laut.de-Kritik
Four to the floor mit Sia aus der Bad Bitch Academy.
Review von Philipp KauseDas Cover-Bild von "Infinite Icon", der Opener "Welcome Back" und die Vorab-Single "I'm Free with Rina Sawayama" erzählen schon eine Menge über dieses Projekt, das zweite Album von Paris Hilton. 2006, als ihr Name die Titel alle Hochglanz-Magazinen zierte, veröffentlichte sie ihr Debüt. Weg war sie nie, aber im Kontext Songwriting und Gesang gilt: "Welcome Back".
Seither scheint für sie die Musikwelt stilistisch eingefroren zu sein. Ultra Natés und John Ciafones "Free", das sie in "I'm Free with Rina Sawayama" prägnant sampelt, war sicher einer der Tunes, der sich aus der House-Welle Mitte der 90er super durch die 2000er rettete, allemal stark gesungen und neulich von Ty $ Sign und von Icona Pop schon recycelt. Als DJ legt Paris unentwegt auf, und da vermanscht sie in ihren Sets Raver-Momente mit Trap, Drill, EDM und Charts-Hooklines.
Dass sie Musikliebhaberin ist, kann man ihr einigermaßen abkaufen. Allerdings werden wohl viele Hobby-Hochzeits-DJs ihre technischen und dramaturgischen Skills beim Abmischen übertreffen, und um ihren Geschmack ist es recht übersichtlich bestellt. Sie schätzt, was plakativ klingt, knallt, zügig zum Höhepunkt kommt und im Sound eher stumpf vibriert statt Höhen- und Bass-Sättigung auszuschöpfen. Sie ist die Totengräberin von allem Experimentellen in der Clubmusik. In ihrem reaktionären Umgang mit simplen Rezepten, die immer funktionierten, ist sie quasi die Philipp Amthor der Elektronik. Offenkundig herrscht dafür eine große Nachfrage.
Wo sie beim Auflegen Rave hoch hält, des eigentlichen Rave-Kerns um Schwitzen, Ausdauer, Beschleunigung und gepitchte Stimmen beraubt, sorgt sie bei den neuen Studio-Produktionen für ungefähr das Gleiche: Rotziges Four to the floor gewinnt. Die Ästhetik ist egal, der Wille zählt. Ähnlich ist das bei ihrem Style, der immer Teil der Marke Paris Hilton war. Ihre Haare sehen aus, als ob sie Glätteisen-Testerin sei, und sie sind somit im perfekten Einklang mit den Beats, deren Soundkurven so flach gebügelt sind, dass es in einer Schraubenfabrik am Fließband kreativer klingt.
Zum Grammy-Award erschien sie in einer Meerjungfrau-Robe, und was sie dort sagte, war so glitschig wie das Kleid: Girls würden die Welt im Griff haben, was man an Miley Cyrus (sic!) sehe. Ihr Schritt zum Mutter-Sein habe ihr Verhältnis zur Musik von Grund auf verändert, weil (!) ihr Kind Phoenix gerne ihren UB40-Klau "Stars Are Blind" als Schlaflied höre. Hammer-Begründung!
Im Video zu "I'm Free" erfahren wir: "No one in the room can take my crown", und ihr Tanzen ist mehr ein Gleiten als eine rhythmische Schrittfolge. Zusammengefasst geht es auf "Infinite Icon" darum, dass wir uns auf Paris' Electro-Party alle lieb haben, aber bitte ohne zu emotional zu werden. Dass wir musikalisch bitte keine Ansprüche haben, sondern sofort jubeln, sobald eine Frau sich traut, so zu sein wie es sie am wenigsten Selbstkritik kostet, und dass alles gut ist und es nichts gibt, worüber man nachdenken muss.
"Infinite Icon" ist ein 'kleines' Thema, zwar immerhin ein physischer Release auf CD, andererseits ohne Label oder Plattenvertrag, über die Alternative Distribution Alliance ADA. Das ist die Warner-Tochterfirma, über die Indie-Artists das digitale und physische Netzwerk von Warner nutzen können und sich Bürokratie-Kram vom Leib halten. Bei Warner hat wiederum Sia einen Vertrag, und "Infinite Icon" ist ein bisschen ihr Album. Sie hat es koproduziert, zumindest etliche Tracks, die Hälfte mit komponiert, ihr Team an Bord geholt, und sie hat zwei Features.
Weitere Feature-Slots gebühren Rapperin Megan Thee Stallion, aktuell schon fast Kategorie Superstar, Meghan Trainor, zwischenzeitlich mal ein Hype-Star, der weit 'größer' in den 2010ern als Paris selber war, Stichwort "All About That Bass", mmpf mmpf, und María Becerra, Millenial, vegan, bisexuell, empowernd. Ihr Karrierestart in Argentinien, mit Comedy und Tanz-Tutorials via Facebook und YouTube führte zu Reggaeton- und Salsa-Zitaten in ihrem Latin Trap-Pop. Dass eine Künstlerin mit so vielen zeitgemäßen Eigenschaften und so viel stilistischer Offenheit dann bei einem so konventionellen Tune raus kommt, ist schade. Die Qualität von "Without Love with María Becerra" taugt aber mit rhythmisch feinen, federnden Effekten und einem gewissen Stomp im Beat als Arschtritt, um in der Ecke stehende Leute im Club auf den Dancefloor zu ziehen.
