laut.de-Kritik

Drogen, Sex und Silikon: Pop hat eine neue Femme fatale.

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Wohl keine Stadt bietet einen fruchtbareren Nährboden für die Luftschlösser der Pop-Musik als Los Angeles. Egal, ob der romantische Traum vom Kuss auf dem roten Teppich, vom Tanz unter kristallenen Kronleuchtern oder vom zugekoksten Sex auf einer dreckigen Clubtoilette: In der Stadt der Engel findet jedoch noch so dekadente oder unschuldige Eskapismus-Fantasie eine Heimat. Dass es eine Künstlerin wie Slayyyter in ausgerechnet diese Stadt verschlägt, scheint im Grunde unabdingbar.

Die Kleinstadt-Sonnenbank, die noch das Debüt-Mixtape von Catherin Slater zierte, tauschte die Südstaatlerin auf ihrem neuen Langspieler gegen eine Penthouse-Suite in Hollywood aus. "Starfucker" zelebriert diesen Umzug mit größtmöglichem Bombast. Das Album nimmt uns mit auf eine Reise durch das Nachtleben der Reichen und Schönen, von den Tanzflächen Beverly Hills' über Badezimmer in den Hamptons bis hin zu Stripclubs in Calabasas. Damit gehen nicht nur jede Menge Drogen, Sex und Silikon einher, sondern auch ein grandioses Showcase von Slayyyters Wachstum als Künstlerin.

Rückblickend tanzt ihr eigentliches Debüt "Troubled Paradise" ein wenig aus der Reihe, denn so sehr es ihre Versatilität unter Beweis stellt, so orientierungslos klingt es stellenweise auch. "Starfucker" knüpft dagegen mehr an den Y2K-Sound ihres Debüts an, befreit ihn jedoch vom Korsett des Bubblegum-Pop und schneidert stattdessen Synthesizer und Discokugeln auf den Leib. Auf "Starfucker" klingt Slayyyters Musik nicht länger knallpink, sondern bordeauxrot und schneeweiß. Sie mimt nicht länger das Abziehbild jener Popstars, deren Musik sie imitiert - sie sitzt mit ihnen am selben Tisch.

Dieses Album klingt, als hätten sich Lady Gaga, Madonna, Britney Spears und SOPHIE auf der Tanzfläche getroffen, um eine auditive Geheimformel auszuhecken, mit der man alle Gay-Clubs dieser Welt in Brand stecken kann. In den Songs von "Starfucker" hallen sämtliche Pop-Ikonen der letzten dreißig Jahre nach, und doch hätte am Ende niemand anderes als Slayyyter dieses Album machen können.

Die 27-jährige versteht, was diese Art von Popmusik so großartig macht, und sie scheut weder davor zurück, sich voll und ganz dem Kitsch und Pathos hinzugeben, noch mit den etablierten Regeln zu brechen: Wie sich auf "Miss Belladonna" der Pre-Chorus zu dem kathartischen Aufschrei des Titels hochschaukelt und gleichzeitig die Drums von der Leine lässt.

Die Art, wie Slaters Stimme auf "My Body" über die Bassline springt und mit der finalen Line des Refrains Autotune an seine Grenzen bringt. Oder "Erotic Electronic", bei dem das EBM-Instrumental mit dem Selbstbewusstsein eines Victoria's Secret-Models zu ihrem persönlichen Laufsteg verwandelt. All diese Momente kommen der Perfektion erschreckend nahe.

Während sich Popmusik vielerorts vom ganz großen Glamour abgewendet hat und die Nähe des kleinen Mannes, respektive der kleinen Frau sucht, frönt die Sängerin aus St. Louis dem Exzess so offen und hingebungsvoll wie nahezu niemand sonst. In Slayyyters Welt wiegt Liebe ungefähr so viel wie 50 Karat, ihre besten Freunde heißen Prada und Fendi, und wenn sie den Raum betritt, dann hat man sich gefälligst nach ihr umzudrehen. Niemand begegnet dieser sleazy Porno-Ästhetik mit solcher Aufrichtigkeit wie sie.

Schon das Albumcover brennt einem diesen Punkt in die Retina: Wie aus einem Coppola-Film gestolpert, steht sie da. Halbnackt in einem verrauchten Loft, eine müde lodernde Marlboro in der Hand wirft sie uns einen lasziven Blick zu, scheinbar nur darauf wartend, dass man vor ihr auf die Knie fällt. Schlägt man 'Femme fatale' im Duden nach, sollte man eigentlich dieses Bild sehen.

