laut.de-Kritik
Das Album der Stunde von der mysteriösen Band.
Review von Simon ConradsWas macht man als Weißer, wenn durch den Mord an George Floyd mal wieder klar wird, dass es auf der Welt doch noch deutlich rassistischer zugeht als man es manchmal wahrhaben will? "Solidarisiert Euch! Informiert Euch!", hört man oft als Antwort von people of color und dann: "Hört uns zu!" Die immer noch von vielen Fragezeichen umgebene Band Sault liefert mit ihrem dritten Album "Untitled (Black Is)" allen, die zuhören wollen, einen einstündigen, eindringlichen Eindruck davon, was vermutlich viele people of color gerade umtreibt. Viel Frust und der Wunsch nach Veränderung, nach Gleichstellung, der Wunsch, nicht ständig in Angst zu leben, bei der nächsten Polizeikontrolle das Leben zu verlieren. "They all know it was murder" heißt es in "Wildfire" und man denkt sofort an George Floyd, Rayshard Brooks und Elijah McClain.
Sault sind 2019 aus dem Nichts aufgetaucht und haben ohne großen Marketing-Schnickschnack zwei Alben, "5" und "7", veröffentlicht. Die Presse feierte den charmanten Retro-Soul. Über die Mitglieder des Trios war lange wenig bis Nichts bekannt, inzwischen ist relativ eindeutig, dass der Londoner Musiker und Produzent Dean 'Inflo' Josiah einer von drei Köpfen ist. Josiah hat als Produzent bereits mit Michael Kiwanuka, Little Simz und sogar The Kooks gearbeitet, Kiwanuka tritt auf "Untitled" nun als Gast auf. Auf der wenig auskunftsreichen Internetpräsenz der Band liest man in einem kurzen Statement unter anderem Folgendes: "We present our first 'Untitled' album to mark a moment in time where we as Black People, and of Black Origin are fighting for our lives." Wann die Songs tatsächlich entstanden sind, kann man nicht ermitteln, aktueller könnten sie allerdings kaum sein. Immer wieder werden sie von Rufen durchzogen, die so auch auf den amerikanischen Black-Lives-Matter-Protesten zu hören waren: Etwa in "Don‘t Shoot Guns Down" oder in "Sorry Ain't Enough".
"Untitled" liefert mehr Abwechslung als die Vorgänger. Mal gibt es düstere Hip-Hop-Beats ("Stop Dem"), stellenweise sogar Trip-Hop ("Hard Life"), mit Titeln wie "Us" dann wiederum Spoken Word und schließlich auch den bekannten Retro-Soul im bereits erwähnten "Wildfire", der auch von Kiwanukas Zweitling "Love & Hate" stammen könnte. Dass das Album trotz dieser Genre-Vielfalt nicht auseinander fällt, sondern über alle 20 Tracks hinweg eine einzigartige, bereichernde Erfahrung bleibt, liegt vor allem daran, dass jeder Song mit Dringlichkeit aufwartet. "Black" besteht zu großen Teilen aus der Wiederholung der einfachen Aussage "I am black", im Songkontext versteht man aber sofort, was diese Aussage alles konnotiert. Stolz, Enttäuschung, Wut, Angst. Das Spoken-Word-Stück "Black Is" zelebriert die schwarze Kultur: "Black is love / Black is god / God is us". Immer wieder ziehen sich diese Aussagen durch das Album, auch im Opener "Out The Lies".
Aller naiver Optimismus verhallt aber, wie am Ende von "Hard Life": "Everything is gonna be alright / Because god is on our side". Gott ist zwar eine Konstante in diesem Album, helfen kann er trotzdem nur bedingt. Minderheiten mögen ihn auf ihrer Seite haben, wichtiger wäre es, dass auch der Letzte eines versteht: Wir sind alle gleich und sollten alle Anspruch auf die selben Rechte haben. "We got rights" ist die Kernparole aus der Kiwanuka-Kollaboration "Bow", einem drängenden Afrobeat-Song.
"Why We Cry Why We Die" ist lässiger RnB mit grummelndem Bass und wieder reduziertem Text. "I just need an angel / You will not save me / You get to hide" singt eine der unidentifizierten Sängerinnen. Wie bei fast allen Songs sind es diese einfachen, aber so klaren Aussagen, die im Kopf bleiben. In "Hold Up" blicken Sault nach vorne. Der Song klingt erst wie eine harmlose Ballade, aber das Kernthema Rassismus bleibt konstant: "We can push forward, move on / Or we can hold on to bitterness". Das Weitermachen ist ein roter Faden des Albums. Immer wieder klingt in den Songs der Aufruf durch, eben nicht zu resignieren, sondern zu kämpfen.
Sault haben mit "Untitled" einen vielseitigen Beitrag zur aktuellen Debatte geschaffen, der textlich immer eindeutig bleibt und dem Hörer im besten Fall die immer noch frustrierende Lage von PoCs verdeutlicht. Dass die Musik dazu nicht abfällt, ist natürlich umso besser.
1 Kommentar
Eines der Alben des Jahres 2020, hab es leider zum Release übersehen. Natürlich auch thematisch sehr passend zur "Black Lives Matter"-Bewegung, die Musik schafft es dabei aber, optimistisch und kein bisschen verkrampft zu klingen. Und ein ebenso brillanter Nachfolger ist ja auch schon raus. 5/5.