laut.de-Kritik

Step by step bergab: Der tiefe Fall der Refrainkönige.

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Stuttgart, im Herbst 1990: Vor der Schleyerhalle warte ich mit meinem Kumpel auf den Einlass, um endlich Depeche Mode live zu sehen. Inmitten dieses Pulks an ziemlich ausnahmslos schwarz Gekleideten die spontane Agit-Idee: Was wäre hier wohl los, wenn diese stilversessene Puristenveranstaltung ein Furchtloser (besser eine Furchtlose) im New Kids-Shirt stören würde?

"Shake The Disease" hieß einer der Songs, die ich an diesem Abend von Englands glorioser Boygroup der 80er noch hören durfte und beschrieb ziemlich exakt meine Gefühle gegenüber der damals brandneuen Boygroup aus Boston. Man war ja selbst Popper, aber so doch bitteschön auch wieder nicht. Ernsthaft eben. Nicht zu haben für dauergrinsende Synchrontänzer. Millionen von kleinen Schwestern waren nicht meiner Meinung.

2008: Mit dem nötigen Abstand, einer Prise Reife und einem Schuss väterlicher Nachsicht muss ich konstatieren, dass Songs wie "Step By Step" oder "Hangin' Tough" immer noch genauso peinlich sind wie damals. Indes: Mitsummen konnte man sie immer, diese leichten, knuffigen, kalorienarmen Melodien. Audio-Snacks für den kleinen Hunger zwischendurch. Ist heute ja so wichtig wie damals.

Nur: Was bedeutet es für das besonders in den USA als Mega-Rückkehr hochgejazzte Comebackalbum der Band, wenn von "The Block" keine einzige Melodie mehr hängen bleibt? Liegt es nur an der geradezu kriecherischen Hinwendung an zeitgemäße R'n'B-Sounds? Oder hat es vielleicht damit zu tun, dass Gäste wie Ne-Yo, Akon und die Pussycat Dolls der tumben Austauschbarkeit nur die Krone aufsetzen?

Schon beim Opener "Click Click Click" versackt der Wiedererkennungswert der ehemaligen Refrainkönige in den Startlöchern. Stattdessen klickert ein tausendfach gehörter, minimalistischer Handclap-Beat vor sich hin, über den einer der fünf Knödeltaschen mit den Worten "dress" und "body" die zu erwartende lyrische Glanzleistung vorweg nimmt.

Es folgt das sinnig betitelte Stück "Single" mit einer Rap-Einlage von Ne-Yo, die in Wort und Stil und ohne Scherz an den guten alten Schweizer Haudegen DJ Bobo erinnert: "Everybody in the club right now". There's a party! Dass der hier einsetzende Harmoniegesang ansatzweise alte Zeiten aufleben lässt, machen Vocoder-gestützte Soundgimmicks leider prompt zunichte.

And the beat goes on: Die Musik auf "The Block" bietet nichts, was alte Anhänger an ihrer Band schätzten oder potenziell neue Fans zum illegalen Download verführen könnte. Dies gilt explizit auch für die erstaunlich rar gesäten Uptempo-Nummern.

"Big Girl Now" etwa rummst erneut schwer elektronisch voran und präsentiert wieder diesen widerlichen Cher-Vocodereffekt. Hochglanzpolierte Wegwerfmusik im besten Sinne, in diesem Fall unterstützt von Lady Gaga. Ein Sommerhit für Autofahrer mit verchromten Felgen, die an roten Ampeln ihr Fenster (oder ähnliches) nicht hochkriegen. Da wünscht man sich beinahe das Songwriting des alten New Kids-Managers Maurice Starr zurück.

Dass Joey McIntyre, Donnie Wahlberg, Danny Wood und die Gebrüder Jordan und Jonathan Knight auf Promofotos zum Album im "Reservoir Dogs"-Look auflaufen, setzt dem Schwachsinn die Krone auf.

Als erwachsene Männer zeigen sich NKOTB passenderweise nur im Song "Grown Man" und zwar ausdrücklich nicht wegen der beteiligten Pussycat Dolls, sondern aufgrund des groovenden, zusammen gesampleten Rhythmusgerüsts. Die Nummer könnte man als R'n'B-DJ im Club spielen ohne rot zu werden, die Interpreten erkennt ja eh keiner.

