laut.de-Kritik
Experimentierfreudig, atmosphärisch und frisch wie selten.
Review von Dominik KautzDrei Jahre nach "Winter" veröffentlichen New Model Army ihr mittlerweile 15. Werk. Darauf zeigen sich die Engländer erneut in bester Verfassung und klingen dabei so experimentierfreudig, atmosphärisch und frisch wie selten. Als Produzenten für die aktuelle Scheibe fungierten, wie bereits auf dem Vorgänger, Lee Smith und Jamie Lockhart.
Zwei Prämissen liegen der aktuellen Platte zugrunde. Die erste: "Wir haben oft gehört, das Album tot sei. Wir glauben nicht, dass das stimmt." Die zweite: " Wir lieben trostlose, offene, kalte und schroffe Landschaften." Das Material für "From Here" haben Sänger Justin Sullivan und Co. über zwei Monate in akribischer Kleinarbeit kompositorisch grob skizziert.
Ausgearbeitet und aufgenommen wurden die Songs anschließend im Rahmen einer nur neuntägigen und sehr intensiven Recording-Session im Winter dieses Jahres in den Räumen des Ocean Sound Recordings Studio, in der magischen Abgeschiedenheit der kleinen norwegischen Insel Giske. "Für uns war das der perfekte Ort, um kollektiv etwas zu erschaffen. Während wir arbeiteten, konnten wir durch die Fenster immerzu den Himmel, das [Eis]Meer und den schmelzenden Schnee auf den Bergen sehen. Alles war in einem Zustand stetigen Wandels", schreibt die Band über das besondere Setting während der Aufnahmen.
Diese inspirierende Atmosphäre hört man den zwölf Tracks auf "From Here" in jeder Note an. Dazu trägt auch die offene Arbeitsweise beim Ausarbeiten der Songs bei, für die sich New Model Army im Vorfeld des Studioaufenthaltes entschieden hatten. Wie Mastermind Justin Sullivan im Interview erzählte, lautete eine der Grundregeln während des Aufnahmeprozesses, keine musikalische Idee per se abzulehnen, ohne sie eingehend auf ihre Songdienlichkeit getestet zu haben. Somit enthält "From Here" zusätzlich ein gewisses Element der Freiheit, das den melancholischen, dennoch immer treibenden Songs mit einer neu gewonnenen Tiefe bestens zu Gesicht steht.
Das zeigt sich bereits beim ungewöhnlichen und hypnotischen "Passing Through". Spärlich instrumentiert, baut sich der Song, getragen von Sullivans beschwörendem Organ, fast schon bedrohlich und stetig anschwellend auf. Der grandiose Opener ist eine eindringliche Aufforderung, in sich zu gehen, innezuhalten und, getragen von der Hektik des Alltages, einen Gang zurückzuschalten.
Dass sie trotz aller Zurückhaltung nichts von ihrer archetypischen, ekstatischen Energie verloren haben, beweisen sie unmissverständlich mit dem stampfenden und hymnenhaften "End Of Days", der ersten Single aus dem Album. Mit subtil wütenden Zeilen wie "We are bored of the fireworks / We want to see the fire / We're long past being careful of what we wish for" singt Sullivan gegen das überlaute und unerträgliche Geschrei aller Trumps und sonstiger zeitgenössischer Nationalisten dieser Welt an.
Auch die zweite Single "Never Arriving" und das stark ohrwurmlastige "Where I Am" reihen sich in diese Richtung ein und gehen mit donnernden Drums und betörenden Gitarren in bester Post Punk-Manier direkt nach vorne.
Etwas ruhiger, aber dennoch rockig geht es in "The Weather" zu, in dem sich Sullivan die derzeitige selbstzerstörerische und entzweiende Lebensführung, die von gnadenlosem Egoismus voran getriebene Umweltverschmutzung und die damit verbundene Blindheit des Großteils der Gattung des homo oeconomicus zur Brust nimmt. Mit den Worten "We fetishize the things we love and then kill them anyway" streut er Salz in die klaffenden Wunden, die der Neokapitalismus schlug. "The Weather" ist ein eindringliches Statement gegen die Nach-mir-die-Sintflut-Attitüde der Moderne.
