laut.de-Kritik

Meisterkür für Text-Mitleser und Sample-Geeks.

Review von

Spätestens nach "Leila's Wisdom" sollte eigentlich niemand mehr bezweifeln, dass Rapsody zu den besten Spittern unserer Zeit gehört. Wenn es um die Frage nach dem Renommee aktiver Rapper geht, gehört diese North Carolina-MC mindestens auf die Stufe von Lupe Fiasco, Big K.R.I.T oder Denzel Curry. Dennoch fliegt sie, immun gegen alles kritische Lob, immun gegen jede Empfehlung, konsequent weiter unter dem Radar.

Dementsprechend fühlt sich "Eve" ein wenig wie J. Coles "KOD" an: Sie zielt auf den Klassiker. Doch im Gegensatz zu Coles Ikarus-Flug kommt sie, wenn man eine gewisse Sperrigkeit in Kauf nimmt, hier verdammt nah an einen heran.

Das mit der Sperrigkeit ist allerdings keine Plattitüde: Dieses Album hat wirklich nicht besonders viele Hooks. Über sechzehn Tracks ergießen sich Barragen und Sperrfeuer aus Bars über den Hörer, die nicht einmal besonders viele Gäste unterbrechen. Aber in was für einer Zone Rapsody auf diesem Album ist, gebietet Ehrfurcht.

Egal, wie schräg die Instrumentals im Laufe von "Eve" werden: Rapsody feuert mit der Schubkraft eines Achtzylinders. Druckvoll wie kaum ein anderer, dabei trotzdem immer offen für eine gut gesetzte Pointe, für eine liebevolle Referenz auf die Vorgänger und Zeitgenossen, ob sie sich nun ein neues Andre 3000 wünscht oder auf dem gleichnamigen Song um ein zweites Leben für Aaliyah bittet.

Dabei spielt sich "Eve" weitestgehend als Zelebration der Blackness aus, ganz besonders für die schwarzen Frauen steht Rapsody ein. Dabei geht sie die ganze Strecke, teilt ihre Plattform mit hungrigen Newcomern wie der großartig bissigen Lekeili47, zollt den Legenden wie Queen Latifah Respekt und benennt jeden einzelnen Song nach einer Woman of Colour, die Signifikantes für die Kultur irgendwo zwischen Politik, Aktivismus, Kunst oder Sport geleistet hat. Diese Aura der ermächtigenden Positivität lässt sie aber als Erzählerin nicht darüber hinwegsehen, dass es auch systematische Probleme zu benennen gibt.

Auf "Cleo" schildert sie ihre Erfahrungen mit Plattenfirmen und zeichnet ein eindringliches Bild von dem Backlash, den der legendäre Little Brother-Produzent 9th Wonder erfahren hat, als er sich für den Erfolg einer Rapperin in der Industrie einsetzte. Dazwischen gibt es immer wieder treffende Kommentare zu öffentlichen Narrativen über Kriminalität in der black community, über die Kulturindustrie und über die Wahrnehmung von Frauen in der Gesellschaft.

Damit man auch ja nicht alles auf einmal verdauen kann, kehren dann immer auch noch Poesie-Skits wieder, gelesen von Reyna Biddy. Gerade über die Länge kann das eine erschlagende Erfahrung sein, doch dass es nicht in Unkonsumierbarkeits-Gefilden wie Lupe Fiascos "Drogas Wave"-Fiasko landet, dafür sorgen die teils wunderbar smoothen Soul-Beats oder experimentellen Samples, die "Eve" Farbe und Charakter verleihen.

Zum Beispiel schichtet "Aaliyah" mit interessanter melodischer Vielfalt R'n'B-Vocals übereinander. "Ibtihaj" lässt gemeinsam mit D'Angelo höchst potent das Willie Mitchell-Sample auf GZAs ikonischem "Liquid Sword" wieder aufleben, macht es fasst noch ein wenig schmissiger und lässt eine der prägnantesten Hooks des Albums entstehen. Obendrein gibt es noch komplette Aus-dem-Nichts-Momente wie die das unorthodoxe Herbie Hancock-Sample auf "Whoopi", die "In The Air Tonight"-Interpolations auf "Cleo" und zuletzt sogar einen abgefahrenen psychedelischen Flip von Björk uns Arcas "Utopia"-Standout "The Gate":

Ob man mit so viel rappigem Rapper-Rap wirklich die Welt für sich gewinnen kann, bleibt trotzdem abzusehen. Aber wie Rapsody es selbst schon anmerkt, ist sie schon lange beim Status Quo des Rapper's Rapper angekommen. Und wer auf seinem Album auf Songs mit J. Cole, GZA, J.I.D und Queen Latifah jedes Mal den stärkeren Verse hat, ist in dieser Hinsicht längst aszendiert.

"Eve" ist ein vielschichtiges, dichtes und virtuoses Hip Hop-Album. Es ist eine Goldgrube für Text-Mitleser und Sample-Geeks, für Referenzen-Verschlinger und Querverweis-Sucher. Es ist eine Meisterkür, aber am Ende des Tages dennoch nichts, das man nicht in irgendeiner Facette so schon einmal gesehen hat. Ob sich hiernach die lange verdiente Gerechtigkeit einstellen wird und Rapsody endlich in den Kanon aufsteigt, in den sie schon lange gehört, oder nicht: Nach dieser oder der letzten Platte kann ihr niemand mehr irgendeinen Respekt verwehren.

Trackliste

  1. 1. Nina
  2. 2. Cleo
  3. 3. Aaliyah
  4. 4. Oprah
  5. 5. Whoopi
  6. 6. Serena
  7. 7. Tyra
  8. 8. Maya (feat. K. Roosevelt)
  9. 9. Ibtihaj (feat. D'Angelo & GZA)
  10. 10. Myrlie (feat. Mereba)
  11. 11. Reyna's Interlude
  12. 12. Michelle (feat. Ella Varner)
  13. 13. Iman (feat. SiR & JID)
  14. 14. Hatshepsut (feat. Queen Latifah)
  15. 15. Sojourner (feat. J. Cole)
  16. 16. Afeni (feat. PJ Morton)

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