laut.de-Kritik
Ein Album wie ein Pilztrip.
Review von Dani FrommMan sollte dieser Platte einen Warnhinweis voranstellen. Obacht! "Black Encyclopedia Of The Air" beeinträchtigt möglicherweise Ihre geistige Stabilität: ein Album wie ein Pilztrip.
Von der ersten Sekunde an brandet eine überwältigende Flut von Eindrücken über die Hörer*innenschaft hinweg. Soundwände aus wild dengelnder Percussion, mäandernden Melodiefetzen, geklimperten Klaviernoten und Geräuschen, deren Herkunft sich schwer bis gar nicht mehr identifizieren lässt, umhüllen Moor Mothers Vocals und die ihrer zahlreichen, sämtlich eher unbekannten Gäste.
Klassische Songstrukturen haben offenbar ausgedient, gerade einmal "Make A Circle" besitzt so etwas Ähnliches wie eine Hookline. Mit Ausnahme des knapp sechsminütigen "Tarot" reißt kein einziger Track die Drei-Minuten-Marke. Meist genügen schon weniger als zwei Minuten, um restlos zu verwirren.
Ganz ehrlich? Ich habe nicht den leisesten Schimmer, worum es auf diesem Album geht, wohl aber sehr nachdrücklich das Gefühl: Es muss etwas Übermenschgroßes sein. In Moor Mothers schamanischer Präsenz schwingen die Geister von Generationen mit, die Geschichte und das Leid der schwarzen Community, der Druck einer durchkapitalisierten Gegenwart und der Blick in eine technologisch überwachte, wenig ermutigende Zukunft.
Wähnt man sich in einem Moment noch in einem wuchernden Dschungel, katapultiert einen der nächste Track in eine orwellsche Dystopie. Eine Schwadron von Uhren diktiert den Takt, nach dem gefälligst alle zu marschieren haben. Wer ausschert und sich widersetzt, wird gnadenlos niedergemalmt, und in der Ecke kichert irre die Paranoia.
"Never thought I would live this way", ja, ernsthaft, wer hätte das schon? Trotzdem bleibt niemand hoffnungslos zurück: Moor Mother thematisiert (vielleicht) den Verlust ihres Vaters ("Rouge Waves"), aber auch (glaube ich) das Erbe und die Stärke schwarzer Frauen ("Make A Circle"). Letzten Endes gewinnt sie den "Clock Fight" - indem sie sich ihm entzieht: "Me ain't gonna fight no more."
Vor diesem Punkt liegen allerdings mehrere Höllenkreise des Wahnsinns. Nichts erscheint sicher, selbst in den wenigen heimeligen Momenten bleibt die absolute Gewissheit, dass die Stimmung jederzeit kippen kann. Unter jeder Oberfläche gähnt ein Abgrund. Die vielen, vielen Stimmen, mit denen diese "Encyclopedia" spricht, addieren sich zu einem irren Chor, der noch beängstigender erscheint als die schwer einzuordnende und entsprechend komplett unübersichtliche musikalische Ausgestaltung.
Moor Mother alleine zieht, was ihre Vocals betrifft, schon alle Register. Sie beherrscht eindringliche Spoken Word-Performance genauso wie berückende Beschwörungsformeln und atemlose Rap-Flows. In einem Moment steht ihre tiefe, warme Stimme unverfremdet da, im nächsten bekommen wir sie, durch mehrere Effekt-Fleischwölfe gedreht, elektronisch zerhackstückt kredenzt. Mal wirkt sie wie eine Voodoo-Priesterin, mal, als habe sich eine extraterrestrische Präsenz ihrer bemächtigt und teile durch sie ihre Anweisungen mit.
Dazu reichen die Darbietungen ihrer Featurepartner*innen von straightem Rap-Verse bis hin zu verwehtem Gesang. Die Stimmen schnattern, kichern, wispern durcheinander, als habe man ein Rudel Dämonen auf Speed mit dem erklärten Ziel im Hinterkopf, einen keinen einzigen klaren Gedanken fassen zu lassen. "I know you know we're doomed."
