laut.de-Kritik

Beats mit Cardi B und Bizarrap, aber ohne Boom-Effekt.

Review von

In der ersten Hälfte der '90er hatten manche Computerspiel-Freaks Software-Programme, mit denen sie selber in simplem Drag-and-Drop Eurodance-Hits bauen konnten. Die Balken auf dem Bildschirm sahen aus wie Lego. Shakiras Album-Einstieg mit ⁠⁠"Puntería x Cardi B" und
"La Fuerte x Bizarrap" klingt genauso. Wir hören subtile Trance-Keyboards, Rave-entlehnte Stakkato-Bässe, brutzelnde Verstärker-Derivate, synthetische Piano-Kopien und mit Cardi B einen weiteren Latin-Star in weich gespültem Kontext. Dann schlägt das Album andere Richtungen ein: Über fehlende Bandbreite braucht man sich bei "Las Mujeres Ya No Lloran" nicht zu beschweren.

Melodramatische Rock-Vibes lassen in "Cómo Dónde Y Cuándo" an 4-Non-Blondes und Cranberries denken. "Acróstico x Milan + Sasha" ist eine leichte Klavierballade mit Kinderstimmen, Shakiras Family. Nett. Zur Zeit der Aufnahme waren die Kids acht und zehn Jahre jung. Es sind die Söhne aus ihrer gescheiterten Ehe mit Barcelonas Fußball-Rentner Gerard Piqué, die mit dieser Liebeserklärung an ihre Mama wohl auch ein bisschen die Trennung und den Umzug in die USA verarbeiten.

"In diesem Jahr hat Milan Lieder geschrieben, die mir Tränen der Rührung in die Augen getrieben haben, und Sasha hat Stunden am Klavier verbracht, um seine Stimme zu entdecken", erläutert die musikalische Mutter 2023 auf Instagram. Als weiterer ruhiger Tasten-Track verleiht "Última" dem Album Profil jenseits des mitunter ausdruckslosen Schielens auf die Club-Tanzflächen ("Copa Vacía x Manuel Turizo", "Nassau").

Das melancholische "Monotonía x Ozuna" bastelt Reggaeton mit Klacker-Beats nach, wie sie vor 20 Jahren schon en vogue waren. Im zugehörigen Video balanciert die Kolumbianerin ein pulsierendes Herz und schützt es davor, dass man es ihr weg nimmt. Sie umklammert es, doch einmal entgleitet es ihr, ein Passant tritt es fast platt. Sie kann es aber retten und in einen Tresor in einer Bank bringen, den Schlüssel nimmt sie an sich.

Shakira steht für Gefühlsmusik, die aber auch bei schwermütigen Zwischentönen in erster Linie tanzbar und easy verdaulich ist. Auf diesem Album setzt sie das eingeschliffene Konzept insoweit fort. Popo-Wackel-Dancefloor mit charmant verschobenen Beats in "TQG x Karol G" zahlt aufs Konto dieser Mainstream-Ausrichtung ein. Die harmonieselige Akkordeon-Ballade "(Entre Paréntesis) x Grupo Frontera", also "In Klammern" hält dagegen, behutsam, nur echt mit Klammern geschrieben und mit Betonung auf dem ersten "é" in Parenthese. Bei diesem "é" steigert sich Shakira in ihr charakteristisches Kieksen. Ihre unnachahmliche Stimme fungiert als roter Faden im ansonsten heterogenen Album.

Man kann von diesem Markenzeichen fast zu viel bekommen, wenn die in ihrem Gesang tanzende Allrounderin ins schrill Gebrochene, ansatzweise Hysterische kippt, wie sie es in "Tiempo Sin Verte" ("lange nicht gesehen") tut. Das Keuchende in ihren Vocals muss wohl darauf zurück gehen, dass sie beim Einatmen singt, bis Singen, Fauchen, Heulen, Schreien eins werden.

