laut.de-Kritik
Frisch lackiert, aber der Motor ist marode.
Review von Yannik GölzEigentlich wäre"Culture" das perfekte Ende einer Heldenreise gewesen: Nach einem langen und einflussreichen Mixtape-Run landet das Trio mit "Bad And Boujee" ganz oben, ist die heißeste Gruppe im Game und macht die wertvollsten Features. In einem guten Film könnte man ausblenden und das Publikum nach Hause schicken.
Aber in den Jahren danach folgte eine Phase der Übersättigung mit dem überlangen "Culture 2" und drei monotonen Soloalben, die die Migos-Mania quasi komplett stoppten. Mit dem dritten Teil der Reihe ließ man sich nun also Zeit, denn er muss nicht nur wieder da anknüpfen, wo aufgehört wurde: Er muss quasi im Alleingang das Interesse an den Migos neu entfachen. Und tatsächlich berappelt sich "Culture III" qualitativ wieder ein wenig. Aber über die viel zu lange Spielzeit hat Teil drei am Ende doch kaum ein Argument dafür parat, dass wir ein Migos-Comeback dringend brauchen.
Dabei gab es einen richtig vielversprechenden Single-Moment: "Avalanche" nimmt das Sample von "Papa Was A Rolling Stone" und schmiedet daraus den Migos-Song, zu dem das "Walk It Talk It"-Video wirklich gepasst hätte. Die Retro-Atmosphäre, die Einbindung in die schwarze Musikgeschichte, die Ausstrahlung, alles daran sah nach Reife und Wachstum aus. Es ist einer der einschlägigsten und unterhaltsamsten Migos-Songs in letzter Zeit.
Die Formel, einen bestimmten Sound per Sample in den Trap-Mantel zu stecken, und typische Migos-Flows darauf zu schreiben, funktioniert noch ein paar Mal gut auf dem Album: Malibu rekrutiert Polo G auf La Raza-esquen Latin-Bläsern, Birthday hat einen Mustard-Westcoast-Einschlag, und auf "Vaccine" klingen sie, als würden sie direkt aus den Hütten von Morrowind über die Pandemie rappen.
All das sind willkommene Farbkleckse, genau wie die ebenfalls in Scharen auftretenden Features. Habe ich gesagt, hier müsste etwas im Alleingang gestemmt werden? Wer sich Justin Bieber, Juice WRLD, Pop Smoke, Drake, Cardi B und Future in die Tracklist holen kann, der schlägt Dividende aus einem Jahr Universal-Feature-Dasein. Doch am Ende bleiben all diese Momente, was sie sind: Farbkleckse.
Die Tracklist umspannt neunzehn Songs, von dem kaum einer unter vier Minuten Spielzeit packt. Dieses Album ist lang, und hinter den paar erwähnten klanglichen Ausbrüchen muss man mit sehr viel Migos-Mixtape-Nostalgie leben. Angeführt von "Straightening" als Flaggschiff bekommen wir einen ganzen Haufen Songs, die durchaus auf "Culture" hätten stattfinden können. "Jane", "Roadrunner", "Why Not", all das sind simple Ausführungen von repetitiver Hook, Triplet-Flow und gewöhnlichem Trap-Instrumental. Alles klingt wertig, alles klingt kompetent, alles bastelt um die großen Schwächen der Platte herum.
Im Kern sind die Migos fad geworden. Nach dem Ende von "Culture III" kann man das kaum leugnen. Die ganze Platte wirkt ein bisschen so, als würde einem Auto der Motor versagen, aber statt den einfach zur Werkstatt zu bringen, baut man Spoiler, neue Scheiben, Ledersitze, Nitro-Einspeisung und Bildschirme ein. Denn am Ende des Prozesses stehen jedes Mal dieselben Migos, die alles geben, um den selben alten Scheiß abzuliefern, aber einfach nicht mehr denselben Hunger mitbringen. Wenn man schon vergessen hat, wie intensiv die klingen können, solle man zu "Call Casting", "T -Shirt" oder "Hannah Montana" greifen. Das waren Parts, die sich gesteigert und gesteigert haben und mit 400 Stundenkilometern unterm Arsch auf der Landebahn aufschlugen.
"Culture III" hat viele solide Verses, vor allem natürlich von Takeoff und Offset, aber am Ende gibt es keinen großartigen. Am ehesten kommt das Tagteam von Offset und Youngboy Never Broke Again dafür in Frage, das wirklich eine bedrohliche Synergie auf "Need It" entwickelt. Aber sonst? Das Hirn registriert die Patterns, Quavos Travis-Autotune und Takeoffs schroffes Vorpreschen als Migos-Part. Wir haben sie eben schon ein paar hundert Mal in den letzten Jahr gehört. Ähnliches gilt für die Beats. Die sind überraschend konzentriert und lassen nie richtig nach, aber gibt es einen, der wirklich heraussticht? Kaum.
Die ganze Platte steht irgendwie kurz davor, auf dem Level zu sein, das sie auf "Culture" unsterblich gemacht hat. Aber irgendetwas fehlt immer. Nichts an "Culture III" klingt schlecht, zwischendurch werden gar ein paar richtig interessante Ideen geliefert. "Avalanche" hatte wirklich kurz die Hoffnung, dass da etwas Konzeptionelles oder Durchdachtes in der Tracklist stecken könnte. Aber die Migos zeigen, dass sie bestenfalls eine Gruppe sehr solider Performer sind.
Kuration, Alben-Erfahrung und klangliche Weiterentwicklung bleiben ihnen fremd, was sich einmal mehr in einer überlangen und gegen Ende extrem monotonen Tracklist zeigt. Das Trio hat sein Bestes gegeben, um mit ihren etwas abgestumpften, verlässlichen Handwerkzeugen noch einmal so viel herauszuholen, wie es geht. Und für ein paar Songs und Parts holen sie auch respektable Ergebnisse heraus, aber es bleibt das Grundproblem der Übersättigung.
5 Kommentare mit 2 Antworten
YNK bitte lösch Dich.
Ich kaufe ein "A".
Ich schenke Dir ein "B": https://www.youtube.com/watch?v=uX65jQ6_4KE
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
3/5 ist in Ordnung. Das Album bietet einige gute Songs (vor allem das erwähnte „Avalanche“ und „Straightenin“), aber ist letztlich mindestens eine halbe Stunde zu lang. Das Bieber-Feature hätten sie sich sparen können, Pop Smoke und Juice WRLD kann man langsam auch mal in Frieden ruhen lassen, zumal sie nicht wirklich auf ein Migos-Album passen. Allerdings muss ich sagen, dass mir das Album viel besser gefällt als sein Vorgänger, da man sich vom übertrieben übersteuerten Klangbild à la „Walk it Talk it“ verabschiedet hat.
Migos kriegen das Kunststück hin, Musik zu machen, die man mal ganz gut nebenher streamt, aber sich nie auf CD kaufen würde. Wie eine Packung Rosmarin-Chips greift man rein, wenn was auf Partys da ist, käme aber nie auf den Gedanken, im Supermarkt danach zu suchen.
Ja, das ist mal wieder ganz nett. Für Trap Verhältnisse rappen die ganz stabil, die Beats gehen nach Vorne und bieten gerade so viel Abwechslung, dass das Soundbild konsistent ist, aber das Album nicht wie ein langer Track klingt. Irgendwie unterhaltsam, auch wenn nichts wirklich hängenbleibt. Vielleicht auch, weil ich die drei Knalltüten seit jeher weder stimmlich noch optisch auseinanderhalten kann.