laut.de-Kritik
Synthesizer-Exzesse, Catchiness und große Gefühle.
Review von Andrea TopinkaPopmusik muss nicht platt sein. Einen weiteren Beweis dafür lieferte Passion Pit 2012 mit dem zweiten Album "Gossamer". Die strahlenden Synthie-Melodien begleitete Michael Angelakos' Lyrics über die Auswirkungen seiner bipolaren Störung. Von vielen Kritikern ob dieses Kontrasts bejubelt stieg er damals in die Top 5 der US-Charts ein.
Diejenigen, die dennoch musikalische Ideen vermissten, wird der Nachfolger "Kindred" ebenfalls enttäuschen. Wer nur nebenbei lauscht, hört eingängige Bridges und Refrains, fröhliche Synthesizer und Handclaps, begleitet von einer Falsett-Stimme. Wer sich davor nicht fürchtet, sich darauf einlässt, der bewundert die aufwendige Produktion und freut sich mit dem Songwriter, dass er die sonnigeren Seiten des Lebens wiederentdeckt hat.
Bereits der Opener "Lifted Up (1985)", wie so oft angesiedelt zwischen 80er/90er Elektropop und Revivalerscheinungen wie Empire Of The Sun, ist für die neue Grundstimmung bezeichnend. Auf der einen Seite handelt er von Angelakos' hart ausgetragenem Kampf gegen seine Krankheit: "Now the rain and the thunder are clashing / The sun's got a smile 'cross the face / Oh, but yeah, I'm so tired / I fight so hard and come back beaten". Auf der anderen Seite berichtet er von dem Glück, durch seine Ehefrau Halt gefunden zu haben.
Der hatte er schon "Gossamer" gewidmet, und auch in den neuen Songs kreisen seine Gedanken immer wieder um sie. Von Dankbarkeit ihr gegenüber berauscht ist "All I Want" ein Beispiel für Passion Pits Schichttechnik: Die Grenzen zwischen Gesang und Elektronik verwischen spätestens, wenn der Chorus mit vielfach gedoppelten und gefilterten Vocals einsetzt. Der Effekt ist rührend.
Der Blick in die Zukunft mit ihr inspirierte auch "Until We Can't (Let's Go)", einen Höhepunkt der Platte. Schriller als gewohnt jauchzt Angelakos: "Someone said stop hestitating / We both know we're suffocating / Let's go find ourselves a home / And find ourselves a home". Synthesizer pfeifen hyperaktive Melodien dazu, die an den Hit "Take A Walk" erinnern.
Trotz des positiven Wandels sind die psychischen Probleme des Amerikaners präsent: Die Ballade "Looks Like Rain" ist elektronisch reduziert und gefüllt mit gräulichen Bildern. Im von Drumbeats gehetzten "Whole Life Story" entschuldigt er sich für frühere Verfehlungen.
Eingerahmt werden die Erzählungen vom lose verbundenen Zweiteiler "Five Foot Ten (I)" und "Ten Feet Tall (II)". Thema ist die Erkenntnis, dass Angelakos sich nicht mehr hinter einer Maske verstecken will, sondern an einem Ort angekommen ist, an dem er sich akzeptieren kann. In "Ten Feet Tall (II)" nutzt er außerdem Autotune – glücklicherweise zum ersten und einzigen Mal auf der Platte. Mehrwert hat es keinen, es entstellt lediglich seine zerbrechliche Stimme.
Davon abgesehen hat "Kindred" alles, was man sich erhoffen kann, wenn man nicht nach bahnbrechender Musik sucht. Passion Pit ist erneut wie ein Bonbon, süßlich und bunt. Doch der Mix aus Synthesizer-Exzessen, Catchiness und großen Gefühlen trifft direkt ins Herz. So muss Pop sein.
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