Dass aber noch lange nicht alle Hoffnung verloren ist und es nach wie vor genug Menschen gibt, die sich als spirituelle Wesen wahrnehmen, ist der Inhalt vom ruhigen und sehr getragenen "Setting Sun". Der Song entstand nach einer Beobachtung Sullivans an einem Strand, an dem die anwesenden Besucher ehrfürchtig und im friedlichen Einklang einen spektakulären Sonnenuntergang betrachteten.
Lautmalerisch geht es in "Maps" zu. Mit seinem fast schon bedrohlichen klingenden Cellomotiv, das über den gesamten Songverlauf immerzu vom Bass gedoppelt wiederholt wird, ist dieser Track einer der ungewöhnlichsten auf der Platte. Die schon in Bereiche des Post Rocks entführenden, hallgeladenen und gefühlt ewig ausklingenden Single Notes der Gitarre, unterlegt mit dramatischen Schlagzeug-Ausbrüchen, bilden die Weite des skandinavischen Raumes perfekt ab und lassen Bilder von mystischen Nordlichtern vor dem geistigen Auge erscheinen.
Insgesamt gleicht "From Here" einer nachdenklichen Reise und muss am Stück gehört werden, da sich anfangs manchmal sperrig anmutende Songs erst nach mehrmaligem Hören in voller Gänze erschließen. Die Schlussworte des finalen "From Here", "So let's all go home now, look ourselves in the mirror / Throw our heads back and laugh", stehen exemplarisch für die Aussage des Albums.
Als Gesamtwerk ist "From Here" ein eindringlicher Appell, einen Schritt zurückzutreten und einen kritischen Blick auf uns selbst als Menschen zu werfen, um ein Bewusstsein für das große Ganze zu entwickeln. Alles geht somit auch gefühlt etwas entspannter zu, ohne dabei an Intensität und Protestkraft zu verlieren.
Im ersten Moment mag das etwas abschrecken. Wer sich aber auf das Abenteuer einlässt, der wird, getragen von dem speziellen Klangbild der Platte, ein sehr gereiftes und hervorragend produziertes Werk entdecken. New Model Army liefern mit "From Here" ein äußerst vielfältiges, abgeklärtes und tiefsinniges Album ab.
10 Kommentare mit 2 Antworten
Unglaublich, was diese Band im Herbst ihrer Karriere noch für eine Entwicklung genommen hat. Sehr sympathische Band.
Finde ich auch.
Wahnsinn ... und dann auch noch Olli Schulz an den Vocals!
auf dem Niveau bringen in Serie eigentlich nur die Peppers mit Frusciante, Nick Cave zu Boatsmans Call Zeiten und Slayer zu Seasons Zeiten Alben heraus. Stark.
Das Album reiht sich nahtlos an Blood and Wine, Winter an. Winter finde ich etwas schwungvoller, letztlich überragend und somit "besser", wenn man das überhaupt sagen kann. Diese Songs sind langsamer, etwas düsterer aber nicht zwingend negativ. Das Album erschließt sich voll erst nach mehrmaligem Hören. Ich gebe der Scheibe 12/15. Sullivan hat gesagt, sie haben nur neun Tage im Studio gebraucht (wobei die Songs etwas länger vorher geschrieben wurden). Das Einzige, was mir negativ auffällt ist, dass gerade die Gesangslinien hier und da etwas einfallsreicher sein könnten. Hier gings vielleicht etwas zu schnell. Man denke nur an einen Hit-Ohrwurm wie "March in September" oder "Born Feral" (letzterer von WINTER). Sowas fehlt hier. Trotzdem sehr gut.
ja, ich muss auch sagen, dass Winter die etwas besseren Songs hat.
40 Jahre Bandgeschichte mit Höhen und Tiefen. Die Thunder/Consolation lief bei mir in der Dauerrotation ...
In den Nullerjahren hing die Qualität durch und ich die Truppe aus den Augen. Seit Between Dog/Wolf ist meine Aufmerksamkeit aber da, weil der alte Spirit wieder aufblitzt.
Klasse neues Album. "Never Arriving", "Hard Way" und " From Here" sind Übersongs.
Wer mehr über die Bangeschichte erfahren möchte, lege ich die Banddoku von 2014 "Between Dog And Wolf" ans Herz.
Freue mich wie ein Schneekönig auf das heutige Konzert in der HH - Markthalle !