laut.de-Kritik
Melancholisches Prog-Pop-Album ohne große Ecken und Kanten.
Review von Yan VogelDer Output von Mariusz Duda strömt seit der letzten Riverside-Veröffentlichung kontinuierlich und qualitativ hochwertig. Siehe das traurig-schöne Requiem für den langjährigen Freund Alec Wildey als Kollaboration mit Steven Wilson oder das zwischen Melancholie und Manie anzusiedelnde Lunatic Soul-Solowerk.
Im breit gefächerten Prog-Bereich scheint ein Trend Wirkung zu zeigen, dem sich Duda nicht entziehen konnte: Wie schon zuvor Steven Wilson bewegen sich auch Riverside auf ihrem neuen Output weg vom ausufernden Prog der 70er und legen in ihrem Klangkonzept mehr Wert auf Eingängigkeit, Struktur und die Klangästhetik der 80er.
Die kompositorische Dichte der letzten beiden Alben von Riverside ("Anno Domini High Definition" und "Shrine Of New Generation Slaves") weicht auf "Love, Fear And The Time Machine" einem stringenteren Songwriting. In der Tradition von Minimal Music und nachvollziehbaren Songschemata flechten die Polen hypnotische Basslinien, 80er Synthies und simple Gitarren-Muster zu einem homogenen Ganzen. Alles getreu den zentralen Worten des Wildey-Memorials "The Old Peace": "Nothing Is More Perfect Than The Smell Of Harmony".
Das klingt erstmal konventionell und monoton. Doch die Band verbindet die Direktheit und den Flow mit einem Klangkosmos, der einen immer tiefer einlullt und in sich hineinzieht.
Hieß das Akronym der letzten Platte S.O.N.G.S. müsste die neue eigentlich H.I.T.S. genannt werden. Denn die Dichte einprägsamer Songparts ist immens hoch. Fast jeder Refrain trifft einen Nerv. Darüber hinaus besitzen die Riffs und Instrumentalparts eine hohe Kantabilität und laden zum Mitsummen ein. Aber natürlich bleibt das Quartett seiner Linie treu und spendiert dem sechsten Album einen Songtitel mit sechs Worten.
Die Verzerrer bleiben oft stumm. An zentralen Stellen wie den Lead-Melodien kommen sie entsprechend besser zur Geltung. Anspruchsvolle Metalspielarten finden so gut wie gar nicht statt. Wenn es etwas ruppiger wird, dann als Mittel zum lyrischen und emotionalen Zweck und nicht, um irgendeine Erwartungshaltung oder Konvention zu bedienen ("Saturate Me").
Der Opener "Lost" ist Dynamik pur mit seinen Breitwand-Keyboards und den beschwörenden Lead-Gitarren. Ansonsten funktioniert das Crescendo-Decrescendo-Spiel sowohl bei längeren Stücken wie "Towards The Blue Horizon" und "Saturate Me" als auch bei kürzeren wie "Afloat" und "Addicted".
Der Ansatz von Riverside lautet nicht, die Grenzen des technisch Machbaren zu verschieben, geschweige denn sich einer Retro-Neo-Prog-Bewegung anzuschließen. Nicht mal diverse Genres werden geschüttelt und gerührt.
Duda sagt sich einfach "die Welt ist schön und das Leben besitzt einen Wert", und dies bleibt bei allem zwischenzeitlichen Weltschmerz das lyrische Leitmotiv. Die Band bewegt sich von einer abgründigen Textzeile wie "How long can ou hold your breathe under the pillow" zur simplen Feststellung "It's a lovely life". Dies gipfelt in den weltumspannenden Schlusssteinen "Time Travellers" und "Found", die gemeinsam mit Wilsons "Happy Returns" und Ghosts "He Is" die tränenziehende, herzerwärmende und schlüpferstürmende Quadriga der Prog-Balladen 2015 bildet.
Auch wenn man sich textlich des Öfteren in popkulturellen Banalitäten flüchtet, verleiht die Musik den Lyrics die nötige Tiefe. Bestes Beispiel: Das vorab veröffentlichte "Discard Your Fear". Eine himmlische Hymne, die andächtig beginnt und sich immer mehr der Geister der Vergangenheit entledigt.
