laut.de-Kritik

Wenn das die Zukunft ist, dann lieber noch mal 2020.

Review von

"RAF Camora lebt." Das stand Anfang des Monats riesig und ohne weitere Erklärung auf einem Plakat in Wien. Kurze Funkstille, dann ging gestern Nacht eine Nachricht über Instagram in die Welt, die nur ominös "Zukunft" titelte. Große Rapper teilten sie links und rechts - kündigte RAF da etwa mit Brimborium eine Comeback-Single an? Nein, es kommt nämlich noch doller: "Zukunft" ist sein neues Album, und das erscheint genau jetzt. In einem Land der schleppend langsamen Promo-Zyklen versteht der Mann nach zwei Jahren Ruhestand immer noch, wie man ein Event aus dem Comeback macht. Alles tadellos verpackt – wäre nur jetzt noch der Inhalt entsprechend interessant.

Schlecht fängt es nicht an: Das "Intro" gibt Kontext zu seinem vermeintlichen Karriereende vor zwei Jahren. Er spricht unter anderem aufdringliche Fans und Stalker an, die nicht nur ihm, sondern auch Angehörigen und Expartnern das Leben schwer gemacht haben. Dass das Leben in der Öffentlichkeit eine Hölle sein kann, das glaube ich ihm gleich, auch, dass man sich daraus zurückziehen möchte, ergibt Sinn. Warum ist er nun aber zurück? "Und jetzt schreib' ich diesen Track, ich brenne, wie du siehst / Nie wieder lass' ich auch nur 'ne Sekunde die Musik", rappt er dann, hungrig, während die Kickdrum im Instrumental das Tempo anzieht.

Ja, es gibt einen ziemlich starken Run am Anfang von "Zukunft". Dass RAF die Musik ehrlich liebt, daran lässt schon seine lange Karriere keinen Zweifel. Musikalisch knüpft er zwar an, wo er mit "Zenit" aufgehört hat, aber zumindest bei "Choromosom" und "Zukunft" macht er das wieder mit allem Biss, der ihn bekannt gemacht hat.

Die Produktion von den Cratez und Beataura liefert hier unwiderstehlichen Groove, der Sound geht eisern nach vorne. Ob der Titeltrack "Zukunft" wirklich die Hymne für die After-Corona-Megaparty sein sollte, jetzt, wo wir am Fuß der vierten Welle stehen? Zweifelhaft. Vor allem, wenn das von einem Typen kommt, der das letzte Jahr ziemlich viel in Dubai gechillt hat. Aber, hey – für die ersten fünf Minuten erinnert RAF uns daran, warum sein elektronisches Dancehall-Ding ihn zu einem der größten Namen der hiesigen Musiklandschaft gemacht hat.

Aber danach erinnert er uns daran, warum er auch einer der ermüdendsten Rapper unseres Raumes sein kann. Wie viel seines Materials, trieft auch "Zukunft" vor der falschen Sorte Pathos. Alles ist so groß und aufgepumpt und überzüchtet, dieses ganze Album klingt wie ein Trailer für einen schlechten DC-Film. Die Songs haben wenig Raum im Mix, alles ist von oben bis unten mit sperrigen Sounds und Synthesizer-Gehalle vollgestellt. Hilft natürlich auch nicht, dass RAFs Organ grundsätzlich mit drei Schichten Reverb, Autotune und sonstigen Filtern zugekleistert ist. Wenn Tempo und Groove nicht augenblicklich stimmen, klingen die Songs hier anstrengend und schleppend. Nach dem starken Anfang kommen keine Grooves mehr zustande.

Songs wie "Benzin" und "Scusa" haben auf so einer Comeback-Platte absolut nichts verloren. So opulent all dieses Gegrummel klingen möchte, die Energie ist niedrig, der Sound müde und abgedroschen. "Realität" und "Ebbe" bringen so uninspirierte Hooks, dass man glaubt, RAF würde gerade das dritte Mixtape des Jahres kicken. Wo ist der versprochene Hunger hin?

Die Sound-Experimente klingen noch alberner: "Vergess Nie Die Streets" samplet "Maniac" für einen seltsamen Synth-Bass-Song, der aufs erste Hören okay klingt, aber so überhaupt nicht an den Spaßfaktor des Originals herankommt, dass der Song nur daran erinnert, dass man bessere Musik hören könnte. "Zombie" bildet den Versuch eines angsty Emo-Trap-Bangers mit latenter Referenz auf den Cranberries-Song und gerät etwa so gut, wie man sich angsty Emo-Trap-RAF Camora vorstellt.

