laut.de-Kritik
Jeder tiefschürfende Gedanke geht in einem Wirrwarr unter.
Review von Laura Sprenger"Für mich ist das Album 'Rest in Peace' das Ende von Sierra Kidd. Für mich stellt es das Ende dieses Projekts dar", verkündete Manuel Jungclaussen, so der bürgerliche Name des Rappers, vergangenen Herbst per Videobotschaft. Wer sein künstlerisches Schaffen seit dem Debütalbum "Nirgendwer" weitestgehend ignoriert hat, kann sich angesichts von "Rest In Peace" nur erstaunt fragen, ob besagte Kunstfigur während der Entstehung überhaupt noch existierte. Melodische Beats, eingängige Hooks und von Zweifeln, Herz- und Weltschmerz triefende Texte? Fehlanzeige.
"Der Auszug aus der Kopfvilla ist abgeschlossen. Stetige Weiterentwicklung, das ist der Wesenskern von 'Rest In Peace' – das Alte zu Grabe tragen, in Frieden ruhen zu lassen", preist der Pressetext den gewandelten Sound des Emdeners an. Sierra Kidd, von Hadi El-Dor entdeckt und später bei RAF Camoras Indipendenza gesignt, ist älter geworden, hat mit Teamfucksleep sein eigenes Label gegründet und scheint diesen Namen auch ganz wörtlich zu nehmen: So liegen der exklusiven Fanbox mit "Sierra Kidd & Friends", "Bando" und "B4FUNERAL Live" gleich drei EPs bei.
Schlagen sie qualitativ in eine ähnliche Kerbe wie das Hauptwerk, hätte man sich die Mühe aber auch getrost sparen können. Müsste man "Rest In Peace" in drei Worten zusammenfassen: Autotune, Anglizismen und eine Menge Hall. Was ziemlich zeitgemäß anmutet, gerät leider allzu oft austauschbar, bemüht und nichtssagend – sofern man die scheinbar wahllos aneinandergereihten Zeilen überhaupt verstehen kann. Das "Ficke den Beat einfach ohne Verstand", wie es im einleitenden "Cutthroat" heißt, kann man jedenfalls wörtlich nehmen.
Dass bewusstseinserweiternde Substanzen bei der musikalischen Neuausrichtung eine wichtige Rolle gespielt haben, hätte der 21-Jährige kaum erwähnen müssen. Dank ihnen reitet er auf teils schwindelerregend hohem Ross durch wirre "Wavy"-Welten und hinterlässt den bedauernswerten Eindruck, dass weder Hype noch Hass aus der Deutschrapszene ihm sonderlich gut getan haben: "I got the Juice, nachts in der Booth / Du willst meine Seele, doch das lass ich nicht zu."
Neben der Abgrenzung von besagter Szene gehört Familie zu den wiederkehrenden Themen der teils schwer voneinander zu unterscheidenden Tracks. Unglücklicherweise geht beinahe jeder tiefschürfende Gedanke in einem Wirrwarr unter, das in "SAV Freestyle" den traurigen Höhepunkt erreicht: "Ich weiß, was du denkst, denkst / Face verkackt, fuck sleep, fuck sleep, Gang Gang / Im Flur riecht es nach dank, dank / Frühstück Double Cup und Pancakes / Ich mach Bands, Babe, pass Jays / Das Game fame, Babe, that's safe, ey."
Die auf die Spitze getriebene Willkürlichkeit und Weltfremdheit verhindern, dass sich Sierra Kidd als der technisch versierte, lyrisch begabte Rapper präsentiert, der er eigentlich ist – offenbar aber nicht mehr sein will. Nur "Sensor" erinnert noch an das ursprünglich maskierte Jungtalent, wirkt zwischen den übrigen 14 Tracks aber reichlich deplatziert. Hier wie auch im abschließenden "Don't Do It Juri" offenbart sich jedenfalls endgültig, was eigentlich längst traurige Gewissheit ist.
Sierra Kidd ist ein innerlich zerrissener, permanent mit sich selbst hadernder junger Mensch. Der Urheber des einzigen Skits fasst das so zusammen: "Er ist halt einfach krank und er hat halt 'ne Behinderung [...]. Er ist gar nicht so dumm, wie man denkt. Ziemlich reflektiert, er redet voll offen darüber. Er sagt so, ja, er weiß, für den Arbeitsmarkt ist er nichts und so, bla bla bla. Er checkt schon mehr, als man eigentlich denkt." Wenn "Rest In Peace" Sierra Kidds Art ist, mit seinen Schwierigkeiten umzugehen, ändert das zwar nichts an der musikalischen Qualität – hätte aber immerhin einen positiven Effekt.
4 Kommentare
Man soll sich ja nicht über behinderte Menschen lustig machen, aber bei ihm fällt es mir schwer, da er selbst für jemanden mit einem offensichtlichen Gendefekt absolute Grütze produziert. Damit dürfte er nichtmal beim ESC-vorentscheid für Finnland antreten. Ich wünsche ihm für seine Zukunft trotzdem alles erdenklich gute, er versucht es ja zumindest und ist damit eine Inspiration für viele andere Deutsche mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung.
"Müsste man "Rest In Peace" in drei Worten zusammenfassen: Autotune, Anglizismen und eine Menge Hall."
Zum kotzen!
"Ich weiß, was du denkst, denkst / Face verkackt, fuck sleep, fuck sleep, Gang Gang / Im Flur riecht es nach dank, dank / Frühstück Double Cup und Pancakes / Ich mach Bands, Babe, pass Jays / Das Game fame, Babe, that's safe, ey."
Ein paar schöne Songs sind trotz dem zahlreich vorhandenen sinnfreien Krach trotzdem drauf.
"Sensor" ist wunderbar, "Shots" auch, dann noch das "Outro".
Viel lärmiges, verzerrtes Travis-Scott-Gebite drauf. Muss es mir nochmal anhören um endgültiges Urteil zu fällen.
Die Reaction Videos weiter oben haben mich endgültig überzeugt, werde die Woche mal reinhören.