Wie zuvor auch Pineapple Thief und Klone gelingt Duda und Co. ein kompaktes melancholisches Prog-Pop-Album, das seine Nähe zu Anathema oder Steven Wilson nicht verhehlen kann. Altgediente Fans dürften die Ecken und Kanten vermissen, aber live kommen die kompakten und durchdachten Songs sicher gut zur Geltung.
6 Kommentare mit 3 Antworten
Pflichtkauf, wird heute aus dem Plattenladen abgeholt und wird auf den folgenden 4000km ausgiebig getestet
Trucker?
Flüchtling?
Weder noch
Heute kam die Platte(Eyejup, auf Vinyl!) an, und gleich nach dem ersten Hören war ich hin und weg! Tatsächlich ist das neue Album verdammt gut geworden. Es ist nicht die abstrakte Verspielheit mit zig Tempowechseln noch die lyrische Rafinesse. Ehrlich gesagt, die Musik könnte größtenteils auch instrumental funktionieren! Es ist wirklich die Atmosphäre, was die Musiker einfach gut beherrschen. Andererseits ist dies ein Album, was man wohl kaum hätte machen können, hätte man abgedrehtere Stücke nie davor komponiert. Man muss ein Gespür entwickeln, wann ein Part endet und wo, vor allem WIE, ein anderer Part anfängt.
Ohne die Alben von Riverside davor gekannt zu haben und lediglich ein Konzert von denen gesehen zu haben, kann ich ruhigen Gewissens sagen: Kaufempfehlung!
Kaufempfehlung an die Leute, welche eine warme Atmosphäre bei Rockmusik bevorzugen, trotz der "kälteren" Songstruktur. Es sind halt keine "Partysongs", aber tolle hypnotisierende Basslines und Keyboards am Werk mit einem tollen Schlagzeuger, der genau zwischen "Langweilig" und "Durchgeknallt" sehr songdienlich sein Instrument beherrscht.
Für wem das Album nicht empfehlenswert ist?
Für Leute, die ein Metal-Album erwarten. Keine Frage, Riverside haben einige rockige, joah, metal-lastige Stücke gerne mal in ihrer Setlist, aber auf diesem Album werden diese Elemente höchstens ein wenig angedeutet. Es ist eher Rock als Metal, mehr als zuvor.
Auch ungeeignet für Leute, die auf Prog a la ELP stehen, wo es von Keyboardsolos und frickeligen Passagen nur so wimmelt. Es gibt zwar einige unerwartete Veränderungen und kleinere Keyboardsolos, aber ein "Tarkus" ist hier auch nicht zu erwarten!
Habe gar nicht mitbekommen dass schon wieder ein neues Album drausen ist - tolle Überraschung zum Sonntag
Habe die Scheibe mir heut das erste mal angehört und bin ein bisschen enttäuscht. Wenn man vor allem die drei Vorgängeralben kennt, fragt man sich bei dieser Scheibe: Wo ist die Spielfreude geblieben? Wie schon oben im Review geschrieben, fehlen mir hier die Ecken und Kanten. Der atmosphärischen Grundstimmung fehlt es eindeutig an Höhepunkten, die vor allem bei den Voralben mich vom Hocker gehauen haben. Positiv ist allerdings eine deutliche Steigerung der Gesangsleistung von Mariusz Duda zu bewerten. Aber vielleicht macht die Scheibe ja nach mehrmaligen hören noch klick.
Riverside sind auf dem Niveau wo Erwartungen sehr hoch ansetzen. Entäuschung nicht geplant...passiert auch hier nicht. Die Spannung hält an weil wieder viel Passiert, die Haken fleißig schlagen und die Melodien perlen. Feinster Prog-Stoff mit verträumten Momenten und Soundwellen die von allen Seiten zuschlagen. Die Liebe zum Detail und das Können der Band nehmen gefangen und ich bewundere die Konstanz von vorn bis hinten.
Hab einige Runden gewartet, um mir ein Urteil zu gönnen. Die Platte enttäuscht mir nicht, setzt hinter Shrine of the New Generation Slave an, bedient sich aber nciht unbedingt dem selben Stil. Weniger Jazzige Elemente, mehr melancholie, mehr ruhigere Töne und Piano Einlagen. Mir gefällt es sehr gut. Auch der Sound. Schlüssiges Gesamtbild, jetzt freu ich mir sie endlich mal Live sehen zu können. Zu schade, dass Duda nicht auch mit Lunatic Soul getour ist...