laut.de-Kritik
Mit Liebe im Herzen, Gold in der Kehle und dem Segen von oben.
Review von Dani FrommPlatten nach ihrem Cover zu beurteilen: in den meisten Fällen eine eher mäßige Idee. Trägt selbiges allerdings das Logo von Daptone Records, können Soul-Jünger so beherzt wie bedenkenlos zugreifen. Längst schon ist der Name der Plattenfirma aus Brooklyn in ihrem Bereich zu einem Gütesiegel avanciert. Bedanken dürfen sich die Gründer Gabe Roth und Neil Sugarman dafür (außer bei ihren eigenen offenbar unfehlbaren Näs- und Händchen für schwarze Musik) bei ihren Künstlern.
Neben Sharon Jones und Charles Bradley zählt auch Naomi Shelton seit den Anfängen kurz nach der Jahrtausendwende zur Labelfamilie. Sie sang bereits 2002 auf "Pure Cane Sugar" von den Sugarman 3. Drei Jahre gingen danach ins Land, bis sie zusammen mit den Gospel Queens das erste Album "What Have You Done, My Brother?" fertig gestellt hatte. Für den Nachfolger brauchten alle Beteiligten dann noch länger. Angesichts der Qualität, die "Cold World" nun auffährt, wird darüber aber kaum jemand meckern wollen.
Von ersten Ton von "Sinner" an entfaltet die Band rund um Cliff Driver all ihr Können. Fähigkeiten, die nicht aus dem Nichts kommen: Driver arbeitete bereits mit Jackie Wilson, Sam Cooke oder Solomon Burke, sein Kollege Jimmy Hill spielte mit Wilson Pickett. Niemand, der auch nur halbwegs bei Trost ist, würde es wagen, Fred Thomas zu erklären, wie man einen Bass hält: Der Mann tat dies lange Jahre in den Reihen von James Browns JB's. Erschütternd frisches Blut bringt Max Shrager ins Bandgefüge. Der Gitarrist zählt gerade einmal 17 Lenze und beweist: Mindestens ebenso stark wie Erfahrung fällt die absolute Hingabe an die Musik ins Gewicht. Davon besitzen alle Beteiligten eine ganze Menge.
Mag sein, dass es der extrem gemischten Altersstruktur der Band geschuldet ist. Vielleicht liegt es auch schlicht daran, dass diese teils gar nicht mehr so jungen Jungs ganz genau wissen, was sie tun: So oder so gelingen den durch die Bank fabelhaften Musikern gleich zwei Kunststücke. Zum einen bringen sie den Sound der 60er und frühen 70er Jahre aufs Tapet, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, davor in Ehrfurcht erstarrt zu sein. Was Naomi Sheltons Crew abliefert, fließt ihr scheinbar mühelos und derart organisch aus den Fingern, dass es nie rückwärtsgewandt, gestrig oder auch nur retro erscheint, sondern schlicht zeitlos.
Zum anderen bleibt die Combo ihrer hochkarätigen Besetzung zum Trotz genau da, wo eine Backing-Band hingehört: im Hintergrund. Die Bühne überlassen sie voll und ganz ihrer Frontfrau. Ein paar Minuten in der Gesellschaft ihres Gesangs reichen schon aus, um zu erkennen: Mit drögen Kirchenliedchen hat ihr Gospel nichts, aber auch gar nichts gemein - das hier ist ein Festakt.
Leicht angekratzt, kehlig, wie wettergegerbt klingt Naomi Sheltons Stimme, gerade in dem Maße, dass die Scharten, die das Leben schlug, den Glanz nicht zerstören, sondern noch betonen. "Please hear my plea", fleht sie in "Bond For The Promised Land". Der Allmächtige verpasste etwas, verschlösse er sein Ohr vor diesem Gebet, das selbst ungläubige Zeitgenossen die Kraft spüren lässt, die aus spiritueller Hingabe erwächst.
"Heaven Is Mine" verkündet Naomi Shelton mit der unerschütterlichen Selbstsicherheit derer, die felsenfest auf eine höhere Macht vertrauen. "It's A Cold, Cold World", zweifellos. So lange es aber Menschen gibt, die der Kälte entschlossen die Stirn bieten statt vor ihr zu kapitulieren, besteht noch Hoffnung. Also: "Get Up Child"! Dieser schmissigen Aufforderung können sich ohnehin nicht einmal die Erschöpftesten sehr lange widersetzen. Als zu mitreißend entpuppt sich der stampfende Groove, der unaufhaltsam Fahrt aufnimmt, bis nur noch eine Erkenntnis bleibt: "Oh, I got to move."
"I Don't Know" und "One Day" drehen sich in trägerem Dreivierteltakt, zu dem Blues und Soul eng umschlungen einen Walzer aufs Parkett legen. An anderen Stellen dominieren hüpfende Pianoläufe oder Gospel-typische Call-and-Response-Gesänge, die Naomi Shelton im Wechsel mit ihren Background-Sängerinnen bestreitet. Für jede der Ladys gilt: "I got love in my heart and I feel alright."
Mit Liebe im Herzen, Gold in der Kehle, dem Segen von ganz oben und diesen Musikern im Rücken - ernsthaft, was sollte da schief gehen? Kleiner Gesundheitstipp am Rande: Wer zu "I Earned Mine" nicht mitwippen und mitschnippen möchte, sollte dringend seine Vitalfunktionen überprüfen lassen.
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