Ein bisschen schade ist schon, dass diese wenigen neuen musikalischen Ideen auf "Zukunft" so oberflächlich und uneffektiv verplätschern. Der Rest ist hingerotzter Wohlstands-Rap, dass man sich überhaupt nicht erklären kann, wie dieses müde, lustlose Standards-Erfüllen ihn nun aus dem Ruhestand gelockt hat. RAF, du sagst, die Musikindustrie macht dich krank und depressiv, raubt dir die Seele, aber du musstest einfach zurück, um Hooks wie "Trag Kapuze im Club, Club, Club / Ich guck auf ihren Arsch, er ist gut, gut, gut" zu kicken? Generell: "Kapuze Im Club" rekrutiert die ganze 187 Straßenbande für einen so unangenehmen Party-Song, dass die Vorstellung, mit diesen Lullis im Club zu chillen, Lust auf noch zwei Jahre Lockdown macht. Am schlimmsten sind aber nicht deren Auftritte, sondern der Fakt, dass man diese Scheißhook sage und schreibe sechsmal hören muss. Können wir bitte die Zweieinhalb-Minuten-Songs zurückbekommen?

Geprotze über Geld, Uhren, Designerklamotten und Dubai-Trips sind aber nur die eine Seite der Medaille. Zwischendurch kriegen wir auch tiefe Einblicke in RAFs unstetes Seelenleben. Ich habe es schon gesagt: Ich verstehe zu hundert Prozent, warum ein Mann in seiner Position mit Dämonen zu kämpfen hat, und hoffe, dass es ihm mit seinem jetzigen Leben sehr gut geht. Aber sein Geheule über Liebschaften auf diese Album ist strohdumm. Einen Sohn und Stabilität wünsche er sich, das sagt er mehrmals. Aber dann rappt er ununterbrochen über die ganzen Groupies, die er pausen-, wahl- wie lieblos beschläft.

RAF, du bist 36 Jahre alt – und ich gönne es dir ja, dass du ein erfülltes Sexleben hast. Aber auf der einen Seite unsere Anerkennung einfordern, weil du mit diesen ganzen oberflächlichen Frauen schläfst, die du über Instagram-DMs kennenlernst, aber dann herumheulen, weil du diese ganzen Frauen ja eigentlich nicht magst ... irgendwie hält mein Mitleid sich in Grenzen. "Ich Kenne Meinen Wert" liefert da wohl den absoluten Album-Tiefpunkt. "Diese Frauen geh'n von Bett zu Bett / Vom Rücksitz deines Autos auf 'n anderen Schoß, Bro", rappt er da, brüskiert und moralisch erschüttert über diese Frauen, mit denen er dann einen Song später wieder selbst in die Kiste steigt. Wie knödelhirnig muss man denn sein, um genau die Frauen zu slut-shamen, mit denen man selbst der Reihe nach schläft? Muss man die Doppelmoral daran wirklich buchstabieren?

RAF, mein Lieber, dann geh' doch einfach auf Elite-Partner, suche dir eine Anwältin mit Niveau in deinem Alter und aus deiner Gehaltsklasse, die Schach spielen kann, und mach' stolze Nachkommen mit ihr. Aber erst mit all den Fans angeben, die das Starleben in dein Bett schwemmt, und dann darüber lästern, dass die alle blöd und oberflächlich sind. Da kommt die Melancholie einfach nicht durch. Und dann kommt er in "Regen" mit dem großen Sad daher und sagt in den selben dreißig Sekunden ernsthaft Zeug wie "Ich laufe durch den Regen", "ein Meer aus Tränen" oder "du likest mein Instagram / Weil du vermisst meinen Schwanz". Herzergreifend, wirklich.

Kurz sah "Zukunft" so gut aus. Die Inszenierung, die ersten Tracks, da war kurz Feuer, da war kurz Hunger. Aber danach entgleist dieses Album in ein Projekt, so komplett uninspiriert an sein letztes Album angeschlossen, dass man sich fragt, ob und inwiefern er je weg war. "Zukunft" ist eine völlig belanglose Platte, die mit großen Worten seine Leere füllen will und mit Ambiente aus der letzten Klischee-Dose einen völligen Mangel an Atmosphäre kaschieren. Es ist ein Haufen Melodrama, Angeberei und Selbstmitleid von einem reichen Typen, der den Lockdown in Dubai verbracht hat und jetzt die Hymne für die Öffnung machen will. Sehr viel großes, hohles Geknödel, das gerne wichtig und episch klänge, das aber am Ende die Line "Sex, viel Geld, Bruder, alles top" eigentlich am besten zusammenfasst. Gut, dass du zurück bist, RAF.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Chromosom
  3. 3. Zukunft
  4. 4. Realität
  5. 5. Wenn es Schlecht Läuft
  6. 6. Scusa (feat. Ketama126)
  7. 7. Zombie
  8. 8. Benzin (feat. Ufo361)
  9. 9. Ich Kenne Meinen Wert
  10. 10. Vergesse Nie Die Street (feat. Ahmad Amin)
  11. 11. Ebbe
  12. 12. Kapuze im Club (feat. 187 Straßenbande)
  13. 13. Regen
  14. 14. Generation X

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