laut.de-Kritik
Elektronik küsst Prog-Rock.
Review von Philipp KauseDieses Album vom Duo-Projekt No-Man ist die Metamorphose einer Komposition, 36 Minuten lang. "Love You To Bits" enthält somit keine runden, abgeschlossenen Songs. All diese Fragmente und Streckenabschnitte der Komposition zeitigen Gesangsanteile, eher nicht typisch für eine progressive Elektronikproduktion. Aber so ist das bei Tim Bowness eben, der im klassischen Sinne ein Geschichtenerzähler sein kann und über seine Stimme zum Hörer sprechen will. Nett wabbelnde Verzerr-Effekte befinden legen sich auf die Vocals. Gut, größere Geschichten erzählt Bowness mit Porcupine Tree-Kollege Steven Wilson hier nicht, es geht um Eindrücke, Zustände, Momentaufnahmen einer Liebes-Selbstanalyse: "Eyes are tired of weeping / heart is tired of beating", stellt er da fest. Mit jeder neuen verbalen Beschreibung von Sehnsüchten paart sich ein neuer Soundeffekt, es blubbert und fiept.
Das interessante Ambient-Rock-Experiment bezieht viele Stile ein und durchläuft verschiedene Geschwindigkeiten. Die Songs schließen auch nie ab, sondern leiten gleitend in den nächsten Track über. So kann man das Ganze schon als Konzept-Platte betrachten. Seit 1987 gibt es No-Man. Die beiden Masterminds, samt neuen Begleitmusikern, beweisen sich nach langer Pause als gut geöltes Team. Die Legende des Booklets besagt, man habe seit 25 Jahren an den Aufnahmen gearbeitet.
Als Anspieltipp dient sich "Love You To Bits (Bit 4)" an. Wilson und Bowness entscheiden sich da zur Hälfte hin für starke Delays auf dem Gesang, Industrial-Noise vom Feinsten, computerspielartige Pling-Geräusche und ein trockenes Speedmetal-Schlagzeug. Was alles nicht zusammenpasst, unterhält als pausenlose Untermalung und ermüdet den Hörer nie. Bevor eine Idee auszubluten droht, tritt ein neuer Stimulus auf den Plan und zieht einen weiter in diese Soundwelt hinein. Gut, das ist die typische Wirkung fast aller Produktionen, an denen sich Steven Wilson beteiligt. Diese Handschrift prägt auch die vorliegende süße Stimmungs-Scheibe.
Goldig arrangierte Bläser-Takte vom Dave Desmond Brass Quintet runden "Love You To Bits (Bit 5)" und "Love You To Pieces (Piece 1)" quasi weihnachtlich ab. "No more arrivals / No more departures" wird im Ohr haften bleiben. Vieles wirkt schnell eingängig und entwickelt sich zum angenehmen Begleiter im MP3-Player. Die brillant klirrende Soundklarheit macht die gleichmäßige Musik attraktiv und catchy.
Spiralförmige Durchdrehungen der Tonleitern in einem trance-housigen Korsett formen sich zu schönen Elektronik-Loops ab "Love You To Pieces (Piece 2)", das den Fusion-Höhenflügen von Weather Report und Konsorten abgelauscht zu sein scheint und nach einer Aufwärmphase von Takt zu Takt mehr mitreißt. Die Platte rinnt in zartsphärischem Minimal-Indiepop aus ("Love You To Pieces (Piece 5)"), mit der Erkenntnis, dass "die Zeit verschwand", "time disappeared". Der letzte Ton der Platte ist ein abrupt abgeschaltetes Radiofrequenzpfeifen.
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