Totalausfälle hagelt es dagegen reichlich. Über das kommerzschrottige Schlagerbeat-Gedudel "Legacy" brauchen wir wohl kaum diskutieren, der Billigst-Urban-Pop "Adored" langweilt, "Chasin' with Meghan Trainor" klingt selbst gelangweilt und außerdem so nichtssagend wie "Stay Young", ein pflichtschuldiger Kotau an den Dance-Mainstream der 2010er. "Infinity" macht etwas in meinen Ohren richtig Dummes. 1987/88 gab es ja den Hit "Heaven Is A Place On Earth" für Belinda Carlisle, und in seiner ersten Zeile kommen der Himmel und Erde noch nicht vor. Sondern "Ooh Baby, do you know what it's worth" und auf die Melodie, die darunter legt, setzt Paris nun ihre Worte "heaven on earth". Credits für die Song-Autorenschaft gehen offiziell an Meghan Trainor und ihren Bruder, den Podcast-Host Ryan. Dass bereits der Einstieg und die tragenden Elemente des Songs geklaut sind, bleibt unerwähnt. Dann lieber die deutschsprachige Version von Mia Julia. Einfallslose Tischtennis-Beats bei Paris und unmotiviert drauf geklatschtes Auto-Tune verschlimmern die Sache.
Weil sich eine Paris Hilton eh alles erlauben kann?! Zumindest konnte sie sich schon beim ersten Album eine Plagiatsklage leisten. Trotzdem, man sollte so fair sein, in ihr nicht einfach nur die vielfach aktive, prominente Personality-Frau zu sehen. Schlagzeilen produziert sie nur noch mit ihrem Einsatz für den Jugendschutz, sie ist heute eben auch Mutter und aus dem It-Girl-Alter raus. Es gibt ja dann doch drei Gründe, die für die Platte sprechen, Gründe namens Sia, Megan Thee Stallion und Jesse Shatkin. Der Keyboarder, Komponist, Drummer, Producer und vieles mehr hat bereits in den letzten zehn Jahren viel mit Sia gearbeitet, auch einer langen Liste an Auftraggeberinnen von Kelly Clarkson bis zuletzt Freya Ridings. Deren Schlusslied auf "Blood Orange" stammt von ihm.
Für "ADHD" möchte ich der Platte bescheinigen, dass trotz des miesen Umfelds dieser Song für sich genommen die Höchstwertung verdient. Diese typische 'dreh-mal-lauter'-Nummer wechselt Abschnitte ohne Beat, flächig, nur mit Streichern/Tasten, mit Phasen voll fetttriefender Kick-Drums. Paris macht hier stimmlich eine sehr gute Figur. Gemäß den Merkmalen von Pop, populär sein zu wollen, eingängig zu sein, creamy und auch mal weich sein zu dürfen, ist es ein vorbildliches Stück für die Ewigkeit.
Zumindest gut unterhaltend, mal in Eighties-Modus, mal moderner, sind das schön ausproduzierte "Fame Won't Love You with Sia" mit melancholischem Unterton und eruptivem Drum-Machine-Rock für die Hookline, sowie das nette "If The Earth Is Spinning with Sia", bei dem ich mich fragte, wann die USA zum ESC antreten werden (Australien ist ja oft dabei).
Schließlich bleibt von der Platte die Hymne und Zählübung "BBA Bad Bitch Academy with Megan Thee Stallion" haften. Vom Popo-Wackeln bis Drink-Organisieren diktieren uns die zweite beteiligte Megan und ihre Gastgeberin beim Zählen bis Sechs, wie junge Frauen im Club den Ton anzugeben haben. Dass sie dabei nur Machismus nachahmen und allzu beschwipst von sich selbst Zustimmung für ihr aufgesetztes Selbstbewusstsein erheischen, fällt ihnen wohl nicht auf.
Öffentliche Statements von Hilton befassen sich eher mit autobiographischen Erlebnissen emotionaler, handgreiflicher und sexueller Gewalt, mit denen sie seit ihrer Jugend struggelte. So sehr, dass sie lange ein Problem damit hatte, Mutter zu werden. Es ehrt sie, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen, trotzdem verwechseln Songtexte wie "BBA" oder "I'm Free" Feminismus und das modische Self-Empowerment meines Erachtens nach mit Narzissmus. Sie feiern, dass nur man selbst super toll ist und alle anderen das bitte zu bestätigen haben.
4 Kommentare mit 5 Antworten
musik für craze
Paris natürlich Ehrenfrau confirmed, seid Ionen.
Musik für Dubai-Influencer.
Mua ha ha...das passt
Das reiche Töchterchen hat mal wieder Langeweile gehabt.
wenn wir ihr glauben, hat die gute frau ne ziemlich hässliche jugend gehabt.
das bild von ihr, mit dem sie berühmt/berüchtigt wurde, ist von ihr konstruiert und entspricht nicht der wahren paris hilton. sie halt relativ viel geld durch dieses image/ diese erfundene rolle gemacht und lebt wohl weniger von dem geld ihrer eltern
Mittlerweile tut sie das sicher nicht mehr, aber sie wäre nicht da wo sie ist wenn ihre Eltern nicht gewesen wären.
wenn ihre eltern nicht gewesen wären, wäre sie nicht in dieses internat für auffällige jugendliche gekommen, wo sie misshandelt und missbraucht wurde und sich als coping die kunstfigur paris hilton erschaffen hat...
Wenn die so aussieht wie auf dem Cover. Skeet skeet.