laut.de-Kritik
Schlecht drauf an Tagen mit '-tag' und Mittwoch
Review von Franz MauererDer Kanye West des Indie-Country-Pops ist zurück: Immer ein bisschen stinkstiefelig und fleißig wie eine Biene, der gute Ryan Adams. "Wednesdays" ist Teil einer Trilogie, die 2019 erscheinen sollte. Nach Vorwürfen einer beachtlichen Anzahl von Musikerinnen, Adams habe seine Stellung im Musikmarkt ausgenutzt, um Avancen bei ihnen zu befördern (u.a. von Phoebe Bridgers) und sei, wenn diese abgelehnt wurden, zum bedrängenden Arschloch geworden, lag das Projekt jedoch auf Eis. Mitte Dezember kam der unangekündigte digitale Release, am 19. März folgt die physische Edition. Im Vergleich zur schon Anfang 2019 veröffentlichten Tracklist wird klar, dass "Wednesdays" Teile des ursprünglich als ersten Teil der Trilogie geplanten, noch nicht veröffentlichten "Big Colors" umfasst.
Der Titel "Wednesdays" soll laut Künstler einen Schwebezustand beschreiben. Dazu passt das hervorragende Cover von Siebe Johannes ten Cate. Bahnhöfe sind nun mal die Orte des Übergangs schlechthin. Das Album selbst passt aber nicht so ganz dazu, denn unklar oder hin- und hergerissen stellen sich die elf Songs nicht dar: Schwarz auf schwarz malt Adams Beziehungsdramen und verarbeitet den Tod seines Bruders Chris. Findet eine Auseinandersetzung mit den Vorwürfen statt? Das bleibt zumindest unklar, zumal Adams seit einiger Zeit Rasierklingentexte am Fließband fertigt. Das tolle "Prisoner" samt noch besseren "B-Sides" war schon auch gut geeignet, um sich heimzudrehen, wie der Österreicher sagt.
"Wednesdays" hat oder hatte ein Alternativcover, eine direkte Anspielung auf "Nebraska" vom alten Mann Springsteen. Eines der besten und mit Sicherheit das reduzierteste Werk von Bruce. Musikalisch passt das zum ebenfalls vom Rock und der großen Geste bereinigten "Wednesdays", thematisch allerdings nicht. "Nebraska" ist eines DER Outsider-Alben, auf einer Ebene mit "John Wesley Harding", während Adams sich wie gehabt ausschließlich um sich selbst dreht. Adams wird kein Storyteller mehr, liefert aber auch auf "Wednesdays" verlässlich hochwertige Sprachbilder, die ihren Zweck, Nahbarkeit und Authentizität zu schaffen, mehr als erfüllen. Das Album steckt entsprechend voll brutal ehrlicher Texte, die öfter über die Schmerzgrenze hinausgehen. Im Albumhighlight "When You Cross Over" ist das an den verstorbenen Bruder gerichtete "I know you didn't wanna go this way" kaum erträglich und das wiederholte "When You Cross Over" löst jedes Mal einen Schauer aus. "Poison & Pain" thematisiert Adams Alkoholsucht, selten hat man einen authentischeren Schmerzsong gehört: "Woke up confused, just staring at my telephone/ Waiting like I'd ever hear your voice again". Zumindest winzige Lichtblicke wie "When you're hiding like a robber with no one's purse to grab/ Remember me standing there holding out my hand" auf "Birmingham" geben sich ausgesprochen rar.
Die Platte fängt mit dem Blattschuss "I remember you/ before you hated me" an, die Grundstimmung ist damit gesetzt. Der Opener "I'm Sorry And I Love You" ist ein hervorragender Song, schrammt bis auf ein Jota am Kitsch entlang, und kommt wie das ebenfalls sehr starke "Who Is Going To Love Me Now, If Not You" Adams Stärken damit sehr entgegen. Ryan legt sich voll rein und brilliert in seiner Rolle als verzweifelter Troubadour eben deswegen, weil er keine Sekunde Angst hat, zu dick aufzutragen. Auch "So, Anyways" geht hervorragend auf. Country-Twang stand dem Amerikaner schon immer. Überhaupt ist das der schönste Mundharmonika-Song seit "I Guess That's Why They Call It The Blues". Das schwere und druckvolle Klavier, begleitet von trockenem Schlagzeug auf "Dreaming You Backwards" ergibt die aufgeräumte Dynamik, neben der sich Adams Kopfstimme am wohlsten fühlt.
Nicht jedes Gitarrenarrangement auf "Wednesdays" gerät gleich spannend, nicht jede Idee geht auf. Adams Stimme profitiert generell von der Dynamik. Dem Sänger fehlt aber die Tiefe, um einen Song alleine zu tragen. "Walk In The Dark" gerät allzu karg und der Sing-Sang der Stimme zu gleichförmig. Der Titeltrack "Wednesdays" ist einfach egal und fließt vorbei wie Mittwoche es halt so tun in einer vollgestopften Woche. "Birmingham" bietet nur okayen, flotten Indiepop-Standard, wenn auch zum Schluss hin mit feinem Schifferklavier.
Besser stehen dem North Caroliner die Extreme wie das in hoher Stimmlage hingehauchte "Lost In Time" und die atemlose Anklage von "Mamma": "Mamma, did you leave my brother alone to die?". Adams verteilt durchgehend Schläge in die Magengrube und gewinnt genau an diesen Stellen die meiste Kontur. Wenn seine Stimme bricht, wenn er mehr jault als singt. "Wednesdays" ist ein Wendepunkt im Oeuvre: Weg von der breitbeinigen Geste eines Springsteen oder Petty, hin zur zähneknirschenden Offenheit eines Young. "Wednesdays" knüpft so musikalisch an "Ashes & Fire" und dem tollen "29" an. Produziert haben das Album übrigens der vielbeschäftigte Dan Was, Adams selber und als Mixerin Beatriz Artola, spätestens seit ihrer Arbeit an "Shore" eine der besten Adressen. Diese Profis hört man dem Soundbild an.
"Wednesdays" ist ein tolles Album mit einer durchgehend hohen Qualität, die vielleicht nicht viele Single-Song-Highlights für eine Alters-Werkschau von Adams beitragen wird, für sich stehend aber ein kohärentes und tieftrauriges neues Kapitel der Karriere des Musikers aufschlägt. Dass er damit Swift und ihrer Wendung nach innen folgt bzw. es bei der eigentlichen Zeitplanung sogar parallel getan hätte, passt wie die Faust aufs Auge. Cancel Culture-Enthusiasten werden mit "Wednesdays" nicht glücklich, alle anderen schon.
1 Kommentar
YES! Gibt kaum Künstler, bei denen ich mich mehr über neue Alben freue, als bei Ryan Adams. Hach... Tiefe Freude!