laut.de-Kritik
Schockierend, schlampig & schrecklich.
Review von Ben SchiwekEin Compilation-Album aus nie veröffentlichten Songs muss nicht perfekt klingen oder Karriere-Highlights enthalten. Es soll Aufschluss darüber geben, was bei einem Künstler über die Jahre sonst noch so liegen bleibt. Schön und gut. Aber was bei "Covers, Collaborations & Collages" passiert ist, ist mir schleierhaft. Wie ein Künstler von der Größe eines Serj Tankian so etwas mit gutem Gewissen als veröffentlichungswürdig ansehen kann, hinterlässt meine Kopfwand löchrig gekratzt.
"Covers, Collaborations & Collages" – die zehn Tracks, die teilweise bis zu 25 Jahre auf dem Buckel haben, fallen alle in eine dieser Kategorien. Um das Problem des Albums zu illustrieren, halte ich mich aber am besten am Begriff "Collages" auf. Der soll hier die Tracks beschreiben, die eben keine Covers oder Collaborations sind. Aber das Wort scheint hauptsächlich gut zur Alliteration gepasst zu haben, die Songs wirken nämlich eher wie Skizzen als wie Collagen.
Vieles scheint schnell mit wenigen Mikros im Raum aufgenommen zu sein. Es gibt keine Ausschmückungen, sondern oft nur zwei bis drei Elemente, und dennoch klingt der Mix so kartoffelig und unbalanciert – und das ohne coole, rohe Lo-Fi-Ästhetik. Wie gesagt, perfekt muss das auf so einer Compilation nicht klingen. Und auch einen reduzierteren, simplen Song zu haben, kann schön sein. Aber hier ist jegliche Komposition so nichtssagend.
Der Opener "Electric Dreams" etwa besteht nur aus Serjs Stimme und einem Akustikgitarren-Arpeggio, das für vier Minuten wiederholt wird – alles bisschen auf schuhuu-mysteriös-und-düster. Sein Gesang gerät in den höheren Stellen geradezu dissonant, was aber nicht den creepy Vibe unterstützt, sondern schlicht nervt.
Ähnlich vorhersehbar, als hätte man einer KI gesagt, sie solle einen Serj-Tankian-Song (nicht einen SOAD-Song) schreiben, klingen die meisten Melodien hier. Keine Hook bleibt hängen, und wie melodramatisch Serj das alles singt, stellt die Fadheit des Ganzen nur noch schmerzlicher zur Schau. Die zwei Cover sind da mal eine ganz nette Abwechslung, ziehen sich aber ziemlich, ohne interessante Reinterpretation.
Schlimmer sind aber die Songs, die wiederum zu viele Ideen haben – das könnte man schon eher als Collage bezeichnen. "A Seed" hat noch den verheißungsvollsten Start hier, mit düsteren Klavierakkorden – bis nach einer Minute ein von Deadmau5 gebasteltes Gefrickel aus Acid-Synths beginnt. Immerhin unerwartet, nur leider auch schrecklich unpassend. Serjs Spoken-Word-Poesie hat zwar ungewöhnliche Bilder wie "menstrual nightgowns embedded in our skies", wirkt darüber aber prätentiös und schwachsinnig.
Da klingt der Beat aber immerhin hochwertig produziert. Unaushaltbar wird's dann in der zweiten Hälfte des Albums. "Kneeling Away From The Sun" war vor Jahren mal eine Skizze mit Avicii; die fertige Version klingt eher, als wolle ein 16-Jähriger einen Symphonic-Metal-Song in der kostenlosen Audio-Software Audacity aufnehmen. MIDI-Drums aus der Hölle und alberne Synths inklusive.
Noch schmerzhafter ist der wie ein 2010-YouTube-Intro anmutende EDM-Drop in "Apocalyptic Dance", während Serj Grundschul-Gesellschaftskritik vorträgt: "Ignorant masses all voting for asses" und "Our whole world is falling to pieces / We don't know what peace is". Preach oder so. Währenddessen klingt "Sonic Expulsions" stellenweise, als würden mehrere Songs gleichzeitig laufen – da passiert einfach viel zu viel und es funktioniert so offensichtlich nicht.
Wie kann jemand, der Meisterwerke wie "Toxicity" geschrieben hat, das stolz als neues Album vermarkten? In den besten Momenten ist das Album sterbenslangweilig, in anderen unhörbar. So wild SOAD manchmal geriet, war das Chaos immer clever sortiert und sogar catchy. Das kann man auch noch über Tankians frühes Solo-Material sagen. Aber das hier wirkt, als sei ihm jeglicher Geschmack, Songwriting-Skill oder auch nur Wille, etwas nicht Liebloses abzugeben, abhanden gekommen. Disorder.


2 Kommentare mit 3 Antworten
Dass jemand wie Tankian einen Song dermaßen schlachten kann, dass einem die Original-Version von Chris de Burgh (!) wie eine Offenbarung Nick Caveschen Ausmaßes anmutet, ist wirklich erstaunlich.
Schmerzhaft.
Ja, in der Tat. Kein Ahnung, was da schief gelaufen ist.
Der Sturz ist jetzt nicht soooo tief für mich. 80-90% der Musik von SOAD hat Daron Malakian geschrieben, Serj vor allem die Lyrics. Da hätten nur die größten Optimisten unter jenen, die sich dessen bewußt sind, damit rechnen können, der Solo-Output von Serj würde etwas taugen.
Yep, wobei die beiden letzten Werke 2005 auch von Daron fleißig getextet worden sind, meine ich. Sein Humor ist nochmal etwas aggressiver und dann ganz ohne seine Riff-Ideen, ist es komplett...lost. Die Solo-Werke habe ich von Serj nie gehört, da ich stets ahnte, was auf mich zukommen würde. Umgekehrt, habe ich SOB zumindest am Anfang gesuchtet. Daron ist einfach so ein liebenswerter Psycho.
Also das erste Soloalbum von Serj, Elect The Dead, kann man sich durchaus geben.