Etliche Gäste gestalten die Platte mit. Sie bekommen einen höheren Rang zugeteilt, als den featuring-Artists, sondern werden mit "x ...", also in etwa "Shakira meets ..." in den Liedtiteln verbunden. Je zwei Mal hat das telegene Chamäleon Bizarrap und Rauw Alejandro mit an Bord. An der Seite Alejandros ereignet sich Moonwalk-Funk, ein bisschen zumindest in "Te Felicito". Nicht genug damit, dass bei uns Alexa Feser ein Duett mit einem K.I.-Klon ihrer selbst singt, in Kolumbien tanzt Shakira im Clip mit einem irgendwie süßen, tappsigen Roboter.

Das andere Stelldichein mit dem 31-jährigen Puertoricaner tönt dagegen eher stupide. Es kombiniert fluffige Urban Beats mit Akustikgitarre und lässt musikalisch einen Relax-Song, textlich ein Relationship-Lied vom Stapel ("Cohete x Rauw Alejandro"). Die beiden schauen im Nachthimmel den Mond an und fantasieren, wie es mit Hilfe einer Rakete (cohete) auf einem anderen Planeten für die beiden weiter ginge. Der argentinische DJ Bizarrap entstammt der EDM-Szene. Neben "La Fuerte x Bizarrap" im beschriebenen Legostein-Dancefloor lädt er noch zum improvisierten Jammen und verleitet Shakira dabei in den "Bzrp Music Sessions #53" sogar zu ein paar Rap-Zeilen, die ihr gut stehen und flüssig über die Lippen flutschen. Starker Mitschnitt aus einer Party-Reihe! Die feministische Hymne, die dem Albumtitel "Las Mujeres Ya No Lloran" ("[Die] Frauen weinen nicht mehr") am nächsten steht, unterzieht sich einem Tiesto-Remix, der formschön pulsiert.

Erfreulicherweise lässt der durchweg spanischsprachige Longplayer Raum für eine Spur Cumbia-Vibe mit Posaune und einer Beat gebenden, Stakkato gespielten Akustikgitarre in "El Jefe x Fuerza Regida", einem besonders lebhaften Stück. Um die Vielfalt des Albums an drei Eckpfeilern zu überprüfen, empfehle ich jenes "El Jefe", die "Bzrp Music Sessions #53" und eine der Balladen "(Entre Paréntesis) x Grupo Frontera" oder "Acróstico x Milan + Sasha" und wünsche weiterhin gute Unterhaltung bei den vielen längst releasten Singles. Das Wort 'Acróstico' bedeutet Akrostichon, eine Stilfigur in der Gedichtkunst: Die Anfangsbuchstaben der Strophen bilden wie beim Scrabble oder in der Vertikalen eines Kreuzworträtsels neue bedeutsame Wörter, hier die Vornamen von Shakiras Jungs. Dass das Album ein neues "Hips Don't Lie", "Whenever Wherever" oder "Waka Waka" abwerfen würde, kann man definitiv nicht behaupten - dazu fehlen knackige, kantige Momente, die gleichzeitig originell oder noch nie gehört wären, und da herrscht Fehlanzeige. Trotz mangelnden Boom-Effekts macht die routinierte Hitlieferantin aber ihre Sache gut.

Trackliste

  1. 1. Puntería x Cardi B
  2. 2. La Fuerte x Bizarrap
  3. 3. Tiempo Sin Verte
  4. 4. Cohete x Rauw Alejandro
  5. 5. (Entre Paréntesis) x Grupo Frontera
  6. 6. Cómo Dónde Y Cuándo
  7. 7. Nassau
  8. 8. Última
  9. 9. Te Felicito x Rauw Alejandro
  10. 10. Monotonía x Ozuna
  11. 11. Bzrp Music Sessions #53
  12. 12. TQG x Karol G
  13. 13. Acróstico x Milan + Sasha
  14. 14. Copa Vacía x Manuel Turizo
  15. 15. El Jefe x Fuerza Regida
  16. 16. Bzrp Music Sessions, Vol. 53 (Remix Tiësto)
  17. 17. Punteria (Vinyl Version)

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