Wow, das war gruselig - aber auch intensiv und hochgradig faszinierend. Die vielleicht verrückteste Erkenntnis dieses verrückten Höllenritts: Am Ende fühlt man sich nicht komplett zerschmettert, sondern - im Gegenteil - sicher aufgefangen und merkwürdig getröstet. "Rise up. Who gon' hold us down?"
3 Kommentare mit 5 Antworten
Darf ich daraus schließen, dass Dani schon einmal einen Pilztrip erlebt hat?
Mir ist die Dame schon vorher aus Jazzrezensionen bekannt gewesen, weil das mein anderes persönliches Lieblingsgenre neben Rap ist. Sie produziert größtenteils Musik für Leser von Pitchfork oder Treble, also Musik, über die mehr gesprochen bzw. über die mehr berichtet wird als dass sie aktiv gehört wird. In diesem Pool an üblichen Verdächtigen haben sich in den letzten Jahren im Grunde 2 Gruppen herausgebildet - einerseits Leute, die ziemlich viel Krach machen und Brüllen und auf der anderen Seite Leute, die amorphe, durch etwas verzerrte Synthpads getragene Songs schreiben und darauf entweder Dadaeske Lautgedichte vortragen oder ihre Stimme in Vocodern und Hall versenken. Sie bedient beide Nischen, hat sich für diese Platte aber auf letztere fokussiert.
Dennoch - die Musik hat ihre Momente und ist nicht ausschließlich prätentiöse Scharade. Es ist ganz klar keine Rap-Platte, obwohl auf ihr insbesondere auf der ersten Hälfte mehrere Rap-Parts vertreten sind, die manchmal auch garnicht schlecht geraten sind, allerdings niemanden so richtig vom Hocker hauen, der genauer zuhört. Textlich und vom Vortrag her sind die restlichen Songs eher Slam Poetry, deren Inhalt man in etwa mit diesem Family Guy Clip zusammenfassen kann: https://www.youtube.com/watch?v=d49t6ahY0ac
Was gut ist, sind insbesondere die ersten Songs, die viel mit Piano- und Wurlitzersounds arbeiten und gut hörbare Rap Parts haben. Negativ sind die Slam Poetry Songs, die sich um etwas historisch wackelige Geschichtsthemen drehen (kennen die meisten prominent aus "I can") und mit den Synthie-pads bestückt sind, die ich vorhin erwähnt habe. Die Schamanen-Prediger-Esoterik Songs mit geflüsterter Stimme aus dem Vocoder sind etwas ungewollt komisch und verfehlen ihren Effekt.
Ich würde dem Ganzen 2,5/5 geben. Es ist nicht furchtbar oder hervorragend, sondern halt einfach ok. Aber es bringt keinen besonderen Mehrwert gegenüber anderen Künstlern und ist etwas derivativ - wer experimentellen Rap hören will, greift zu Shabazz Palaces, wer experimentellen Jazz hören will, greift zu Henry Threadgill und ist besser bedient als auf dieser Platte.
Eine andere Welt. Ernst gemeinte Frage: In welchen Situationen hört man das?
Irgendjemand nannte mal Karlheinz Stockhausens Musik "Musikkritikermusik" und das ist eine ganz gute Zusammenfassung der Hörerschaft. Gab's früher bei Mags aus Papier auch, das beste Beispiel von "Musikkritikermusik" ist "Philosophy of the World" von The Shaggs, eine Platte unmusikalischer Schwestern, die bei Musikkritikern beliebt wurde, weil sie scheiße ist.
Das Album hier ist größtenteils kompetent, was Musik angeht, bedient aber im Wesentlichen die gleiche Nische an Leuten.
Halt doch jetzt mal dein Maul.
@derweisehai
Ne
ihc dene das waisehai nich kan trage das andre auhx makke gudde comment. er is dan wie borderlinebiatch.