laut.de-Kritik

Rohe Plattitüden kollidieren mit kreativem Potenzial.

Review von

Langsam machen sich auf der Deutschrap-Landkarte wieder die Südstaaten breit. Nicht aber die Altvorderen Stuttgart, München und Heidelberg, sondern unsere österreichischen Nachbarn. Hatten unlängst erst Kamp & Whizz Vienna mit dem Backpackjuwel "V.O.Z." bewiesen, dass die Alpenrepublik es nicht nur charmant, sondern auch real keept, schlagen nun der Halbitaliener RAF Camora und der Halbperser Nazar Töne vom anderen Ende der Klangfarbenskala an.

Halb und Halb - laut Adam Riese ein Ganzes, und in diesem Fall ein ganz Rundes noch dazu: Nazar, der bereits im letzten Jahr nicht nur ein einzelnes Brett, sondern mit der LP "Paradox" gefühlte fünf Ster Holz vor die Rap-Hütte knallte, ist längst kein Unbekannter mehr. Der Vergleich mag ihm nicht schmecken, aber er liefert aus dem 10. Bezirk Wiens par excellence das, was man sich von Bushido nach dessen Tempelhof-Manifest gewünscht hatte.

Wie ihm hört man seinem Partner RAF, der inzwischen in Berlin wohnt, die Herkunft deutlich an: Mit einem sympathischen Down-South-Slang schmiert einem auch dieser den mitunter recht pikanten F-Wortschatz aufs Brot – für ausufernde Technik-Sperenzchen oder famose Reimkunst interessieren sich dabei beide nicht groß.

Stattdessen trumpft RAF mit durchdringender Artikulation, Mut zum Gesang sowie im Chorus von "Wo Du Nicht Bist" mit seinen Franz-Kenntnissen auf. Kollege Nazar macht im Gegenzug seinem Namen alle Ehre und verwandelt mit seiner verhärmten Stimme Bosheit und Messerstiche in Schallwellen. Das akustische Markenzeichen von "Artkore": Stotter- und Repeat-Salven an allen Ecken und Enden.

Verbales Schattenboxen ist das Hauptprogramm, unterbrochen von ein paar Konzeptsong-Einlagen. So treibt einem zum Beispiel "Unsterblich" postwendend den Ghettodrama-Angstschweiß auf die Stirn, bietet dann aber doch ein Minimum an Gehalt und erlöst einen obendrein nach weniger als drei Minuten wieder aus der Schockstarre. Die Moralpfütze "Immer Mehr" schlägt in eine eher nachdenkliche Kerbe - Melodees mechanische Gastvocals dagegen dem Fass den Boden aus.

Produzent Phrequincy hat sich mit "Frequenz" ein souverän cruisendes Beatdenkmal gesetzt, dessen getunte Hook man verzeihen - und insgeheim sogar feiern - kann. Enttäuschend gerät dagegen der "Terminator Sound" von M3&Noyd. Von diesen Herrschaften ist man bislang deutlich breiter gebaute Soundkarossen gewohnt.

Was der Uptempo-Nummer "Wild Wild West" ihren Namen verleiht, muss mir bitte noch jemand erklären. Fest steht: Auch von Beatlefield bekam man schon deutlich deftigere Wuchtbrummen vorgesetzt. Einen Bonuspunkt heimst das Teil allerdings für die überraschende Sample-Reminiszenz ein.

Die "4 Sterne Deluxe" instrumentiert Nazar: Verschwurbelte Synthies für seine eigenen Brutalo-Parts, heroisch peitschende Akkordfolgen für einen melodiösen RAF - funktioniert wunderbar. Die Featuregäste Tarek und Maxim machen derweil, was K.I.Z. am besten können: eine politisch höchst unkorrekte Party auf Deinem Grab. Den fünf deluxen Sternen könnts gefallen, den undeluxen eher nicht.

Anders der "Zeitgeist": Spannender hat dieses Thema anno dazumal die Firma eingetütet, aber spätestens, wenn hier der individuell blubbernde und flimmernde Beat à RAF vornehm zurücktritt und dem Amboss-Organ von Sprachtot Platz macht, herrscht andächtige Ruhe im Publikum.

Spitzenreiter bildet mit Abstand der Titeltrack "Artkore": Multitalent RAF errichtet dafür eine bombastische Elektro-Soundmauer, die er anschließend zusammen mit dem Kompagnon in der Booth aufs Übelste niederreißt. "Ist es die Kick, Kick, Kick / Oder die Clap, Clap, Clap / Oder der Neid, der Dich zersägt?" Weder noch. Es ist die helle Freude.

Von orientalischen Synthie-Tragflächen getragen wird prätentiös klargestellt, "Wer Wir Sind". Inhaltlich bleibt es, der Sprücheklopferzunft gemäß, bei Oberflächen. In diesem Zusammenhang macht auch Fler seinen obligatorischen Pessimisten-Job auf dem Trauerflor "Hör Mal Wer Da Hämmert" einwandfrei. Eine Bitte: Gebt dem Mann mal wieder turbulentere Beats.

Ist der eigene Wertekanon einigermaßen gefestigt, sorgen spätestens klavierbegleitete Gangster-Lamentos wie "Reich Und Schön" für latentes Unbehagen: "Ich wollte ehrlich sein / Denn echte Männer lügen nicht / Doch auch echte Männer bluten / Wenn eine Klinge ihren Rücken trifft." Echte Männer skippen, wenn es zu schwülstig wird.

"Artkore" scheint mir in Summe ein bestens gewählter Albumtitel: Rohe Plattitüden kollidieren mit kreativem Potenzial. Aus dem vom Milieu diktierten, hartgesottenen Rahmen bricht das Ergebnis freilich nicht so recht aus. Dennoch schafft man stellenweise den rar gewordenen Kunstgriff, einen so breit getrampelten Hip Hop-Acker wie Maulhelden-Rap attraktiv umzupflügen.

Die schärfste Kritik trifft übrigens denjenigen, der die Idee hatte, 'Nazar versus RAF Camora' auf das Cover zu schreiben, denn so eingespielt und geschmeidig muss eine Rapkoalition erst mal klingen.

Trackliste

  1. 1. Ouverture
  2. 2. Wo Du Nicht Bist
  3. 3. Killabizzz
  4. 4. Angst
  5. 5. Unsterblich
  6. 6. Frequenz
  7. 7. 3 Generäle feat. Chakuza
  8. 8. Terminator Sound
  9. 9. Immer Mehr feat. Melodee
  10. 10. Artkore
  11. 11. Wild Wild West
  12. 12. 4 Sterne Deluxe feat. Maxim & Tarek
  13. 13. Zeitgeist feat. Sprachtot
  14. 14. Hör Mal Wer Da Hämmert feat. Fler
  15. 15. Wer Wir Sind
  16. 16. Reich & Schön

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