laut.de-Kritik

Elegische Songs spenden Wärme: perfekt für den Herbst.

Review von

"A friend in need's a friend indeed." Mit dieser Zeile aus "Pure Morning" eröffnen Placebo ihre zweite Werkschau "A Place For Us To Dream". Die Alternative-Rockband war immer ein guter Freund und stand leidenden und missverstandenen Seelen treu zu Seite. In den 90ern fungierten sie mit ihrer ungezügelten Jugendlichkeit auf dem selbstbetitelten Debüt als Sprachrohr für die Teenage Angst. Molkos eindringliche Stimme gepaart mit leidenschaftlichen Gitarrenriffs berührten die schwelenden Adoleszenten ungemein.

Schon auf ihrem Zweitling "Without You I'm Nothing" kreierten Placebo einen frühen Meilenstein mit filigranen, ruhigeren Songs und kollaborierten sogar mit David Bowie. In der Folge legten sie quasi einen Genre-Eckpfeiler nach dem nächsten hin. Spätestens seit "Meds" gehören sie zur Elite der Rockmusik.

Danach jedoch verabschiedete sich mit Drummer Steve Hewitt leider auch das feinfühlige Schlagzeugspiel. Mit dem wilden Steve Forrest wurde es laut hinter Brian Molko. "Battle For The Sun" und "Loud Like Love" standen zwar immer noch für Melancholie und Verletzlichkeit, nur berührten sie nicht mehr.

Wer auf die Tracklist schaut, sieht schon früh einen ganz fremden Titel: "Jesus' Son". Die Single aus der separat erhältlichen EP "Life's What You Make It" überzeugt mit einem wunderbaren Gitarrensolo und einer sich aufbauenden Dramaturgie. Abermals fällt hier das Schlagzeug, das sich der Band besser anpasst – dank Matt Lunn, der seit 2015 die Knüppel in der Hand hält. Ansonsten wirkt die EP ereignisarm und beinhaltet mit zwei Live-Versionen von "Twenty Years" eigentlich den Song, der auf dieses Album gehört hätte.

Einer der bekanntesten Hits der Band, "Every You Every Me", findet sich auf dem Soundtrack zum Film "Eiskalte Engel". Mit der fiesen Grundstimmung, einem herrlich überlegenen Molko und dem überbordenden Ende schafft die Band eine schauerlich-einnehmende Atmosphäre.

Placebo hatten schon immer ein Händchen dafür, unaussprechliche Gefühle musikalisch darzustellen. "The Bitter End" zündet mit bittersüßer Melancholie inmitten metallischer Wände eine Kerze an: "From the time we intercepted / Feels a lot like suicide / Slow and sad, grown inside us / Arouse and see you're mine / See you at the bitter end."

Den schönen Gedanken, dass Seelenverwandte auch nach dem Tod für uns da sind, verpacken Placebo im intensiven und kraftvollen "Soulmates", dem Zwillingsbruder des berückenden und sensiblen "Sleeping With Ghosts". Somit besteht kein Grund zur Sorge: "Soulmate dry your eye / 'Cause soulmates never die."

Wenn man einen geliebten Menschen dem Abgrund entgegenlaufen sieht und man nichts mehr tun kann, dann ist es Zeit, Lebewohl zu sagen. "Song To Say Goodbye" reißt einem das Herz heraus mit unheilvollen Riffs, simplen Pianoklängen und Molkos schleichender Wut und Empörung, die im wehmutsvollen Refrain ihre Vollendung findet. In eine ähnliche Kerbe schlägt das sublime "Special Needs" voll elegischer Tristesse.

Von den 36 Songs sind lediglich vier davon keine Singles. "Breathe Underwater" in der 'Slow' Variante bekommt zu wenig Luft und ertrinkt im Vergleich zum treibenden Original, wohingegen "Broken Promise" mit den erdigen Vocals von R.E.M.-Frontmann Michael Stipe ein packendes Stück Musik darstellt: Noch am Anfang leise und sinister, reißt einen Molkos wütender Refrain voller Emotion aus der Traumwelt.

Das nur auf der US-Version von "Meds" erschienene "Lazarus" möchte man bitte dem nächsten Regisseur als Abspann-Song beilegen, tragen Violinen und die bissigen Textzeilen einen epochalen Touch. "I Know" vom Erstlingswerk kann man getrost als Blaupause für jeglichen Song der Band nehmen: Kratzbürstiger und auflehnender Refrain stehen einfühlsamen Strophen gegenüber.

Placebo betiteln ihren Rückblick nicht mit einem schnöden "Best Of" oder "Greatest Hits", sondern wählen mit "A Place For Us To Dream" eine nostalgische Metapher mit Selbstbezug. Die Zeile stammt aus "Narcoleptic" vom Album "Black Market Music". Das CD-Case entpuppt sich als eine zusätzliche Überraschung, weil es wie ein Poesiealbum gemacht ist. Im Cover und Buchrücken versteckt sich jeweils eine CD, die Seiten in der Mitte sind gespickt mit allerlei Bandfotos. Bereits die erste Werkschau hat mit "Once More With Feeling" einen schönen Titel vom Trio erhalten.

Diese Rückschau eignet sich perfekt für den Herbst. Eine Ansammlung hoch emotionaler Songs spendet Wärme, wenn es draußen langsam kälter wird, das Laub sich verfärbt und man nachdenklich wird. "Remember me through flash photography and screams / Remember me, special dreams."

Trackliste

CD 1

  1. 1. Pure morning
  2. 2. Jesus' Son
  3. 3. Come Home
  4. 4. Every you every me
  5. 5. Too Many Friends
  6. 6. Nancy boy
  7. 7. 36 degrees
  8. 8. Taste In Men
  9. 9. The Bitter End
  10. 10. Without You I'm Nothing feat. David Bowie
  11. 11. English Summer Rain
  12. 12. Breathe Underwater
  13. 13. Soulmates
  14. 14. Meds feat. Alison Mosshart
  15. 15. Bright Lights
  16. 16. Song To Say Goodbye
  17. 17. Infra-Red
  18. 18. Running Up That Hill

CD 2

  1. 1. B3
  2. 2. For What It's Worth
  3. 3. Teenage angst
  4. 4. You don't care about us
  5. 5. Ashtray Heart
  6. 6. Broken Promise
  7. 7. Slave To The Wage
  8. 8. Bruise pristine
  9. 9. This Picture
  10. 10. Protège-Moi
  11. 11. Because I Want You
  12. 12. Black-Eyed
  13. 13. Lazarus
  14. 14. I Know
  15. 15. A Million Little Pieces
  16. 16. Special Needs
  17. 17. Special K
  18. 18. Loud Like Love

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Placebo – A Place For Us To Dream €49,80 Frei €52,80

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Placebo

Brian Molko (Gitarre, Gesang) erblickt am 10. Dezember 1972 im belgischen Brüssel das Licht der Welt und wächst als Kind eines international agierenden …

4 Kommentare mit einer Antwort