laut.de-Kritik
Auf jedes Schmuckstück folgt ein Rohrkrepierer.
Review von Sven KabelitzDie 1980er waren wahrlich nicht leicht für die großen Acts der vergangenen Jahrzehnte. David Bowie, Tina Turner, Stevie Wonder, Yes oder Elton John, sie alle scheiterten künstlerisch am neuen Sound. Manche von ihnen schliffen sich die Kanten ab und bedienten das aalglatte Yuppie-Jahrzehnt mit einer Pop-Version ihrer selbst. Auch für Queen waren die 80er eine harte Zeit.
"The Miracle" stellte für die britische Rockband das Ende dieser wechselhaften Dekade dar. Zu Beginn fand das experimentelle "Hot Space" nur wenig Verständnis und Zuspruch, doch mit "The Works" und dem auch im Soundtrack von "Highlander" vertretenen "A Kind Of Magic" kam man zumindest kommerziell wieder in die Spur.
Trotz oder gerade wegen des großen Erfolgs ihrer letzten Tournee und des Live Aid-Auftritts galten Queen 1989 als angezählt. Im Grunde dominierte eine Frage: Werden sie sich trennen? Darunter schlichen sich die ersten Gerüchte, Frontsau Freddie Mercury sei an Aids erkrankt. Eine Diagnose, die zum damaligen Zeitpunkt noch ein sicheres Todesurteil war. Dass Queen mit dem neuen Album nicht auf Tour gingen und Mercurycs Gewichtsverlust waren verdächtig. Irgendwas stimmte nicht, aber so richtig greifen konnte man es noch nicht.
Zumindest bei der ersten Frage hätte man nicht weiter von der Realität entfernt sein können. Während die Leute den Riesen fallen sehen wollen, entwickelte sich innerhalb der Band eine bisher ungeahnte Wagenburgmentalität. Erstmals einigte man sich darauf, dass alle Bandmitglieder geschlossen als Songwriter genannt werden. Um dies zu unterstützen, zeigte das Cover die vier Musiker zu einem einzigen Wesen mit einem wahrlich sehr breiten Kopf vereint. (Mit dem Dez findet man jedenfalls niemals einen passenden Hut.)
Großes kündigte sich an. Mit dem wilden, vor Testosteron nur so nach Büffelhoden muffelnden "I Want It All" hauten Queen vorab einen ihrer besten Songs des Jahrzehnts raus. Nach den vielen "Radio Ga Ga"s, den "I Want To Break Free"s, den "A Kind Of Magic"s sollte nun ein Comeback der harten Queen bevorstehen. Was kam war "Party", was kam war "My Baby Does Me", was kam war "The Invisible Man", was kam war eine Enttäuschung.
Das bedeutet nicht, dass sich auf "The Miracle" keine guten Songs befinden. Aber kein anderes Queen-Album der 1980er zeigt eine solche Unbeständigkeit. Auf jedes Schmuckstück folgt ein Track, der weit hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt. Die Band, die andere Longplayer mit "Death On Two Legs (Dedicated To...)", "Tie Your Mother Down", "Mustapha" oder "One Vision" eröffnete, startet nun mit dem Nichtsong "Party". Ein großer Rohrkrepierer, der die Lust umgehend auf ein Minimum herunter fährt. Nur der von einer Scheidung und der darauf folgenden Depression gebeutelte Brian May gibt dem Stück etwas Glanz.
Erst mit dem Titeltrack findet "The Miracle" langsam in die Spur. Vertrackt, aber etwas zu kitschig und nie so ganz zueinander findend, versucht man an die alten Zeiten anzuschließen und wirft bereits einen Blick in Richtung des zwei Jahre später folgendem "Innuendo". Nach dem darauf folgenden "I Want It All" bricht Queens 13. Werk jedoch wieder komplett ein.
"The Invisible Man" verfügt zwar über einen interessanten, auf H. G. Wells' Buch basierenden Text, klingt aber, als hätten sie sich damit für einen Frank Zander-Doppelgänger-Wettbewerb beworben und wäre dann auf dem enttäuschenden vierten Platz rausgeflogen. Deacons Bass erinnert gruselig an einen Amiga 500, Taylors Schlagzeug hingegen wie immer an einen Pappkarton (Wer dachte eigentlich, es wäre eine gute Idee, Bassdrum und Snare nahezu gleich klingen zu lassen?). Nimmt man noch Mercurys Brille im Video hinzu, stellt dieses Lied den absoluten Tiefpunkt in Queens Karriere dar. Zum Glück änderten sie kurz vor Release noch ihre Pläne, den Longplayer "The Invisible Men" zu nennen.
Mit dem aus der wundervollen Ballade "When Love Breaks Up" und "Breakthru" entstandenen Endfassung von "Breakthru" startet das, was man einst die B-Seite nannte, mit einem wunderbar luftigen Pop-Song. Zusammen mit "I Want It All" das weit heraus strahlende Highlight auf "The Miracle". Das war es dann aber auch schon fast.
"Rain Must Fall" klingt wie eine Gloria Estefan-Parodie. Das mit den Medien abrechnende "Scandal" verfügt über eine gute Melodie, aber führt bereits nach kurzer Zeit ideenlos ins Nirgendwo. Das langweilige "My Baby Does Me" gleicht Arbeitsverweigerung. Der Text!
Wenn man im Kopf behält, dass die Band für "The Miracle" 30 Songs gesammelt hatte, mag man spätestens hier die anderen gar nicht hören oder zweifelt nachhaltig an Queens Urteilsvermögen. Das nun wieder entdeckte, ideenlos und ohne Dynamik vor sich hin pluckernde "Face It Alone" bestätigt diese Skepsis nur.
