laut.de-Kritik

Unlive-Live-Werk einer Gereiften und doch Stagnierenden.

Review von

Auf "...'Til We Meet Again" erleben wir Norah Jones live, durchweg in einer so brillanten Tonqualität, dass man das Setting schnell vergisst, außer wenn sich zwischendrin mal Applaus regt. Vieles, das eine Konzertplatte üblicherweise leistet, erfüllt diese Kollektion nicht. In anderen Punkten, wo man oft Abstriche machen muss, übertrifft dieser Tonträger jede Erwartung. Die Mitschnitte entstammen acht Abenden aus drei Tourneen.

Pickt man eines der (vielen) Highlights heraus, "I've Got To See You Again", verblüfft ein langes Intro. Schlagzeug-Strecke folgt auf Orgel-Solo. Die Konstellation Orgel – Piano – Percussion – Kontrabass unterhält in der gestreckten Songfassung später sogar eine volle Minute lang hervorragend. Der Gesang muss also gar nicht die Hauptrolle einnehmen.

Auch wenn das Phänomen Norah Jones manchmal so wirkt, als reduziere es sich auf sie alleine, nutzt sie doch recht geschickt Kompositionen, Texte und spielerische Potenziale ihrer Kollegen, und doch erscheint sie als Chefin, bindet alles zusammen – weil immer, selbst während eines Percussion-Parts, die Erwartung ihrer zutraulichen, sicheren Vocals mitschwingt.

Bis einschließlich "After The Fall" harmoniert alles erst mal ganz wundervoll. Diesen Song vom recht durchmischten Album "… Little Broken Hearts" gab es bisher kaum als Live-Mitschnitt, also auch selten in Videos.

Norah trägt "After The Fall" zart-wehklagend vor, dabei aber mit starkem Nachdruck – Sie bringt die bittersüße Melodie so vollends zur Geltung. Und gibt dem Stück viel Zeit, um sich langsam auszurollen, mit frei stehenden Takten, in denen Piano und Drums dem Publikum ein paar Impulse zum ruhigen Nachdenken setzen. Zum Sinnieren über den Text und die darin beschriebenen Sehnsüchte.

Schwierig wird es immer dort, wo die Musik phasenweise in Routine verödet. Dann etwa, wenn sich hier in der Album-Mitte immer die gleichen Stimmungen, Geschwindigkeiten, Klangfarben, Intonations-Ansätze wiederholen. Was schon mal darauf zurückzuführen ist, dass schwache Zugpferde die Luft aus dem anfänglichen Flow rauslassen, sekundäre und semi-spannende Releases aus Norahs Gesamtwerk.

Doch im letzten Drittel kriegt die CD wieder die Kurve, mit "Sunrise", "Don't Know Why" und "Flipside". "Sunrise", eine Single von 2004, büßt hier zwar die viersaitige, riesige Banjoline ein, die damals auch in der Zeichentrick-Kulisse des Videos auffiel. Der jetzt live verwendete Kontrabass wirkt dafür seriöser und klangsatter, wertet das damals allzu luftig-leicht-loungeig hingetupfte Stück Akustik-Pop auf. Norah transportiert mit dem Stück viel mehr Soul als damals. Alleine wie sie das "pri-i-i-ise" in surprise" hier dehnt und verschauspielert, die Überraschung gegenständlich macht, fügt diesem Live-Best-Of etwas preisverdächtig Verruchtes hinzu.

Viele Stücke wachsen dank mehr Länge an Qualität und reifen nach. Zum Beispiel schält sich "Flipside" aus dem Studioalbum-Korsett heraus. Aus netter Easy Listening-Begleitmusik entsteht ein ansatzweise bluesiges und intensiveres Werk. Das Gefühls-Auf- und -Ab in den Lyrics drückt sich besser aus als im Original. Brauchten Orgel und Hi-Hats dreieinhalb Minuten, um die Geschichte zu untermalen und gestattete Norah sich zwei kurze Gefühlsausbrüche, so dehnt sie den gleichen Song live fast bis aufs Doppelte.

Dabei ist live nicht gleich live. Schaut und hört man vergleichsweise "Flipside" auf der DVD "Live At Ronnie Scott's" (2017), fing das Blue Note-Label hier auf dem Mitschnitt aus Rio de Janeiro eine sehr viel bessere Fassung ein. In der Londoner Version bei Ronnie Scott, brach sich die anrührende und eingängige Melodie der Hookline sekundenweise im Refrain ihre Bahn, das schon. Doch guckte man genau hin, machte Norah um die Mundwinkel herum einen genervten, angespannten Eindruck. Stimmlich erfüllte sie nur ihre Pflicht, das Spiel drum herum ermüdete und wirkte repetitiv. Auf dem neuen Tonträger geht die Bandleaderin bei dieser Nummer hingegen aus sich raus.

Es gibt so viele Songs von Norah Jones, die schon auf so vielen Live-DVDs nachzuvollziehen waren, dass ein Umstand überrascht: "'Til We Meet Again" darf sich als erstes Konzertalbum von Norah rühmen. Die Hauptunterschiede zu den bisherigen Darbietungen: Es wurden nicht ein Konzert-Venue oder zwei Locations mitgeschnitten, sondern ein Best-Of aus guten Bühnenmomenten zusammengebaut. Brillante Klangqualität und Vinylwürde scheinen oberste Kriterien gewesen zu sein. Dabei hätte es tolle Gesamt-Abende zuhauf gegeben.

