laut.de-Kritik
Wenn Air und The Cure auf Vivaldi treffen ...
Review von Oliver LambrechtDas Leben der Maria Antonia Josepha Johanna, Erzherzogin von Österreich, stand unter keinem guten Stern. Ein Tag vor ihrer Geburt zerstörte ein Erdbeben Lissabon, und ihrer Mutter drohte mit/während der immerhin fünfzehnten Schwangerschaft gar der Tod. Kein Wunder, dass das Leben der Adeligen 1793 unter der Guillotine endete. Trotz allem lässt sich festhalten: Die Frau hat es weit gebracht. Von Wien nach Paris. Von Tochter des Österreichischen Kaisers zur Gattin des Königs von Frankreich. Und sterben müssen eh alle.
Basierend auf dem Buch "Marie Antoinette: Eine Reise" von Antonia Frasers, drehte Sofia Coppola ihr drittes Werk, und Brian Reitzell kompilierte dazu gleich zwei CDs. Über den großzügigen Daumen gepeilt erreicht der Soundtrack nahezu die Länge des Filmes.
Dem vorliegenden Soundtrack gelingt, was sich bei "The Virgin Suicides" ankündigte und mit "Lost In Translation" nahezu in Perfektion umgesetzt wurde: Die Hintergrundbeschallung entwickelt ein Eigenleben, die Genuss auch ohne bewegte Bilder ermöglicht.
Vor allem auf der ersten, der gitarrenlastigeren CD. Gleich zu Beginn wandeln Siouxsie & The Banshees durch den "Hong Kong Garden", Bow Wow Wow steuern hierzu ihr "Aphrodisiac" bei, und die Szene scheint bereitet. Möge sich die von Kirsten Dunst verkörperte Marie Antoinette hierin doch bitte austoben. Kenner wissen, dass dies auch geschieht. Die "Rock und Rokoko Königin" (Le Monde) wandelt auf den Pfaden von Pippi Langstrumpf, schafft sich ihre eigene Welt in einer sowieso schon entrückten höfischen Sphäre. Nicht nur auf der Leinwand, sondern auch in der Musik.
Aber wenn schon Astrid Lindgren, dann auch bitte ein paar Schweden. Deshalb Vorhang auf für The Radio Dept. Gleich dreimal leihen die Vorzeige-Labradore ihr Liedgut. Grob umrissen als der Spaziergang durch den Park: "Pulling Our Weight", der Spaziergang durch den Nieselregen: "I Don't Like It Like This" und der nächtliche Spaziergang bei Nieselregen durch den Park: "Keen On Boys". Stets mit einem Lächeln, zwischen Melancholie, Euphorie und der Gewissheit: es geht voran, es geht weiter.
Natürlich darf bei Sofia Coppola ein Stück von Air nicht fehlen. Die Herren Dunckel und Godin steuern exklusiv das Instrumentale "Il Secondo Giorno" bei. Fast fünf Minuten Besinnlichkeit, die sich verträumt nähern und schmerzlos vorbeischlurfen. Die Franzosen zeigten sich auch schon mal stärker.
Drohendes Ungemach kündigt sich jeweils vielleicht mit The Cure an. "Plainsong" und "All Cats Are Grey" beschließen die jeweiligen Seiten. Eine echte Existenzangst stellt sich jedoch nicht ein, soll auch nicht Thema des Filmes sein. Gott sei Dank. Andernfalls wäre das Durchhören ja mit Qualen verbunden und der Hörer um den Genuss von New Orders "Ceremony" oder The Strokes "What Ever Happened" gebracht.
Neben den Vertretern der Neuzeit tummeln sich auch unter anderem Antonio Vivaldi ("Concerto In G") oder auch der damalige Hofkomponist Francois Couperin ("Les Barricades Mysterious"). Da fast keines der Lieder ohne Hall auskommt und auch eher auf geistiger Ebene mitreißen, tun sich hier weniger Kontraste als vielmehr interessante Schnittmengen auf.
Die zweite Seite hinkt vom Tempo ein wenig der ersten hinterher, der Stimmigkeit der Kompilation tut dies jedoch keinen Abbruch. Damit sich das Werk zwingend ins Gedächtnis, Herz oder Ohr der Musikfreunde einbrennt, fehlen jedoch die musikalischen Aufhänger.
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