Erst das finale "Was It All Worth It", das anstelle von "Party" wirklich einen guten Opener abgegeben hätte, versöhnt etwas. Da ist das Kind jedoch schon längst in den Brunnen gefallen. Vier gute Songs machen noch kein gutes Queen-Album.
Die aus den von 1987 bis 1989 stammenden Aufnahmen der "The Miracle Sessions" haben nahezu alle mehr Power und einen besseren Sound als die spätere Studioversionen. Sich mit ihnen zwischen die probende und probierende Band zu stellen, ist interessant und macht zudem Spaß. Sie zeigen noch einmal, über was für eine Kraft diese Live-Band, die nie wieder live spielen sollte, verfügte. Zeitgleich verdeutlicht es aber auch, wie viel dieser Power bei der Produktion verloren ging.
Am Ende war "The Miracle" ein stolpernder Schritt weg von den Queen der 1980er und hin zu ihrem letzten, zwei Jahre später folgenden "Innuendo". Ein exzellentes Album, das sie wirklich noch einmal nah an ihre frühen Tage brachte. Der Abschied, den diese Legende verdiente.
10 Kommentare mit 18 Antworten
Daß Queen besonders in den 80ern grausam waren, ist geschenkt. Bei Bowie darf man aber nur teilweise zustimmen. Neben "China Girl", "Let's Dance" usw. wurde er in der Zeit nämlich experimenteller als je zuvor. Mal von so eher seichten Songs wie "Heroes" abgesehen, ist seine Eno-Phase absolut seltsam, unkonventionell und bedrückend - gar nicht der aalglatte, sterile Kram der anderen Beteiligten da oben.
Die Eno-Phase war aber in den 1970ern.
Tatsache. I stand corrected!
Über die Anzahl der Hits, die Queen in den 80ern hatten sich andere Bands sicherlich gefreut. Queen-Kritik kommt ja meist von rechts der Mitte.
Da fehlt ein ",hätten".
Queen-Kritik kommt meist rechts von der Mitte? Aha. Soso. Wohl weils schwer sein kann, daß jemand jede Menge queerer Künstler und Bands liebt, Queens Musik in den 80ern aber nichts abgewinnen kann, ne?
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Es ist eben kein guter Geschmack.
Der Ahnungslose schwafelt wieder von Dingen, die er nicht versteht. Putzig.
dieser faden ist die definition von nightmare blunt rotation (Zven ausgenommen)
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Was das Album "The Miracle" betrifft dem kann dem Autor nur zustimmen, aber ich verstehe trotzdem die Bewertung von 2/5 Sternen nicht ganz für diese Box, da immerhin die CD-Nr. 2 das Herzstück darstellt und wie der Autor schon festgestellt hat, es eigentlich das bessere Album sei.
Ich verstehe deinen Ansatz. Ja, die zweite CD wäre das bessere Album, wenn es denn in diesem Stil fertig produziert wäre. Dennoch wären es dann immer noch die selben Songs.
Verzichtbare Stücke gehörten bei Queen irgendwie immer dazu. Unter dem Strich ist „The Miracle“ für mich jedoch das beste Album der Spätphase. Es strotzt vor Energie und Kreativität, auch wenn sich hier und da der 80‘er Zeitgeist in der Produktion zu sehr niederschlägt und Songs schlecht altern lässt. Wo „Party“ noch als Queen-typischer Gag durchgeht, sind „My baby does me“ und „Rain must fall“ leider nur entsetzlicher Müll. Das Demo „I guess we’re falling out“ und das restaurierte „Face it alone“ lassen erahnen, was da noch möglich gewesen wäre. Großartig auch „Breakthru“ mit echtem Bass und echten Drums, das eine Idee vermittelt, wie Queen Ende der 80‘er hätten live klingen können.
Bis zu dem 1978 erschienenen Album „Jazz“ hatten Queen eine bis zur Brillianz glänzende Diskographie. Anschließend erfolgte bis zum letzten kreativen Höhepunkt „A Kind of Magic“ ein Durststrecke die danach bis zum Ende der Band fortgesetzt wurde.
Hot Space ist ein guilty pleasure von mir. Kann verstehen dass das Album gehasst wird. Aber irgendwas hab ich dran gefressen
find ich im Ansatz nicht dumm geschrieben.... die frühen Alben waren "runder" und als Gesamtwerke toll - später war einfach recht viel Füllwerk dabei, aber wenn man sich die Setlists der Konzerte anschaut - eben viel gutes Zeug (also für die Fans)
Queen, die meistgehörte Band auf den Streaming Plattformen. Zumindest einigermaßen gemocht von den Einen, sehr gemocht von den Anderen bilden sie dann doch eine gewisse Schnittmenge zwischen den Gefilden. Dazu haben natürlich die Klasse 70er Alben beigetragen, sowie die Hits in den 80ern. The Miracle zählt sicher nicht dazu. Party ist gurkig; Kashoggi wirr und unsinspiriert. Das darauf folgende Titelstück setzt dann Queen-typische Stilelemente gekonnt und passend zu diesem Machwerk uninspiriert ein. I want it all klingt wie ein Relikt aus der The Works Zeit. Aber bei diesem Stück Musikgeschichte kann jeder Rückgriff auf vergangenes nur ein Gewinn sein. Invisible Man ist dann auch eingängig mit stumpfen Synthi Beats. In diesem Umfeld auffällig, auf anderen Queen Alben ein Skipper. Breakthru ist für mich das Highlight des Albums. Das Synthi-Gewurste wird geschickt genutzt um die ganz gute Hookline nach vorne zu bringen. Rain must Fall klingt wie ein Alphaville 80er Jahre Popsong, so mittel halt. Der Rest ist dann auch zum weghören.