laut.de-Kritik
Kopfmusik - aber ohne das übliche Meer an Verkopftheit.
Review von David HutzelKein Zweifel: Sizarr gehören zu den hippen Kids. Das merkt man schon, wenn Sänger Fabian Altstötter, Gitarrist/Synthieboy Philipp Hülsenbeck und Drummer Marc Übel die Bühne betreten. Ohne Batik-Shirts geht da nix. Doch genauso subtil wie die Muster auf ihren Oberteilen, so verwaschen und zerfahren klingen Sizarr auf ihrem ersten Langspieler "Psycho Boy Happy".
Bei den Landauern bedeutet das aber nicht, dass da nicht trotzdem eine eingängige Popmelodie durch den Track torkelt, die sofort in die Venen schießt - wie die Single "Boarding Time". Einerseits ist da also der Pop als maßgebliche Referenz. Gut gemachter Pop, denn der musikgeschichtliche Hintergrund der Platte hält natürlich noch viel mehr Einflüsse bereit. Manche sprechen von Afrobeat und Clubsounds, auf jeden Fall ist da aber eine ganze Menge Alternative- und Psych-Rock à la Animal Collective herauszuhören.
Prinzipiell sind die Genre-Einordnungen und Vergleiche hier aber auch sinnlos. Denn hauptsächlich knüpfen die raue Stimme von Sänger Fabian (der mit seinen 21 Jahren so klingt, als hätte er von Geburt an mit Lemmy geschlotet und sich an dessen Whisky-Sammlung bedient), Synths, Bläser und verschobene Rhythmen den monumentalen Klangteppich. Und der schimmert tatsächlich in allen möglichen Farben, ist von Stück zu Stück grundverschieden. Aber die präzise akustische Verflechtung ergibt im Gesamtkontext dennoch Sinn, bleibt fast ohne Löcher und ist Balsam für die gescholtenen Sohlen deutscher Indie-Vagabunde.
Mal mit funkig-poppigem Gitarrenriff zu Beginn bei "Tagedieb", dann der Genresprung in Dubstep und Chillstep-Bereiche. Ein Wagnis jenseits von Gut und Böse? Nein. "Cat Mountaineer" traut sich zu genau dieser ungewöhnlichen Melange zu greifen. Während der Track mit catchy Melodie-Pop zu klingen beginnt, wobbelt die Strophe mit ungehobeltem Gesang im Londoner Club-Style. Synth- und Vibraphonmalereien schmücken hier und da große Flächen in den Tracks. In "P.B.E.W." mutet das dann orientalisch an, eher asiatisch schon in "Purple Fried".
Und was ihre literarischen Ergüsse anbetrifft, sind die Jungs auch nicht auf den Kopf gefallen - das letztere Stück ist beispielsweise von Hesses "Steppenwolf" beeinflusst. Hauptcharakter Harry Haller befasst sich darin bekanntlich mit dem Gedanken des Selbstmordes als finalem, aber dafür sicherem Ausweg aus unerfüllten Sehnsüchten. Das Tiefsinnige könnte man leicht als bedeutungsschwanger abtun - schließlich stammen die Pfälzer weder aus materiell noch geistig armen Verhältnissen.
Doch bei Sizarr klingt sogar die Melancholie authentisch - ohne ihnen jetzt zu viel verkappten philosophischen Scharfsinn unterstellen zu wollen. Musik als künstlerische Ausdrucksform haben sie auf jeden Fall begriffen. "Would you ride my bicycle / Tell your friends I'm your friend" singt Fabian in "Mulo". Der Track geizt nicht mit angenehmer Dance- und Glam-Attitüde und zählt zu einem der ruhigeren auf dem Album.
Ebenso zahm: "Icy Martini" mit Westerngitarre und Flöten im Hintergrund. In den Ohren noch das Knistern des letzten Sommerabends am Lagerfeuer. Irgendwie verdammt cheesy - aber Sizarr biegen das hin, mit sphärischen Sounds gegen Ende. Stellt sich nur die Frage: Wie kriegen die das hin? Kopf-Musik ohne ein Meer an Verkopftheit? Chapeau! Und so hat deutsche Musik vielleicht sogar eine Zukunft in Übersee.
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