laut.de-Kritik
Das Album, das man sich als ABBA-Comeback gewünscht hätte.
Review von Toni HennigMitski Miyawaki, kurz Mitski, stieg mit ihrem 2018er-Album "Be The Cowboy" endgültig in den Indie-Mainstream auf. Für eine empfindsame Künstlerin wie sie bringt der Erfolg jedoch auch so einiges Negatives mit sich: "Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach wusste, dass ich mich bis zur Vollendung betäuben würde, falls ich so weitermache."
Als Folge zog sie sich 2019 für unbestimmte Zeit von sozialen Netwerken und der Bühne zurück. Der Nachfrage tat dies jedoch keinen Abbruch. Die anstehenden Deutschland-Konzerte Mitskis im Mai sind restlos ausverkauft. Mit im Gepäck: Ihr nun veröffentlichtes sechstes Studioalbum "Laurel Hell", mit dem sie den poppigen Weg des Vorgängers weiterführt, sich aber auch zunehmend in eine Richtung entwickelt, die sich "more uptempo and dance-y" anhört, wie sie selbst sagt. Das entstand zusammen mit Langzeitproduzent Patrick Hyland.
"Let's step carefully into the dark", heißt es anfänglich zu mystischen Orgeltönen in "Valentine, Texas". Gegen Mitte vereinen sich dann wavige Synthies, dramatische ABBA-Keyboards und der Gesang Miyawakis auf unwirkliche und entrückte Art und Weise, was einem Geistertanz gleicht.
Im anschließenden "Working For The Knife" geht es laut der Sängerin und Musikerin mit amerikanisch-japanischen Wurzeln "darum, von einem Kind mit einem Traum zu einem Erwachsenen mit einem Job zu werden und das Gefühl zu haben, dass man auf dem Weg zurückgelassen wird". Reflektiert wirkt sie in diesem Song, wenn sie zu klatschenden Rhythmen, begleitenden Gitarren und hellen Klaviereinsprengseln mit warmer Stimme singt: "I used to think I'd be done by twenty / Now at twenty-nine, the road ahead appears the same / Though maybe at thirty, I'll see a way to change / That I'm living for the knife."
Danach gibt es jedoch kein Happy End, nur harte Realität: "I always thought the choice was mine / And I was right, but I just chose wrong / I start the day lying and end with the truth / That I'm dying for the knife." Kurz darauf grätscht unvermittelt eine misstönige E-Gitarre ins Geschehen, so dass nur noch Zerrissenheit bleibt.
Um Fehlbarkeiten kreisen auch viele weitere Songs, jedoch mehr um zwischenmenschliche. In "The Only Heartbreaker" wirft sich die 31-Jährige vor, eine Beziehung nicht Aufrecht erhalten zu können, da sie als einzige Person hart an Beziehungen arbeite und aus diesem Grund vielleicht auch die einzige Person sei, die Fehler begeht. Dabei schwingt in der Stimme eine gewisse Akzeptanz mit, wenn es lautet: "So I'll be the loser in this game / I'll be the bad guy in the play." Anschließend bäumt sich der Track zu einer kraftvollen Synthie-Pop-Hymne auf, die nicht mehr aus dem Kopf geht.
Im folgenden "Love Me More" geht vom Ungleichgewicht in einer Beziehung eine noch toxischere Kraft aus. Zudem lässt sich der Song auf Miyawakis intensives Verhältnis zur Musik übertragen, das sie auch am Rande des Abgrunds bringen kann. Trotzdem versichert sie uns in der ersten Strophe: "I could be a new girl / I will be a new girl." Musikalisch schlägt der Track mit hellen Keyboard-Teppichen und tighten Drum Machine-Rhythmen in eine ähnlich kraftvolle Richtung wie "The Only Heartbreaker", bereichert das synthpoppige Klangbild aber noch um eine Prise Eleganz, wenn sich schwungvolle Piano-Momente immer wieder in den Vordergrund schieben.
Jedenfalls scheint sich Mitski mit ihren eigenen Dämonen abgefunden zu haben. So bildet "Heat Lightning" eine musikalisch an The Velvet Undergrounds "Venus In Furs" angelehnte, hymnische Ode an die Schlaflosigkeit, die in einem anerkennenden Eingeständnis der Hilflosigkeit mündet: "And there's nothing I can do / Not much I can change / Can I give it up to you / Would that be okay? / There's nothing I can do / Not much I can change / I give it up to you / I surrender."
Für die Platte brauchte sie "Songs", die ihr "helfen" sollten, "anderen und" sich selbst "zu vergeben", sagt sie, denn sie "mache andauernd Fehler", aber sie sei "auch kein schlechter Mensch". Das Album sieht sie als "Landkarte zu dem Ort, an dem Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit, Trauer und Freude, Fehler und Transzendenz in unserer Menschlichkeit Platz finden und als würdig angesehen werden können."
Da darf in "Should've Been Me" die Lebensfreude auch mal aus allen Nähten platzen, wenn schunkelige Piano-Klänge und soulige Rhythmen auf fast schon alberne Keys treffen - aber auch sonst stellt "Laurel Hell" in manchen Momenten eine äußerst ausgelassene Angelegenheit dar. "Stay Soft" atmet den Groove des letzten Charlotte Gainsbourg-Albums, während Mitski wie eine junge Agnetha Fältskog klingt. "That's Our Lamp" lädt mit lässigen "Dancing Queen"-Rhythmen zum Mittanzen ein.
Außerdem findet man noch mit "There's Nothing Left Here For You" eine einnehmende, leicht ätherische Nummer, die in ähnlicher Form auch auf ABBAs 81er-Scheibe "The Visitors" hätte stehen können. Überhaupt entwickelt sich eine Gesamtstimmung, die sich sehr an den Schweden orientiert. Im Prinzip ist "Laurel Hell" das Album geworden, das man sich als ABBA-Comeback gewünscht hätte.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Midski
Whoah, echter Schenkelklopper hier vom Quoten-Madrilenen.
Ein Grund warum ich mich sehr auf die kommenden zwei freien Wochenend-Tage freue.
Ward mir erfolgreich und von Toni sowie nem Kumpel-DJ nahezu gleichzeitig mit "Puberty 2" angetragen, die vereinnahmende und Haken schlagende audiovisuelle Kunst dieser Frau.
Wusste dass dies bei dir Anklang finden wird.
Mir wurde es tatsächlich von meiner Tochter vorgeschlagen.
Je älter sie wird desto mehr gleicht sich unser Geschmack an, ist irgendwie schön und gruselig zugleich.