laut.de-Kritik

Quecksilber für die Ohren.

Review von

Zählt man "The Delta Sweet" als Cover-Album nicht mit, haben Mercury Rev schon seit "The Light In You" keine neue Musik mehr veröffentlicht. Fiel irgendwie aber auch nicht so doll auf, ehrlich gesagt. Mit "All Is Dream" erschien der letzte große Wurf vor nunmehr 24 Jahren, und "Born Horses" wird diesen Bann leider nicht brechen. Dafür gefallen sich Jonathan Donahue und Grasshopper zu sehr im eigenen Sud und der verwaschenen Elder Statesman-Pose.

Die erste Single "Patterns" ist zu einem Gefühlsausbruch wie einem Schrei gar nicht fähig; könnte sie es, würde sie danach schreien, vom örtlichen evangelischen Kirchenkreis in der Laientheateraufführung von "Der Kleine Prinz" eingebaut zu werden. Die Band und Donahue an vorderster Front sind vor allen Dingen fasziniert von sich selbst. Alles andere existiert in seinen Texten mit dem einzigen Daseinszweck, von ihm abstrakt bewundert zu werden, ohne mit irgendeiner Sache auf dieser oder der nächsten Welt eine Art Auseinandersetzung zu suchen. Die blinde Endorphiepille tastet und singt so weniger naturalistisch als vielmehr infantil in seiner Muttersprache: "Patterns / In A World Of Strays And Loneliness / Where Young People Cry And Old People Kiss". Die Musik dazu ist so dermaßen nichtssagender Pseudo-Shoegaze ohne Druck und ohne Kulisse, dass es stellenweise mehrfache Anläufe brauchte, bis ich die Songs endlich einigermaßen auseinanderhalten konnte.

Die zweite Single "Ancient Love" macht es dem Hörer dank der verschiedenen Bläser ein wenig einfacher. Es existieren mehr griffige Flächen als beim luftig vorbeiwehenden "Patterns". Aber es fehlt so viel: Das Drama von "Opus 40" fehlt oder das Wogen von "Chasing A Bee". Donahue hört sich hier an wie ein Tierdoku-Kommentator mit hormoneller Störung, der die eigentlich faden Bühnenbilder unpassend emotional kommentiert: "This ancient love of ours/ Buried under moon and stars", und halt so weiter.

"A Bird Of No Address" fliegt ins Zimmer und bringt die dritte Single mit sich. Die Band hätte es in Interviews gar nicht sagen brauchen, man merkt, das ist Musik, zu der Leute "connecten" sollen. Aber die Frage ist, wie tief man abgeholt werden will/ muss. Für wen es ein gehauchtes "Hail Mary" reicht, der ist entweder sehr doof oder sehr klug und kann sich den Rest der Symbolik einfach dazu denken. Da kommt hoffentlich mehr raus als das fade, unausgearbeitete Songmotiv des Weiterziehens. Musikalisch ist alles wieder völlig absehbar, zum Schluss geht es peu à peu hoch, und da bleibt es ein wenig und dann ist der Song vorbei, und das ist völlig egal.

Bei welchem Song waren wir jetzt? Selbst auf den schlechtesten Jack Johnson-Alben konnte man sich besser orientieren. Dabei muss das doch nicht so sein; "Hole" holte woanders ab, zog einen sogar aus jedem Loch. Was hatte "Goddess On A Highway" für eine Dynamik! Mercury Rev waren schon mal so viel weiter als auf dieser Pferdegeburtscheibe. Man schließt die Augen in der Gewissheit, dass das live bestimmt hundertmal besser ist, wenn Donahue unnachahmlich schlangenmenscht beim Singen. Hilft einem halt gerade nicht.

Was hilft: Der Opener "Mood Swings". Tight, jazzig, voller virtuosem Schlagzeug und endlich kommen die Geigen nicht nach viereinhalb Sekunden, sondern nach viereinhalb Minuten und das auch noch scharf und nicht mellow-abmildernd. Die Bläser lassen sich sogar fünfeinhalb Minuten Zeit. Und diesmal ist das Thema profan, aber nicht der Text. So viel besser. Bald danach folgt mit "Your Hammer, My Heart" eine strunzdoofe Schnulze, aber mit Dramatik und völlig überkandidelten Glöckchen, als würde den Hörer eine Amme in einem Watteboot auf einem Milchsee wiegen, als sie langsam ihre Brust rausholt. Vom Chor bis zum Synthie, absolut alles arbeitet mit fanatischer Zielgerichtetheit an einer Soundidee. Wer suchte diese Singles aus? Bella Union ist doch ein vernünftiges Label.

So viele Auswahl hatten die Labelmenschen leider gar nicht, denn nicht die Singles, sondern die ersten beiden Songs sind die Ausreißer. Die schlichte Fantasie "Born Horses" mag keine Melodie machen müssen, deshalb sind die toxischen Todeszutaten - schleppendes, sanftes Schlagzeug, Wuuuuuu-Chöre, aber vor allem natürlich die für diese Geigen völlig sinnlos geschnittenen Pferdehaare schon zu Beginn parat. Zum Ende der ersten Strophe folgen interessante Sprengsel, dabei genügt sich der Song aber.

"Everything I Thought I Had Lost" ist uninteressant, luftig, aber nicht sphärisch, eher abgehoben. Hintergrundmusik für den Sänger, dessen Erzählung nicht gut, klug oder musikalisch interessant genug ausfällt, auch wegen Texten wie: "And sometimes, when I close my eyes / Everyone I thought I had lost, one by one/ I keep finding again". Wieder bleibt es bei der kurzen Gefühlsregung, ohne Verbindung zum eigenen Seelenleben oder einer Geschichte. Es ist schwer, erst "Wild God" und dann das hier zu hören. Und musikalisch fehlt eben nicht Schärfe, der Song zieht zum Schluss an, aber er macht es losgelöst und losgekoppelt, nichts passt zusammen.

"There's Always Been A Bird In Me" ist das Epizentrum des Unsinns und mit seiner Selbststilisierung als kluger Künstler so durchschaubar wie selbstverliebt. Der Song verhungert ohne Idee, zwischen Stampfen und Ambient darf fast alles mal ran, was wenig anstrengend im Schreiben ist- Hauptsache es gibt Lärm um den Sprechsänger herum, man fühlt sich als Hörer alleingelassen wie der kleine Fritz im Kinderland von Kaufland. "Born Horses" ist ein fader, fauler Versuch, den eigenen Sound zu imitieren, mit zwei hellen Lichtblicken.

Trackliste

  1. 1. Mood Swings
  2. 2. Ancient Love
  3. 3. Your Hammer, My Heart
  4. 4. Patterns
  5. 5. A Bird Of No Address
  6. 6. Born Horses
  7. 7. Everything I Thought I Had Lost
  8. 8. There’s Always Been A Bird In Me

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