laut.de-Kritik

Das wäre doch mal was für die Weihnachtsfeier, oder?

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Eine alte Studioplatte ausgraben und sie Jahrzehnte später live aufführen - ein Konzept, das recht verbreitet ist und einerseits für Enthusiasmus (seitens der Fans) sorgt, machmal auch für Naserümpfen (seitens der Kritiker). Bei Neil Young einigen sich mehr oder weniger alle auf die erste Reaktion, erst recht wenn er seine Crazy Horse an den Start bringt und eines ihrer besten Alben auswählt.

Nicht " Everybody Knows This Is Nowhere", das Debüt von 1969, noch das monumentale "Zuma" von 1975 oder gar den Meilenstein "Rust Never Sleeps" von 1979. Doch hat auch "Ragged Glory", das gemeinsame Studioalbum Nummer sechs, seine Berechtigung: 1990 erinnerte es die damalige Jugend daran, dass Grunge keine Erfindung von Kurt Cobain war. Dreckige Riffs, existentielle Texte, Feedback bis zum Abwinken - Young und the Horse konnten das auch alles bestens.

"Weld", "Arc" (beide 1991) und "Way Down In The Rust Bucket" (2021 erschienen, aber 1990 aufgenommen) dokumentieren die damalige Tour eindrucksvoll. Doch wie hört sich das Material über 30 Jahre später an? Gut, wie das vorliegende Album zeigt, das seinem Titel einem der Lieder verdankt. "Fu##in' Up" hieß damals freilich noch "Fuckin' Up".

Die Aufnahme fand am 4. November 2023 statt und war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Am Auffälligsten: Neben Young standen gleich zwei Gitarristen auf der Bühne. Der "neue" (wie so oft bei Young eine lange Geschichte), Nils Lofgren, war eigentlich für seine Stammcombo, der E Street Band, gebucht. Da Bruce Springsteen aber einige Auftritte absagen musste, hatte er plötzlich Zeit. Micah Nelson zu Hause lassen, den Sohn von Willie und Frontmann von Promise of the Real, mit denen Young in den letzten Jahren auch einige Platten aufgenommen hat? Blöd. Also wurde das Duo zum Trio.

Außerdem ereignete sich der Auftritt im kleinen Club und Restaurant "The Rivoli" in Toronto, vor wenigen geladenen Gästen. Eine Privatparty, um den 50. Geburtstag von Dani Reiss zu feiern, dem CEO des Anorak-Herstellers Canada Goose.

Neid. Plauschtauglich war der Auftritt allerdings nicht, denn Young, Nelson und Lofgren hatten hörbar Spaß, das Maximum aus Verzerrern und Röhrenverstärkern rauszuholen. Das zieht die Songs in die Länge - "Valley Of The Hearts (Love To Burn)" und "A Chance Of Love (Love And Only Love)" etwa sind mehr als 10 Minuten lang. Das mit den Klammern scheint sowas wie ein Spaß zu sein, denn bis auf "Farmer John" haben die Songs neue Titel erhalten. Dazu ist die Reihenfolge eine andere und "Mother Earth" fehlt, aber das hat Young ja schon solo vor kurzem neu aufgenommen.

Was sagt der Meister persönlich dazu? "Das letzte Mal, als wir live gespielt haben, war so toll! Ich hatte eine tolle Zeit. Die hatten wir alle. Ich hatte jahrelang mit Arthritis in der Hand gespielt und endlich einen Weg gefunden, die Schmerzen ohne Medikamente zu umgehen, so dass ich so spielen konnte, wie ich es wollte. Die letzte Show war eine einmalige Erfahrung. Die Jungs sagten alle, als wir die Bühne verließen: 'Das war ein wirklich gutes Konzert!' Alle Jungs, sogar Ralph!!! Es war ein ganz besonderer Abend! Wir haben es festgehalten. Nichts Neues. Nur meine alten Songs und Horse, aber ich fühlte mich so großartig, mein Gesang war frei und leicht. Ich kann mich seit Jahrzehnten nicht mehr an einen solchen Abend erinnern", schreibt er auf seiner Webseite, den Neil Young Archives.

Ein nettes Zeitzeugnis also, veröffentlicht ohne großen Rummel zum Record Store Day am 20. April (auf klarem Vinyl), aber auch auf schwarzem Vinyl und als CD erhältlich. Schade nur, dass die Zugaben nicht dabei sind - "Cinnamon Girl" und "Rockin' In The Free World".

Nun gut. Die zwei wichtigsten Erkenntnisse: Neil und The Horse, wie sie sich auf dem Cover nennen, rocken immer noch gewaltig. 2024 leider nur in Nordamerika. Außerdem: Sie lassen sich für Privatkonzerte buchen. @redaktion: Das wäre doch mal was für unsere Weihnachtsfeier, oder?

Trackliste

  1. 1. City Life (Country Home)
  2. 2. Feels Like A Railroad (River Of Pride) [White Line]
  3. 3. Heart Of Steel (Fu##in' Up)
  4. 4. Broken Circle [Over And Over]
  5. 5. Valley Of Hearts (Love to Burn)
  6. 6. Farmer John
  7. 7. Walkin' In My Place (Road Of Tears) [Mansion On The Hill]
  8. 8. To Follow One’s Own Dream (Days That Used To Be)
  9. 9. A Chance On Love [Love And Only Love]

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4 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Catchy Rocksongs, und Folksongs, das kann er. Aber politisch hat er sich schon mehrfach daneben gegriffen; die angebliche Streaming Problematik...naja,.- aber der Bush Angriffskrieg gegen den Irak mit Let it Roll zu inszenieren...-das war richtig saumäßig. Und zuletzt in der C-Zeit traf er auch voll. daneben.

  • Vor 6 Monaten

    Gehört leider zu seinen verzichtbaren (Live) Platten.

  • Vor 6 Monaten

    Auf- oder einlegen, laut aufdrehen, Augen zu und hoffen, dass dieser Sound in Europa noch einmal zu hören sein wird.
    Trotzdem es schon X Liveplatten von ihm gibt, trotzdem er nun schon alt ist, trotzdem Poncho nicht mehr dabei ist und trotz einer exklusiven Geburtstagsfeier in einem kleinen Club, kracht und rumpelt die Band wunderbar. Und die Versionen lassen sich durchaus vergleichen.
    Zwei Wehrmutstropfen: Die Songs sind am Schluss geschnitten und gehen gleich in den nächsten über bzw. wurde das Publikum (vielleicht aus rechtlichen Gründen) rausgeschnitten. Und die beiden Zugaben Cinnamon Girl und Rockin' In The Free World sind leider nicht dabei.

  • Vor 2 Monaten

    Gehört zu seinen absolut unverzichtbaren Alben, allein schon wegen 'Country home' - ein Song für die Ewigkeit!