laut.de-Kritik
Alles quält sich, alles schält sich unter Martern heraus.
Review von Ulf KubankeScott Walker ist bekanntermaßen so öffentlichkeitsscheu und zurückgezogen wie Greta Garbo oder Marlene Dietrich in ihren späten Jahren. So hat der Mann, der sich selbst als "faul" bezeichnet, in den letzten 30 Jahren ganze drei Alben veröffentlicht. Spätestens seit 2006 ("Drift") zeigt er sich dabei vollkommen befreit von konventionellen Songstrukturen. Mit "Bish Bosch" setzt Walker den eingeschlagenen Pfad konsequent fort.
Eine Warnung an alle Freunde seines Frühwerkes bis einschließlich der ersten vier Soloplatten: Die aktuellen Songs stehen Avantgardisten und Berserkern wie Philip Glass, Swans oder Neubauten ("Tar") deutlich näher als seiner Walker Brothers-Vergangenheit. Doch der britischste aller Amerikaner lässt - ein mal mehr - keinen musikalischen Vergleich zu.
Wie sein größter Fan, David Bowie, ist Walker seit jeher ein Meister symbolhafter Andeutungen. Das fängt bei den Titeln an. "Bish" = "Schlampe" (niederländischer Slang), "Bosch" = der ebenso wie Onkel Scott in Teilen rätselhaft gebliebene Hieronymus (1450-1516). "Ich hatte die Idee, den Titel auf eine allumfassende, gigantische weibliche Künstlerin zu beziehen". Nach dem Genuss des Album fragt man sich unweigerlich, wie sich Herr Engel eine Artisten-Amazone wohl vorstellen mag. Auch die einzelnen Songs tragen allesamt Titel, die Text und Musik im Zusammenhang eine neue Bedeutungsebene geben. Nichts ist hier Zufall; alles ist Statement!
Diese Bitch-Platte bedeutet die konsequente Weiterentwicklung seines bedrohlich schimmernden Tollwutklumpens "Drift". Orchestrale Elemente flackern wie Irrlichter zwischen den mörteligen Ruinen dieser Lieder. Sowohl instrumental als auch vokal fügt er dem Schlampensud gern seine Vorliebe für eigenwillige Ballettfiguren hinzu. Den Begriff gilt es indes weit aus zu legen. Mit schwelgendem Schnuckelballett à la "Schwanensee" hat das alles hier selbstredend so gut wie nichts zu tun. "While plucking feathers from a swan song, a tiny laugh dirties everything it touches."
"Bish Bosch" ist dermaßen roh, brutal und der lustvolle Untergang jeder gängigen Hörgewohnheit. Da fiele dem durchschnittlichen Schickimicki-Avantgardisten sofort der Shrimpscocktail zu Boden. "Spinnweben schmelzen im Grab. Scheiße mag Christus' Gedärm (auf)brezeln." So drastisch, dass noch die finsterste Bläck Meddl Kapelle sich daneben ausnimmt wie ein Haufen braver Messdiener. Nein, die Musik des "30 Century Man" fällt einem wahrlich nicht in den Schoß. Doch die aufgewandte Mühe lohnt sich. Und Kollege Bosch ist immerhin bis heute ebenfalls nicht komplett entschlüsselt.
Wie Kumpel Bowie anno "Diamond Dogs" (1974) nutzt Walker mitunter ein Äquivalent William S. Burroughsscher Cutup-Technik. Allerdings musikalisch, nicht textlich. Hat man das einmal herausgehört, fällt es leichter, die komplexen Arrangements Stückchen für Stückchen zu entschlüsseln. Vom spannenden Detail zum schillernden Klangbild. Ein besonders schönes Merkmal ist der ebenso sparsame wie effektive Einsatz der Gitarre. Er will sie ausschließlich in jenen Momenten verwenden, in denen sie wirklich etwas Elementares hinzuzufügen hat. Weg von der instrumentalen Inflation. Experiment geglückt. "Phrasing" ist so ein pointiertes Juwel im noisigen Metal-Korsett.
"Du bist so fett. Trägst du 'nen gelben Regenmantel, rufen die Leute 'Taxi'!" steht herrlich verstörend neben Poesie der Marke "Schmerz ist niemals allein ... aus dem Süden sendet der Klan Rosen." Durch die im Booklet abgedruckte, theaterhafte Einbettung in Dialogformen und Handlung summiert sich der Albumtext nach und nach zur erschreckenden Liste menschlichen Versagens.
Gewalt, Sex und zurückgebliebene Bosheit in steriler Staffage ("Das Flussufer ist bereinigt. Alle Brücken hochgenommen." Die Instrumente eilen wahlweise hinterher oder vorweg. Von fiebrig-nervöser Anspannung zum in der eigenen Implosion gefangenen Aufschrei. Kein fesches Rocksolo. Note gewordene Agonie. Alles quält sich, alles schält sich unter Martern heraus. Kein Herzschmerz mehr im Dreamhome. Hier auf "Bish Bosch" besitzt man gar nicht erst so ein überflüssiges Organ.
Die Platte ist die künstlerische Bombe des Jahres und macht mit jedem Durchgang mehr Spaß. Sollte Mr Noel Scott Engel wieder mal eine Dekade lang schweigen: Kein Problem. Es dauert gute zehn Jahre, bis man diese LP verstanden hat. Folglich können diese Zeilen lediglich eine erste Annährung sein; keine Beschreibung mit Schlussstrich.
14 Kommentare mit einer Antwort
klasse Abschluss der Trilogie. Noch ein ALbum mit dem SOund wär auch zu viel geworden.
Von "Tilt" soweit weg wie "Tilt" von "Scott 4", aber eigentlich viel fröhlicher als The Drift...Gerade die 2. Hälfte macht richtig Spaß! Laut aufdrehen!
Hurz!
Haha der Vergleich zu philip glass Ich glaube dieses Album könnte gar nicht gegenteiliger zu glass' songs sein..
klar, er klingt ja auch nicht wie neubauten. das argument zielt eher auf die hörgewohnheit brechende freigeistigkeit, die alle erwähnten teilen
ja, den sinn habe ich verstanden, die formulierung dass "seine Songs dem Avantgardisten Philip Glass nahe stehen" klingt einfach nur so unglaublich falsch
warum bekommt das neue album keine rezession? das ist sogar halbwegs erfolgreich gewesen