laut.de-Kritik

Als wäre Singen ein Kampfsport.

Review von

Miley Cyrus will als Künstlerin ernstgenommen werden. Nicht erst seit gestern. Man könnte ihre Karriere wahrscheinlich mit einem Pendel vergleichen: Hier will sie den Respekt der Kritikerinnen und Kritiker, dann scheißt sie wieder drauf. Hier fordert sie Respekt ein. Und hier scheißt sie wieder drauf. Aber trotz all der Anläufe, etwas Beeindruckendes oder Inspirierendes zu erschaffen, blieb es bisher nur bei vereinzelter Anerkennung.

"Something Beautiful" könnte das ändern: Dieses Album dreht alles auf elf, um ihr die Indie-Cred zu holen, nach der sie sich schon immer sehnt. Und man versteht schon, warum es auch gelingt - mit Unterstützung von Alvvays, Model / Actriz, Haim, Brittany Howard und Naomi Campbell in Songwriting und Produktion, einem richtigen Orchester, völlig überkandidelten Interludes und einem bescheuert melodramatischen Konzept kann man ihr nicht vorwerfen, nicht dick aufzufahren.

Auch, wenn die Pophead-Girlies dieses Album ihren Tame Impala-Rateyourmusic-Boyfriends Miley Cyrus verkaufen können, stellt sich doch die Frage: Wird Pop besser, wenn man 'Art' davorschreibt? Ist ein sechsminütiger Song automatisch besser als ein Dreiminütiger? "Something Beautiful" ist dermaßen überladen mit Brimborium und Lametta, das man fast nicht bemerkt, dass in diesem Album im Kern gar nicht so wahnsinnig viel steckt.

Dabei besitzt es definitiv klare Stärken. Zuerst: Miley ist eine herausragende Sängerin. Das muss man ihr neidlos zugestehen. Dieses Album bietet ein paar atemberaubende Performances. Ihre Stimme klingt durch die Bank geil. Es steht außer Frage, dass sie eine der definitiven Stimmen ihrer Generation ist - und dieses Level an Talent dürfte ihr nach diesem Album nicht mehr abgesprochen werden. Miley singt auf diesem Tape in manchen Bridges, als wäre Singen ein Kampfsport, in dem sie den zehnten; schwarzen Gürtel hat.

ein paar Songs machen zudem richtig Spaß: "Easy Lover" zehrt von ein bisschen Achtziger-Fleetwood Mac-Coolness, ein bisschen Rollerblade-Disco. Das hört sich wunderbar runter. Der Titeltrack ist eine beeindruckende, glammy Megaturbogigadampfballade, die in der zweiten Hälfte slammend extravagante Gitarren-Noise-Wände auffährt. Aber ohne Frage bleibt das Kernstück der halsbrecherische, unglaublich produzierte "Walk Of Fame".

Aber, aber, aber: So sehr ich "Walk Of Fame" auch liebe, erlaubt mir einen richtig furchtbaren Hot Take: Dieser Song wäre besser nur zweieinhalb Minuten lang. Und das gilt auch für große Teile des Albums. Bei quasi keinem Track reicht es, eine gute Idee und einen starken Impact zu haben, alles muss noch mal masturbatorisch durchdekliniert werden, um ja keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass wir hier für den Grammy arbeiten. Richtige Musik, Baby.

Das erinnert an Neil Young, der auch erst ab Minute drei des Gitarrensolos anfängt, wirklich Gitarre zu spielen. Echte Musik, eben! Dieses Album ist demonstrativ anachronistisch, hat dafür aber eigentlich keinen validen Grund, außer dass es die Kurzschlussreaktion 'alt = gut' aus den Leuten herauskitzeln möchte.

"More To Lose", "Golden Burning Sun", "Pretend You're God", "Reborn" oder "Give Me Love" verstecken mäandernde Midtempo-Songs voller Kitsch und Plattitüden hinter all dem gewollten Anspruch und den vagen Andeutungen an irgendwelche Artists, die man halt gut findet. Kate Bush, Prince, um ein paar große Namen durch den Raum zu werfen. Hört man dann aber auf die Lyrics oder Grundideen, klingt es so: "I knew someday that one would have to choose / I just thought we had more to lose / Uh-uh, Mm-mm, The TV's on, but I don't know / My tears are streamin' / like our favoritе show tonight". Der ganze Weltuntergangs-Pathos führt in der Summe zu nicht mehr als ein paar hedonistischen Klischees. Schön, wenn man ein bisschen einen roten Faden hat, aber der Weltuntergang dürfte das ausgetretenste und überbenutzteste Pop-Klischee der Gegenwart sein.

An sich ist es okay, ein Style-over-Substance-Album zu machen und sich einfach nur in große Gesten zu hüllen. Aber ich weiß nicht: all dieses Ge-Hans-Zimmer in den Interludes, all die Schnörkel und all das Glitzer-Glitzer? Dieses Album zeichnet sich durch mehr Ornamente als Substanz aus. Es erinnert mich an eine Art Pop-Äquivalent zu "Utopia" von Travis Scott: Ebenfalls ein Album, das sich die ganze Zeit bemüht, mit Referenzen auf vergangene Klassiker so groß und dumm zu gehen, wie irgendwie menschenmöglich. Hört man aber kurz auf, beeindruckt zu sein, hat es überraschend wenig zu erzählen.

Am Ende des Tages will ich nicht die Spaßbremse sein. Lange genug hat man Mileys Talent verkannt. Aber "Something Beautiful" scheint mir Pop für Leute schmackhaft machen zu wollen, die Pop eh nicht besonders mögen. Und reiht sich damit in eine lange Liste von Selbstverachtungen ein, sie war ja nach jeder Ära von der eigenen Musik erst mal abgeturnt. Aber ganz ehrlich: All ihr "We Can't Stop", all ihr "Mother's Daughter" ist nicht weniger wert als die Musik auf diesem Album, nur weil damals der Typ von Fleet Foxes im Outro nicht sieben Minuten wehleidige Gitarre zu einem Orchester gespielt hat.

Trackliste

  1. 1. Prelude
  2. 2. Something Beautiful
  3. 3. End Of The World
  4. 4. More To Lose
  5. 5. Interlude 1
  6. 6. Easy Lover
  7. 7. Interlude 2
  8. 8. Golden Burning Sun
  9. 9. Walk Of Fame (feat. Brittany Howard)
  10. 10. Pretend You're God
  11. 11. Every Girl You've Loved (feat. Naomi Campbell)
  12. 12. Reborn
  13. 13. Give Me Love

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