laut.de-Kritik
In einer Zeit der Mauern sieht sie weiterhin nur Brücken.
Review von Giuliano Benassi1956 veröffentlichte das Fotomagazin "Life" eine Reportage mit dem Titel "The Restraints: Open And Hidden". Es war eine Sensation, denn der schwarze Fotograf Gordon Parks hatte das Leben von drei schwarzen Familien in der Südstaatenstadt Mobile, Alabama begleitet und so dokumentiert, wie sich die Gesetze zur Rassentrennung auf das tägliche Leben auswirkten. Eines der bekanntesten ist hier auf dem Cover zu sehen: Sechs schwarze Kinder stehen am Zaun eines Parks und schauen zu einer Gruppe Weiße hinüber.
Sehnsüchtig? Traurig? Zornig? Neugierig? Gelangweilt? Wer weiß. Ein Bild jedenfalls, dass seine symbolische Kraft mehr als 60 Jahre später nicht verloren hat. Leider, denn seitdem hat sich nicht wirklich viel geändert. Zum Glück gibt es weiterhin Menschen, die die Hoffnung nicht verloren haben und ein Lächeln als die beste Waffe gegen Rassismus und Idiotie betrachten. Ganz vorne mit dabei: Mavis Staples.
Als das Bild entstand, war sie 17 Jahre alt. Und als Mitglied der Staples Singers mit ihrem Vater und ihren Geschwistern bereits eine Größe. Später verdrehte sie Bob Dylan den Kopf, unterstützte Martin Luther King, sang für die Präsidenten John F. Kennedy und Barack Obama, machte unter eigenem Namen Karriere und ist im neuen Jahrtausend bekannter den je. Müde? Kein bisschen. The best is yet to come, möchte man meinen.
Mit dem vorliegenden Album kommt sie an dieses Beste nahe dran. Auch dank Ben Harper, der diesmal als Produzent und Songschreiber an der Reihe war, nachdem sich Jeff Tweedy seit 2010 um drei Studioalben gekümmert hatte. Zwischendrin lag das von Matt Ward produzierte "Livin' On A High Note" (2016), für das unter anderen Nick Cave eigens Stücke beigesteuert hatte. Und eben Harper, der mit "Love And Trust" den stärksten Beitrag lieferte. Ob er sie nicht produzieren dürfe, fragte er Staples damals. "Nun, Herrgott, wenn du noch so einen Song schreibst, dann bin ich dabei", so ihre Antwort.
Gesagt, getan. Wie gewohnt fielen Harper die Stücke nur so zu. Die Umsetzung war in einer gewissen Hinsicht ebenso einfach: Er beschloss, Staples samt ihrer Liveband ins Studio zu packen und sie einfach machen zu lassen. "Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, was Künstler und ihre Alben benötigen. Bei Mavis war es am Wichtigsten, das Aufnahmegerät anzustellen und sich nicht einzumischen". Wobei letzteres eher bildlich zu verstehen ist, denn Teil des Charmes dieses Albums liegt im hervorragend abgemischten Sound.
Im Vergleich zu den Alben mit Tweedy klingt dieses rockiger, auf verhaltene Weise sogar wütend. Staples hat das Lächeln immer noch auf den Lippen, spricht im Opener aber klare Worte: "Say it loud, say it clear / Things gonna change around here". Und: "What good is freedom / If we haven't learned to be free?" Das schönste Stück ist ihr Duett mit Harper, das wie das Album "We Get By" heißt, also "Wir kommen durch". "We get by on love and faith / We get by with a smile on our face / We get by with help from our kin / We get by through thick and through thin", singen sie gemeinsam in der ersten Strophe, nachdenklich und zuversichtlich zugleich.
Musikalisch ist das Album eine Reise durch die Genres, die Staples im Laufe ihrer Karriere zu vermischen wusste: Funk ("Brothers And Sisters"), Rhythm And Blues der Marke Stax ("Anytime", "Chance On Me", "One More Change"), balladesk ("Heavy On My Mind", "Never Needed Anyone", "Hard To Leave"), rockig-gospelig ("Sometime", "Stronger"), Tina-Turner-ähnlich ("Stronger").
Hörenswert. Umso mehr, weil das Zusammenspiel der Musiker hervorragend ist. Nicht überraschend, wenn man das drei Monate zuvor veröffentlichte "Live In London" kennt: Gitarrist Rick Holmstrom groovt mit fiesem Klang, Bassist Jeff Turmes und Schlagzeuger Stephen Hodges unterstützen Staples und die gelegentlichen Background-Vocals bestens. Harper war so begeistert, dass er selbst kein einziges Mal mit einem der unzähligen Instrumente eingriff, die er beherrscht, obwohl es ihn bestimmt in den Fingern gejuckt hat.
Dinge ändern sich - auch zum Besseren. Parks' Reportage hinterließ einen bleibenden Eindruck, die Fotos werden heute noch ausgestellt. 1971 gelang ihm etwas, was 15 Jahre zuvor undenkbar schien: Mit "Shaft" schuf er ein schwarzes Pendant zu James Bond und ein Genre mit einem coolen Namen gleich mit dazu: Blaxploitation. Der Soundtrack von Isaac Hayes' ist nach wie vor ein Klassiker.
Dass sich die Dinge wieder nun in die andere Richtung bewegen, ist erschreckend. Hoffentlich nicht unumkehrlich. Eines steht fest: Staples setzt sich weiterhin dafür ein, dass die Welt ein besserer Ort wird. Wie es die Zeitschrift New Yorker treffend zusammen fasste: "In einem Zeitalter der Mauern sieht sie weiterhin nur Brücken."
1 Kommentar
Eine der ganz Großen. Hoffentlich schenkt sie uns noch ein paar Alben. Alles Gute zum 80er, Mavis!