laut.de-Kritik
Operetten-Tracks und persönliche Lyrics.
Review von Stefan Johannesberg"Sonata Arctica können doch noch auf die Tube drücken!", so eröffnen die Kollegen von metal.de ihre Review zu "Clear Cold Beyond", dem elften Streich der Finnen um Sänger und Keyboarder Tony Kakko, und loben die Rückbesinnung auf bekannte Stärken. Doch kann das heutzutage nicht eigentlich jede Power-Metal-Kombo? Die entscheidende Frage ist eine andere: Wie bombastisch strahlen Pre-Chorus und Chorus über die treibende Double Bass und die zackigen Riffs? Fühlt man sich im Heer von Rohan kurz vor der Schlacht um Gondor oder guckt man doch nur die "Ringe Der Macht"? Bands wie Power Paladin oder Twilight Force eroberten in den letzten Jahren jenen Thron des fantasy-getriebenen, ultra eingängigen Metal. Zu deren epischer Breite fehlt Sonata Artica trotz Drückens der Tube die ganz große Geschwindigkeit und der Pathos in den Refrains.
Doch, stop, nach Durchgang vier von "Clear Cold Beyond" offenbart sich wieder die Klasse von Sonata, aber anders als gedacht. "First in Line" erinnert zwar mit seinem chor-getriebenen, schnellen, aber nie überladenen Sound an "8th Commandment" vom Debüt der Band 1999. Der Unterschied zu damals und zu oben genannten Gruppen sind die sozialkritischen Texte. "Every generation has a purpose / In the circle getting drawn on, hurt / Yet we can save this world if we move on slower / In lack of a silver spoon, maybe we should solve the problems / Now we're the first in line / This world like a clock we've left unwind". Die Klimakrise hat auch den Metal erfasst und Sonata Arctica besinnen sich auf eine alte, von Iron Maiden einst perfektionierte Genre-Eigenart: Heavy Metal mit textlichem Bezug zur Realität zu verbinden.
Kakko hatte dies ja im Vorfeld von "Talviyö" bereits angekündigt: "Natürlich basieren die Songs auf meinen Empfindungen und Ansichten. Aber jeder macht seine eigenen Erfahrungen und kann die Songs auch mit einer eigenen Bedeutung versehen. Vieles mag aus heutiger Sicht erheblich von dem abweichen, wie du es noch vor zehn Jahre gesehen hast. Vielleicht seid ihr Eltern geworden oder habt jemanden verloren - der Erfahrungsschatz verändert den Blick auf vieles mit den Jahren, deswegen sollte man die Songs zu seinen eigenen machen."
Wer Kinder hat, den stresst nicht nur die Gegenwart, der denkt auch weiter in die Zukunft. Neben den aggressiven Großmacht-Phantasien von Russland und China ist es eben vor allem der Klimawandel, der den folgenden Generationen zu schaffen machen wird. Kakko widmet dem Thema daher auch gleich noch den nächsten Track. "California" fegt ebenfalls als schneller, mit Piano-Akkorden gesprenkelten Banger über die erwärmten Meere und erinnert alle Hardcore-Punks an den wunderbaren Youth Brigade-Klassiker, "Sink With California". Bei Sonata heißt es: "California falls into the sea / The birds know the way and fly away, if one day / California falls into the sea (California falls) / You'll never find the way, the key". Der Pre-Chorus ist dabei Shore für die Ohren und die kleine Harmonie-Hommage an The Mamas & Papas "California Dreamin'" lässt Kuttenträgerherzen schmelzen.
Lyrisch wandert das Album auf die persönliche Ebene. "Walking away with a sense of reason / Feels like a victory, tastes like treason / We're in a stalemate you call a resolve / The easiest thing in the world, being difficult / Gone is the golden day / Clear the table for the new". Trotzdem beschwören Sonata Arctica hier noch einmal die Wichtigkeit der Veränderung und eines neuen Weges. Musikalisch überzeugen sie immer wieder mit dezent aber wirkungsvoll eingesetzten Chören. Diese sind überhaupt der große Pluspunkt des Werks und sorgen für einen hohen Wiedererkennungswert und einen sanften Übergang in die Gehörgänge. Der wundervolle, melodische Midtempo-Track "Dark Empath" beweist dies meisterhaft. Immer wieder zwischen Prog-Rock und HIM wechselnd, gelingt den Finnen eine Pop-Perle erster Güteklasse.
Die zweite Albumhälfte wird zwar mit dem Power-Metal-Geschoss "Cure For Everything" eröffnet, das trotz aller Krisen "Wir schaffen das"-Hoffnung spendet: "And we all, we all need songs we can believe in / Feel the power, then we have a cure for everything". Doch zum Ende dominieren leider die theatralischen Rock-Oper-Momente wie in "Teardrops", "Angel Defiled" oder dem an Yes-erinnernden Titeltrack. Die Power-Ballade "The Best Things" lädt noch zum klassischen Faust ballen ein und dann ist Schluss mit dem bunten Reigen auf “Clear Cold Beyond”. Wenn beim nächsten Album die Operetten-Tracks und verspielten Songstrukturen in Finnland gelassen werden, könnte Sonata Arctica noch mal ein großer Wurf gelingen. Das Potenzial ist vorhanden.
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