vor diesem Hintergrund geht die Platte als nostalgischer Verweis auf ruhmreiche Zeiten in Ordnung. Nicht weniger, leider auch nicht mehr.

Trackliste

  1. 1. Mein Weg (2024 Version)
  2. 2. Sonnenseite
  3. 3. Auf Das Leben
  4. 4. Sehnsucht
  5. 5. Lange Her
  6. 6. Hiroshima
  7. 7. Weitergehen
  8. 8. Melanie
  9. 9. Hunderttausend Laienrichter
  10. 10. Ikarus
  11. 11. Lebe Wohl
  12. 12. Das Buch feat. Nessi
  13. 13. Mein Weg

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