Klickt man ein bisschen durch YouTube, fallen schöne Mitschnitte auf, deren Vorteil in der organischen Dramaturgie und den Vibes einer bestimmten Location steckt. Die Selektion begünstigt recht neue Stücke: "Begin Again", "Falling", "I'll Be Gone" und "It Was You", wobei "Begin Again" und "It Was You" das Ganze bereichern und bei "I'll Be Gone" nun Duett-Partnerin Mavis Staples fehlt. Die Auswahl integriert aber auch "Black Hole Sun" von Chris Cornell. Der Klassiker taucht hier nun in einem unerwarteten Kontext auf. Norah Jones performte ihn 2017 zu Ehren von Cornell, es ist die einzige Aufnahme, die so weit zurückreicht.

Jones spielt ihn solo am Klavier. Sie wandelt den Gitarrentitel in eine siebenminütige, epische Ballade um. Stimmlich zeigt sie sich von ihrer cremigsten, sanftesten Seite. Die Sängerin klingt wie eine schmusende Katze, cheesy, es ist kein wirklich gutes Cover, aber ein interessantes. Das surreale, existenzialistisch und triste Lied passt so gar nicht zu Norah Jones, schlurft doch recht viel Grunge-Depression mit. Soundgardens Gitarrist Thayil bezeichnete den Song damals im Billboard-Magazin als "die Löffelspitze Zucker, mit der man Medizin besser runterschlucken kann". Bei Norah hingegen steht der Song ein bisschen verloren in der Landschaft, wirkt zart, mit Klecksen und Schnörkeln verziert, aber: Das Publikum kreischt und tobt. Und deswegen muss man die Aufnahme mal gehört haben.

Wie Cat Powers "Satisfaction" ohne Refrain oder "Lola" von den Natural Born Hippies - aus der imaginären Reihe '1.000 Coverversionen, die die Rock-Welt ad absurdum führten'. Die Positionierung am Ende der Tracklist ergibt sich wohl aus der Schwere des Songs, Peter Frampton spielte ihn auch gerne am Konzertende – andererseits fehlt eine Einordnung umso mehr. Welchen Bezug hat die Künstlerin zu Soundgarden?

Allgemein fehlen Ansagen, und auf Dauer nervt das. Nun sind Konzerte von Norah grundsätzlich arm an Zwischen-Entertainment, aber doch auch keine gar so unverbindlichen Einzelsong-Sammlungen. Sie fragt da sonst schon mal, wie es dem Publikum geht und überbrückt hie und da technische Probleme. Ihre meisten Ansagen sind zwar generell sparsam und etwas schüchtern, aber es gäbe sie - diese ganze Spontaneität geht hier flöten, und so ist "'Til We Meet Again" ähnlich sexy wie kostenpflichtige Streaming-Konzerte bei wackligem WLAN. Eine Feuer entfachende Live-LP könnte da noch weitaus mehr bieten.

Vor allem lässt die Setlist viele Wünsche offen und sackt mittig für etliche Tracks in Country-Blues-Folk-inspiriertes Midtempo ab, spart aber haufenweise Highlights aus dem großen Norah-Songkatalog aus. Das zutiefst groovige "Day Breaks", das versunkene "Light As A Feather" oder das sportliche, mitreißende "It's Gonna Be" würden dieses Live-Best Of deutlich aufwerten.

Auch Norahs interessante Rolle als Teilzeit-Gitarristin geht unter; kein einziges Beispiel mit ihr an den sechs Saiten. Ebenso wenig schaffen es Klangfarben aus dem Spektrum von Flöte bis metallophonen Percussions in die hiesige Auswahl. Als Maximalbesetzung treten drei bis vier Leute auf, obwohl bei Norah oft fünf die Bühne füllen.

Klar hat sich die Sängerin sehr aufregend weiterentwickelt, wenn man etwa die ersten Alben mit heutigen Live-Darbietungen alter Songs vergleicht. Sie stagniert aber in punkto Bühnen-Charisma. Sie steht inzwischen für weitaus mehr als nur für Jazz-Pop und Akustik-Songwriting. Doch gerade davon fängt das Album zu wenig ein. Wem ein Ausschnitt genügt, der wird mit der großartigen Soundqualität gut versorgt, erhält nichtssagendes, oft grob herunter gepegeltes Applaus-Rauschen (einzig bei "Black Hole Sun" frenetischem Jubel) und lang gestreckte Versionen, die manchmal ausleiern, öfter aber ihre Länge verdienen. Eine sehr gute Repräsentation von Jones' Bühnenschaffen hätte aber viel tiefer schürfen und viele Pluspunkte sammeln können.

Trackliste

  1. 1. Cold, Cold Heart
  2. 2. It Was You
  3. 3. Begin Again
  4. 4. Those Sweet Words
  5. 5. I've Got To See You Again
  6. 6. After The Fall
  7. 7. I'll Be Gone
  8. 8. Just A Little Bit
  9. 9. Falling
  10. 10. Tragedy
  11. 11. Sunrise
  12. 12. Flipside
  13. 13. Don't Know Why
  14. 14. Black Hole Sun

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