laut.de-Kritik
Rotwein-Rap - nur für Kenner.
Review von Stefan JohannesbergDie Kerzen fackeln auf Halbmast, der Rotwein perlt auf dem Gaumen und beim Abgang sinken die älteren Hip Hop-Semester immer tiefer in den gepolsterten Ohrensessel. Jeder einzelne hängt seinen Gedanken hinterher, zählt seine mehr oder minder tiefen "War Scars" und aus dem - ans iPhone 5S angeschlossene - Subwoofersystem verhallen die letzten hypnotischen Piano-Loops und Punchlines von Roc Marciano, Cormega und AG Da Coroner: "I killed Cain cause Cain wasn't able".
Roc Marcianos neuestes Album setzt neue Maßstäbe und vollendet endgültig den Aufbau eines neuen Genres: Rotwein Rap – statt "strictly for my Jeeps" lautet der Untertitel "strictly for the connoisseur". Liebhaber, Genießer, Kenner - wer sich dem New Yorker hingibt, braucht Ruhe, Erfahrung, Tiefe, eine eigene Geschichte und die Abgeklärtheit des Gentleman.
Wenn sich die Loops des - komplett von Marciano selbst produzierten – Albums bedingungslos in die Nervenzellen bohren und sich die durchdachten Wortspiele mit dem Wein in seliger Zweisamkeit langsam ins Gehirn vorgearbeitet haben, sieht man erst die Schönheit, erkennt man das ganze Ausmaß der Kunst.
Wirkte das erst einen Monat zuvor veröffentlichte "Pimpfire"-Mixtape noch wie eine Aneinanderreihung "Shaft'scher" Szenen aus den 70ern, dreht Roc Marciano auf "Marci Beaucoup" endlich einen kompletten, stimmigen Gangster-Flick wie Raekwon mit dem Purple Tape.
Allein auf dem Opener "Love Means" loopt er so dermaßen gekonnt den Track "Love's Lines Angles And Rhymes" von The 5th Dimension, dass selbst Evidence, der alte Langweiler am Mic, zu Weltklasseform aufläuft. Sein Flow passt perfekt über das fast snarelose Sample. "I made it, cheese gets grated, full paid it / I'm Eddie, Iron Maiden with the ready iron make shift / I lick a shot like Jamaicans and never jamming". Auch Roc genießt hier das Leben in vollen Zügen und malt mit seinen Versen ganze Leinwände in die Träume der Fans.
"I need a check with 3 commas / Hit the tropics, switch the topics / The pants come with six pockets / Twist limbs out the sockets / Then hopped in the benz and went shopping / Exotic backdrops, / laughter and apricots / After squats my lady top Deborah Cox / With half a cock hit the g-spot / The queen twat was hairy like an Ewok / I still eat the box (eat it!)"
Auf dem folgenden "Squeeze" schleichen dann mit KA und Guilty Simpson die nächsten Gäste neben Mastermind Marciano über den noch weiter gedrosselten Beat. Spätestens hier wird klar, dass der eigentlich angedachte KA nicht sein Partner in Crime, nicht Rocs Ghostface sein kann.
Die philosophischen Weisheiten von KA - introvertiert und poetisch vorgetragen - passen trotz des unglaublich guten Tracks dann doch nicht zu den bauernschlauen Doppelreimen des Cognac-trinkenden, im Sessel sitzenden Gangsta Rappers. Zur Überraschung vieler krallt sich diesen Platz der dicke Verrückte aus Queens wie einen Elchburger vom kanadischen Imbiss. Auch wenn Action Bronson durch seine Omnipräsenz und durchschaubaren Reime nervt, auf dem soulig-warmen "456" funktioniert das Wechselspiel zwischen energiegeladenem Nonsens und lässigem Boss-Style perfekt.
"Drug Lords" lässt selbst den 95er Rza erblassen und auf "Didn't Know" kombiniert Roc weihnachtliche Gute-Nacht-Musik mit polterenden Drums. Er entfesselt dabei selbst Philly-Freezer Freeway zu wahren Silbenstürmen: "Incarcerated Scarface in the Staircases/Turned to tight jeans, weird nikkas with queer faces". Hier killt jeder Track wie früher Indianer, langsam nach dem achten Mal.
Auf "Marci Beaucop" lässt Roc den Hörer entscheiden: Bist du noch ein Halbstarker, der lieber Trap Rap oder Kolle pumpt? Erfüllst du das Klischee von College-Weißbroten und gräbst zu Mac Miller wen auch immer an? Weinst du bei Casper? Oder bist du reif für die Herrenrunde am Kamin? Bist du reif für den Rotwein Rap?
Wenn ja, kipp dir einen Shiraz in den Kopp und nicke im Sessel mit eben jenem. Erkenne die Cuban Linx-Referenzen und rufe laut: "It's like a lion vs an elk!" Laut.de-Chefs, widerruft die Jahrescharts! Jetzt!
7 Kommentare
Sureshot.
Evidence Langweiler am Mic...und was ist dann Roc?
Also ich finde seine Stimme fast schon zu einschläfernd
Tolle Gästeliste aber...da muss man wohl mindestens reinhören.
Einfach mörderisch, der Typ.
Die Review ist in der Tat top!
Zwar gibt es hier, im Gegensatz zum KA-Text, ja keinen unumgänglichen Befehl an uns Cocksucker, aber ich sehe mich nun auch hier unbedingt dazu genötigt, mir das Teil mal zu geben. Auch wenn ich natürlich gehörigen Respekt vor der damit verbundenen Prüfung meines Charakters und meiner Männlichkeit habe.
Unglaublich unspektakulär!
läuft immer noch rauf und runter bei mir!