Dabei beschreitet Slater stets eine dünne Linie zwischen edel und billig, zwischen Realität und Fantasie, zwischen Ledersessel und Stripstange. Schlägt die erste Hälfte der LP einen überwiegend seriösen Ton an und beschwört Bilder von vernebelten Nachtclubs, Abendkleidern und rotem Lippenstift, so fallen spätestens mit "Erotic Electronic" alle Hüllen (das Video nimmt das wörtlich). "Purr" und "Plastic" knüpfen wieder an die auditiven Exzesse ihres Debüts an und injizieren eine Überdosis Estrogen in den Frontallappen.

Über chaotische Instrumentals, in denen, auch wenn die Hyperpop-Welle schon längst wieder abebbt, noch der Einfluss SOPHIEs nachhallt, singt Slater davon, wie rallig sie verschiedene Drogen machen und wie geil sie ihren gemachten Körper findet. Das funktioniert nicht trotz, sondern gerade weil Slayyyter einem ihr Silikon förmlich ins Gesicht drückt. ("Brand new tits / Give me a little injection / My doctor made it look like this"). Diese unapologetische Überhöhung wird manchen Leuten sicherlich vor den Kopf stoßen, während sie in den Kreisen, die diese Musik primär ansprechen soll, mit offenen Armen begrüßt wird.

"Starfucker" trägt die Plastizität dieses Luxus-Lifestyles ebenso sehr als Ehrenabzeichen wie es ihn auch selbst immer wieder unter das Messer legt. Slayyyters dritter Langspieler ist weit von einem intellektuellen Weitwurf entfernt, aber findet inmitten seiner Oberflächlichkeit auch clevere Momente der Subversion oder der Verletzlichkeit.

So ist beispielsweise der Ausruf des Openers "I Love Hollywood!" durchaus wörtlich zu verstehen. Die 27-jährige - oder zumindest der Charakter, den sie hier mimt - liebt diese schnelle Art zu leben. Doch ebenso sehr ist sie sich der Abgründe bewusst, die hinter der funkelnden Fassade lauern, und verwebt diese mit zynischer Überspitzung und dem Hedonismus der flackernden Nightlcub-Strobos: "Brand new face by Dr. Weiss / Party but I never sleep / I look so heroin chic / It's not fashionable to eat."

Diese kokainweißen Brotkrumen streut Slayyyter über das gesamte Album. In den abschließenden Momenten, angefeuert von den treibenden "Out Of Time"-Synths führen diese geradewegs ins Badezimmer, wo eine ernüchternde Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild wartet. Mit der Erkenntnis "Two more minutes, three more hours till she lose it all / Got no one left to call" macht Slayyyter Platz für die finale Pointe der gesamten LP. "She hates herself, but if they all love her, then she don't mind."

Ebenso, wie die Protagonistin in Nachtclubs mit Sex und Drogen ihre Probleme verdrängt, lädt uns die Musik dazu ein, dasselbe zu tun. Für eine halbe Stunde Teil davon werden, Teil einer Welt, die sich um Oberflächigkeiten dreht, in der nichts wichtiger ist als der Preis dessen, was man auf der Haut trägt. In der man den Ballast auf der Tanzfläche abwirft, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse, richtig und falsch unter den Blitzen des Stroboskops verschwimmen. Wer sich davon treiben lassen kann, erlebt eines der euphorischsten Highs des Jahres.

Trackliste

  1. 1. I Love Hollywood!
  2. 2. Miss Belladonna
  3. 3. Dramatic
  4. 4. My Body
  5. 5. Memories Of You
  6. 6. Rhinestone Heart
  7. 7. Erotic Electronic
  8. 8. Purrr
  9. 9. Plastic
  10. 10. Girl Like Me
  11. 11. Tear Me Open
  12. 12. Out Of Time

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Review trifft alles auf den Punkt, ihr bestes Album bisher und macht einfach richtig Bock! Erinnert mich teils extrem an frühe Gaga Releases aber im besten Sinne. 'Hollywood' als opener gibt direkt perfekt die Richtung vor was man zu erwarten hat, 'Rhinestone Heart' und 'Miss Belladonna' beste songs.