laut.de-Kritik
Gottes Werk und Teufels Beitrag.
Review von Kai KoppMit der Fähigkeit anderer Leute Stilistiken perfekt nachzuahmen, verdient Ray Charles seine ersten Dollars. Imitation ist als Gelderwerb zwar eine legitime Disziplin, zu wahrem Ruhm verhilft sie gleichwohl nicht. Deshalb muss Ray Charles "seinen" Stil erst finden. Darin unterstützt ihn anfänglich der Atlantic-Produzent Ahmet Ertegun, der ihm den Jesse Stone-Song "Mess Around" 1953 auf den Leib schneidert.
Der Opener des Soundtracks zum gleichnamigen Film "Ray", markiert den Beginn einer der aufregendsten Karrieren, die die Musikwelt hervorgebracht hat. Vom "Mess Around"-Erfolg inspiriert, beginnt Ray Charles seinen Stil auszuformulieren. Der Pianist und Sänger greift auf seine musikalische Herkunft - Blues und Gospel - zurück, und verschmilzt beide. Damit ehelicht Gottes Musik Teufels Wort und gebiert ein Kind namens Soul.
Gegen die Widerstände religiöser Traditionalisten etabliert sich der neue Sound schnell im öffentlichen Bewusstsein. In der Folge schenkt Ray Charles der Welt unvergessliche Titel wie "Georgia On My Mind", "Unchain My Heart" oder "What'd I Say". Allesamt oft kopierte Megaseller und in der Originalversion auf "Ray" zu hören.
Da sich die verfilmte Biografie trotz Überlänge auf die ersten Karriere-Jahre bis Mitte der 60er beschränkt, stellt auch der Soundtrack ein authentisches Zeitzeugnis der revolutionären Musik von damals dar. Aus heutiger Sicht lediglich Evergreens der Black Music-Geschichte nahmen die Songs massiven Einfluss auf eine Jugend, die alsbald nicht nur die Rassentrennung überwindet, sondern sich auch im Woodstock des Jahres 1969 auf allen Ebenen vereint.
Vorbereiter und Geburtshelfer dieser Entwicklung bleibt der blinde Ray Charles. Gehet also hin, zu schauen und zu hören die Wurzeln unseres heutigen Selbstverständnisses, das weder Gott noch Teufel fürchtet. Die Gut/Böse-Essenz namens Soul bereitet anno 2005 jedenfalls genauso viel Vergnügen wie zu Rays Anfangszeiten. 17 Originalaufnahmen aus den 50er und 60er Jahren warten darauf, neu entdeckt zu werden.
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