Ziehen einem mal nicht die technisch aufgehübschten 08/15-Arrangements die Schuhe aus, so sind es die Texte. Etwa wenn Donnie Wahlberg sein Traummädchen in der Single "Summertime" noch bis auf ihre Flip Flops anbetet. An anderer Stelle dann der überfällige Schlachtruf: "Hey Mr. Bartender, please make me a pina colada". Ich sag mal: Einer wird kaum reichen, um Songtitel-Einfälle wie "Dirty Dancing" und "Sexify My Love" zu verdauen. Rülps.

Interessant an "The Block" ist denn auch lediglich die Erkenntnis, dass NKOTB heute nicht mehr mit Ex-Kollegen wie den Backstreet Boys konkurrieren, die ihrem Stil weitgehend treu geblieben sind, sondern mit Popstars der Vergangenheit, die sich einen modernen Stil aneignen. Stichwort: Timbaland, hier übrigens zu Gange auf "Twisted". Besser macht es das ausdrücklich nicht. Mal schauen, ob die kleinen Schwestern von damals gleicher Meinung sind.

Trackliste

  1. 1. Click Click Click
  2. 2. Single
  3. 3. Big Girl Now
  4. 4. Summertime
  5. 5. 2 In The Morning
  6. 6. Grown Man
  7. 7. Dirty Dancing
  8. 8. Sexify My Love
  9. 9. Twistet
  10. 10. Full Service
  11. 11. Lights, Camera, Action
  12. 12. Put It On My Tab
  13. 13. Stare At You
  14. 14. Close To You

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11 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    hehe "widerlicher cher-vocodereffekt".. den satz find ich gut =D. bis auf den bandnamen und donni wahlberg kenn ich nix von denen. zum glück hat shake the disease sonst nix mit der band gemeinsam.. puh

  • Vor 16 Jahren

    Mit Schrecken erinnere ich mich an diese ersten Ausgeburten der Boygroup-Retorten-Hölle. Das waren finstere, finstere Zeiten. Ja, den Merchandising-Horror gab's schon vor Hiroshima Jugendherberge... Wer schon mal eine Nacht in einem Bett mit NKOTB-Grinse-Bettwäsche verbringen musste (und das als Kerl), der wird gleich mir diese Reunion als Zeichen der Apokalypse deuten.

    Und der Engel bließ die nächste Posaune... Von wegen Heuschrecken, Meere und Flüsse voll Blut - wahrscheinlich fallen als nächstes wieder die Herren Stock, Aitken und Waterman ein weiteres Mal mit Jason Donovan, Rick Astley und einer aus den 90ern geklonten Grinse-Minogue über uns her.

  • Vor 16 Jahren

    Das man von denen nochmal was hört.... :D

    Als NKOTB-Fan der ersten Stunde werde ich mir allerdings doch mal den einen oder anderen Song anhören. Nur um zu sehen, ob der gute Jordan immer noch seine extrahohe Eunuchenstimme hat (weißer Schimmel....ich weiß).

    "Tonight, Tonight!"

  • Vor 16 Jahren

    ...an dem Album ist sicherlich (teilweise) angebracht. Da es sich aber verkauft wie warme Semmeln (Platz 2 Billboard Charts), entbehrt es sich schonmal jeglicher Kommentar in Richtung "wer will das heute noch hören?". Kritik an diesem "Review" fällt übrigens schon leichter! Zunächst einmal "rappt" Ne-Yo nicht auf dem Album. Die angesprochene Passage ist von Donnie Wahlberg. Wer das nicht raushört, erkennt bestimmt auch den Unterschied zwischen Dave Gahan und Martin Gore auf den Depeche Mode Alben nicht... Naja, geschenkt.

  • Vor 15 Jahren

    Alles klar, lieber Kritiker.

    Ne-Yo rappt seit Neuestem. Wusste ich nicht. Warum gibt man dieses Album einem Kritiker, der schon vor dem Hören einen Stern vergeben hat und nicht mal die Motivation hat zu recherchieren?

  • Vor 15 Jahren

    Damals und heute scheiße. Krass was so alles aufgewärmt wird..