laut.de-Kritik
La La Love It: Der zweite Meilenstein der Alternative-Götter.
Review von Michael SchuhSie darf zwar die ersten Noten der Platte spielen, aber der verdiente Entfaltungsspielraum für ihre Songideen wurde Bassistin Kim Deal schon auf dem zweiten Pixies-Album "Doolittle" verwehrt. Bandgründer und Songwriting-Platzhirsch Frank Black sah sich 1988 bereits genötigt, seine Kollegin an der kurzen Leine zu halten, nachdem diese mit "Gigantic" (neben "Where Is My Mind" wohl der bekannteste Pixies-Song) auf dem Vorgänger einen Instant-Classic abgeliefert hatte.
Um seinen Herrschaftsanspruch zu unterstreichen, ging Black auf "Doolittle" sogar so weit, den Drummer einen Song singen zu lassen ("La La Love You"). Damals sicher eine bittere Lehrstunde für Deal, andererseits muss man neidlos anerkennen, dass Black 1988/89 immer noch wahnsinnig geniale Rocksongs schreiben konnte, die sich nicht hinter dem stets höher in der Kritikergunst stehenden "Surfer Rosa"-Auftakt verstecken mussten.
25 Jahre nach Erscheinen liegt nun die überfällige Hommage in den Läden: Das Originalalbum "Doolittle" ergänzen zwei weitere CDs, auf denen sich 13 glühende Peel Session-Tracks und 22 Demoversionen tummeln. Ein Eldorado für Nostalgiker, aber auch für Neuentdecker, zählt doch "Doolittle" neben dem Pixies-Debüt zu jenen Alben, die jeder besitzen muss, der sich für die Saat des Genres Alternative-Rock im Allgemeinen und für Laut-leise-Dynamiken im Besonderen interessiert.
Zwar ließ sich die Frage, welches der beiden Alben zum laut.de-Meilenstein gekürt werden muss, auch in dieser Redaktion relativ zügig klären. Das im April 1989 erschienene "Doolittle" ist nicht weniger zukunftsweisend, nimmt den Faden des Debüts vom ersten Song an nahtlos auf und erzählt all das, was zwei Jahre später Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" in 4.31 Minuten (Single-Version) noch mal für alle Schwerhörigen rezitierte.
Kurioserweise ahmte Kurt Cobains Gruppe auch die stilistische Entwicklung der Boston-Kings nach: Ging es auf ihrem Sub Pop-Debüt "Bleach" 1989 noch krachend und lo-fi-spaßig zur Sache, hobelte Butch Vig für die Major-Produktion "Nevermind" bekanntlich so lange an den Tracks herum, bis sogar MTV die Zeichen der Zeit erkannte. Genauso ging "Doolittle"-Produzent Gil Norton vor, dem eine gänzliche andere Vorstellung von Raumklang vorschwebte als dem kompromisslosen "Surfer Rosa"-Mann Steve Albini. Ihm sagte man nach, manche Spuren auf der Studio-Toilette einspielen zu lassen.
Klang das Pixies-Debüt daher noch unmittelbar wie ein Live-Gig, testete "Doolittle" deutlich vernehmbar die Studio-Möglichkeiten aus, die der Vorschuss des Majorlabels Elektra einforderte. Eine weitere Parallele zu Nirvana ist, dass Frank Black im zweiten Anlauf mit weitaus eingängigeren Demos ankam ("Wave Of Mutilation", "Gouge Away", "Here Comes Your Man", "Monkey Gone To Heaven") und die Band eine leichte Sound-Veränderung anstrebte. Mit den zwei letztgenannten Singles als Appetizer hatten die Pixies Fans und Kritik sofort auf ihrer Seite, das Album wurde zum Hit und erreichte in England die Top Ten.
Drummer David Lovering erinnert sich: "Ich war ungeheuer stolz, als wir die fertige Platte damals zum ersten Mal am Stück hörten. Sie klang so groß und vollendet – ich konnte kaum glauben, dass wir das waren." Eine Einschätzung, die man diesem Klassiker bis heute attestieren darf.
Der Opener "Debaser" fegt gleich alle Ängste weg, die Band könnte sich aufgrund des Elektra-Deals ein handzahmes Korsett aufgedrückt haben lassen. Deals knackigen Basslauf nimmt Joey Santiago mit euphorischen Gitarren auf, bevor Black wieder harakirihaft Ungereimtheiten heraus krakeelt. So brüllte ich jahrelang im Refrain "I am moon shine and I lose ya", bis ich irgendwann zufällig über die Luis Bunuel-Referenz stolperte ("I am un chien andalusia").
"Tame" ist ohnehin zügelloser Wahnsinn pur, getoppt nur von der intensiven Peel Session-Version, in dem Blacks und Deals gemeinsam gestöhnter "Ah-hah-hah"-Mittelteil zumindest den im Oktober 1988 lauschenden, britischen Zuhörern von John Peels Radioshow eine ganz neue Form von Audio-Erotik zukommen ließ.
Zu den 21 (!) bislang unveröffentlichten Titeln zählen besonders die Demos, die meistens schon in unpolierter Form den poppigen Anstrich der finalen Tracks vorweg nehmen. "Here Comes Your Man", hier bereits in einer Version von 1986 zu hören, war der Band wohl zu glatt für "Come On Pilgrim" und "Surfer Rosa".
Für Fans ist es natürlich spannend, die Songs im Kokon-Status zu hören, etwa wenn Ringleader Black in "Gouge Away" lässig einzählt: "Go ahead Dave, one, two, ready, go" und die Nummer dann straight ohne Schreiattacken tatsächlich singt ("singen" im Sinne von Lou Reed, versteht sich). Kim Deals Gesang ist auf der "Tame"-Demoversion nicht vertreten, dafür lacht sie am Ende des schlampig umherirrenden "Debaser".
Da wusste sie wahrscheinlich noch nicht, dass ihr Sir Francis nur ein einziges Mal Songwriting-Credits gestatten würde, nämlich für den majestätischen Slow-Blues "Silver" (der selbstverständlich auf der damaligen Tournee nie gespielt wurde). Doch nicht einmal den würdigen Album-Schlusspunkt gönnte Black ihr und setzte stattdessen sein atmosphärisch leider völlig deplatziertes Uptempo-Rockstück "Gouge Away" ans Ende. Was Deal seinerzeit an Song-Ideen anzubieten hatte, erfuhr die Nachwelt kurz darauf auf dem Breeders-Debüt "Pod".
So sehr der "Surfer Rosa"-Sound bis heute als unmittelbare Krawallorgie gefeiert wird: Produzent Gil Norton, der auch die kommenden zwei Pixies-Alben und später noch die Foo Fighters ("The Colour & The Shape") produzierte, gebührt das Verdienst, der nach wie vor unberechenbaren Rockband ungeahnte Pop-Momente abzutrotzen. Nichts anderes tat zwei Jahre später Butch Vig mit Nirvana. Das letzte Pixies-Album "Trompe Le Monde" erschien am gleichen Tag wie "Nevermind". Unmittelbar danach löste Frank Black die Band auf.
1 Kommentar mit einer Antwort
sollte es mich wider erwarten doch mal auf diese ominöse einsame insel verschlagen und ich müsste 3 alben für die ewigkeit wählen, ich käme wahrscheinlich nie dort an, weil ich mich nicht zwischen doolittle und surfer rosa entscheiden könnte
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.