laut.de-Kritik

Dystopischer Cyber-Industrial voller Aggression und Wehmut.

Review von

Trent Reznor und Atticus Ross genießen für ihre Film-Soundtracks seit Jahren einen stabilen Ruf. Sie sind mittlerweile so etwas wie das Schweizer Taschenmesser für Hollywood aufgrund der Vielseitigkeit der Genres, die sie bespielen: Industrial-Electro in "The Social Network", Dark Ambient in "Gone Girl", Americana inspirierter Akustik in "Bones And All", Rave-House in "Challengers" oder jazzigen New Age in "Soul", einem Disney-Animationsfilm. Die Entertainment-Maus dachte sich nun, den "Tron Legacy"-Nachfolger könnte das Duo auch stemmen, jedoch unter dem Banner der Band Nine Inch Nails. Ein Novum für Reznor und Ross, denn das gab es noch nie bzw. nicht für einen Film, lediglich für das Videospiel "Quake" aus dem Jahre 1996.

Die Trailer zu "TRON: Ares" sprechen eine andere Sprache als der Vorgänger. Stach "Legacy" noch durch ein gleißendes neon-blaues Design hervor und wirkte eher wie eine Cyber-Märchenwelt, geht das Licht beim dritten Eintrag des Franchises aus. Neon-Rot, viel Action bei Nacht, existentielle Fragen, Konflikte, Mensch versus Maschine sowie KI. Zudem heißt der griechische Gott des Krieges ebenfalls Ares. Entsprechend clever stellt sich die Wahl auf die Noise-Könige aus Cleveland dar.

Im Gegensatz zu Daft Punk verzichten NIN komplett auf ein Orchester, alles ertönt digital. In vier der 24 Songs tritt Frontmann Reznor selbst ans Mikrofon und beim Großteil des Albums unterstützen Produzent Hudson Mohawke sowie der deutsche Boys Noize. Dessen Einfluss war schon der Leadsingle "As Alive As You Need Me To Be" überdeutlich anzuhören, in der Industrial und Techno zu einem dissonanten Rave fusionieren. Wuchtig, geradlinig und mit Nachdruck lassen sie keine Zweifel aufkeimen.

Durchaus nobel zu betrachten, dass es nicht nur eine lose Single darstellt, sondern seine Melodien sich in etlichen Tracks widerspiegeln, wie beim Cyberpunk-getränkten Bruder "Infiltrator", der kleinen Schwester "Target Identified" mit zusätzlichen bzw. abgeänderten Instrumentalparts oder auch dem aufheulend sirenenhaften "New Directive".

"Ares" entspinnt eine Dichotomie aus Aggression und Wehmut, Auflehnung und Trauer. Zwischen all das mechanische Getöse pflanzen NIN immer wieder beruhigende Elemente, stille Rückzugsorte der Erinnerungen. "Echoes" beherbergt ein verträumtes Piano, das über verspult-iterierendem Ambient dahintröpfelt.

Der helle, schnell oszillierende Lichtstrahl "Permanence", das gar hoffnungsvolle Interlude "Out In The World" oder das melancholische Highlight "100% Expendable", das danach klingt, als würde man einen Androiden zu Grabe tragen. Die entrückt-verschrobene Ballade "Who Wants To Live Forever?" mit der spanischen Singer-Songwriterin Judeline liefert einen weiteren Beleg dafür, wenn eine süßlich stolpernde Melodie im Cybermoloch versumpft.

Soundfetischisten finden an drei Stellen hochinteressante Perlen: "This Changes Everything" bezirzt mit kratzigem Sequenzer, House-Beat und tollem Programming. Das abwechslungsreiche "Daemonize" kommt schrill, pulsierend, knisternd und cineastisch daher und eröffnet bezaubernde Klangwelten. Das bombastische "Building Better Worlds" zollt Tribut an den Wendy-Carlos-Soundtrack des ersten "TRON" aus den 80ern sowie an Daft Punks "Legacy" und kippt es in einen sakralen Synthwave.

Gegen Ende franst das Album etwas aus, die Songs sind kürzer, manche nur Fortsetzungen von Vorherigem, anderes wiederum verhält sich stark knarzend, extrem verzerrt oder brummend aufbrausend. Doch den großen Knall lassen sich Nine Inch Nails nicht nehmen: "Shadow Over Me" wirft nochmal alles in die Waagschale mit wütendem Tonus, das alles bisher Gehörte spektakulär kulminiert.

"TRON: Ares" porträtiert dystopischen Cyber-Industrial, stets bedrohlich und unbehaglich. Es fiept, rauscht, poltert, dröhnt. Eine musikalische Vision, die Vorfreude auf den bald erscheinenden Film evoziert, stellt sie doch erneut einen integren, fast schon omnipräsenten Bestandteil dar.

Trackliste

  1. 1. Init
  2. 2. Forked Reality
  3. 3. As Alive As You Need Me To Be
  4. 4. Echoes
  5. 5. This Changes Everything
  6. 6. In The Image Of
  7. 7. I Know You Can Feel It
  8. 8. Permanence
  9. 9. Infiltrator
  10. 10. 100% Expendable
  11. 11. Still Remains
  12. 12. Who Wants To Live Forever?
  13. 13. Building Better Worlds
  14. 14. Target Identified
  15. 15. Daemonize
  16. 16. Empathetic Response
  17. 17. What Have You Done?
  18. 18. A Question Of Trust
  19. 19. Ghost In The Machine
  20. 20. No Going Back
  21. 21. Nemesis
  22. 22. New Directive
  23. 23. Out In The World
  24. 24. Shadow Over Me

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