laut.de-Kritik

Spaziergang im Spiegellabyrinth.

Review von

Über Ray Lozanos "Pairing Mode" habe ich mich rückblickend mehr geärgert, als ich es damals für möglich gehalten hätte. "Album", träfe es besser, in Anführungszeichen. Im Grunde kann man wirklich nur als veritable Frechheit empfinden, was diese Frau in Komplizenschaft mit Producer Samon Kawamura sich damals erlaubt hat: Mit einem Strauß wundervoller Ideen kamen sie um die Ecke, machten so richtig Lust auf ihre Idee von modernem R'n'B, und dann? Verdümpelte alles im Skizzenstadium. Statt fertiger Songs gab es lediglich ein Dutzend Fragmente, und mit jedem neuen Schnipsel fühlte ich mich verschaukelter.

Nun steht die Kölner Sängerin und Songwriterin erneut auf der Matte, und wieder teilt sie sich die Produktionsarbeit mit Samon Kawamura. Wehe, ihr beiden. Wehe! Wenn ihr mich diesmal wieder mit Hors d'Oeuvres füttert, bis der Zahn tropft, und dann keinen ordentlichen Nachschlag auftut, dann ... würde ich wohl wieder die Appetithäppchen nehmen, machen wir uns nichts vor. Aber ich wär' durchaus angefressen.

Langer Vorrede gar kein Sinn: "Silk & Sorrow" liefert keinen Anlass für weitere Verstimmtheiten. Es birgt tatsächlich richtige Songs, und die legen sich wie die titelgebende Seide sanft über die alten Schürfwunden. Angenehm kühl und wärmend zugleich, umfließt und verhüllt sie alle Sorgen. Die verschwinden so freilich nicht, müssen aber wenigstens nicht länger nackt im Raum herumstehen. Kunstvoll verschleiert, wirken sie sogar irgendwie dekorativ.

Sensation geblieben ist Ray Lozanos Gesang, der jedes logische Verständnis zu Purzelbäumen zwingt: Wie ist überhaupt möglich, dass eine Stimme zugleich zart und ätherisch klingen kann, dabei aber kein Stück filigran oder gar fragil? Das widerspricht doch jedem Verständnis von Physik. Nehmen wir, wahllos herausgepickt, "Dragon": Ray Lozanos Stimme erdet den ganzen Track, und das, obwohl sie völlig mühelos durch diesen Beat schlendert. Von der ganzen Arbeit, die darin stecken muss, alles so leicht, natürlich und un-konstruiert erscheinen zu lassen, hört man: genau nichts.

Überall lenkt die Produktion alle Aufmerksamkeit auf die Stimme. Das erscheint schon allein deswegen angemessen, weil man sich von Ray Lozanos Gesang ohnehin und ganz grundsätzlich aufwecken, durch den Tag begleiten und wieder in den Schlaf singen lassen möchte. Mariniert in Soul, garniert mit einem Hauch Melancholie: So könnte sie auch die Zutatenliste einer Dose Ravioli heruntersingen, und es klänge fantastisch, emotional und bedeutungsvoll.

Tatsächlich singt Ray Lozano aber natürlich nicht über Farb- und Aromastoffe, Emulgatoren und Geschmacksverstärker, sondern, wie sich das für R'n'B gehört, über Herzensangelegenheiten. "Can't Love" etwa durchstreift, passenderweise zum Rhythmus eines Herzschlags, das dornenreiche Niemandsland zwischen Würde-ja-gern und Trau-mich-nicht, in dem all jene herumirren, die aus Angst vor Verletzungen keine Nähe zulassen, und sich so halt an der Einsamkeit weh tun. (Hand hoch, wer noch nie dort gewesen ist.)

Die Fokussierung auf die Stimme ist aber noch aus einem anderen Grund sinnvoll: Ray Lozano wird so zum Dreh-, Angel und Ankerpunkt der Tracks, in deren Produktionen man sich ohne diesen akustischen roten Faden leicht verlaufen könnte. Allesamt haben sie ein wenig Spiegellabyrinth-Charakter. Woher das unwirkliche Gefühl genau rührt, lässt sich gar nicht ohne weiteres greifen. Wie in einem dieser Träume, in dem Größenverhältnisse und Perspektiven nicht stimmen, fühlt sich einfach alles minimal verschoben an, ein bisschen schief, leicht versetzt, gerade nur so viel, dass auf den ersten Blick zwar alles normal wirkt, unterbewusst bleibt aber das nagende Gefühl, dass irgendetwas einfach ... anders ist als gewohnt.

So liegt in "Better Days" eine Spur mehr Elektroeffekt auf dem Soul. In "KiKi" leiern die Synthiesounds bei genauerer Betrachtung doch ziemlich schräg hinter dem durchgroovenden Bass herum. "I Don't Care" pfeift, passend zum Titel, gleich doppelt auf jede Erwartungshaltung. Zum einen blubbert und tropft es mehr als gedacht - und ganz sicher habe ich an dieser Stelle des Albums nicht mehr damit gerechnet, dass Ray Lozano einen Schlenker fast (!) in Richtung Rap unternimmt.

Die hier genährte Ahnung, dass sie vielleicht noch einen ganz anderen Vortragsstil draufhätte, wenn sie nur wollte, liefert diesmal den einzigen wirklichen Ansatz für Nörgelei: Ein bisschen gleichförmig ist "Silk & Sorrow" schon geraten. Die Songs sind diesmal zwar richtige Songs, juhu. Sie ähneln einander in Vibe und Machart aber doch sehr. Da sie jedoch allesamt zauberschön klingen: Wer wollte sich darüber groß beschweren? Ich nicht. Diesmal nicht.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Better Days
  3. 3. HiYa
  4. 4. Dragon
  5. 5. KiKi
  6. 6. I Don't Care
  7. 7. Can't Love
  8. 8. Sometimes
  9. 9. LOTA
  10. 10. Let The Heart Grow
  11. 11. Outro

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