laut.de-Kritik

Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter.

Review von

1993 löst der junge Demokrat Bill Clinton den alten republikanischen Hardliner Bush senior ab, Guns N' Roses gehen nach ihrem letzten Tour-Konzert in Streit auseinander und New Order haben auch keine Lust mehr. Wenige Dinge halten eben für immer. Aber genau in diesem Jahr 1993 schreiben vier Schulfreunde ein Album für die Ewigkeit.

Dabei sieht das musikalische Umfeld zur Veröffentlichung von "93 'Til Infinity" besser aus als noch ein Jahr davor. Damals brachen nach rassistisch motivierter Polizeigewalt gegen den Schwarzen Rodney King schwere Rassenkonflikte aus und spiegelten sich auch im kommerziell sehr erfolgreichen Gangsta-Rap wieder. Die Grunge-Musik aus Seattle bleibt zwar weiterhin populär, der Mainstream assimiliert sie aber langsam und beraubt sie damit endgültig ihrer punkigen Underground-Wurzeln.

Wut und Frustration gehören nicht zum entspannten Album-Klangbild der Souls of Mischief. Sie entdecken 1993 vielmehr den entspannenden Effekt der Langsamkeit. Die Jungs gehen es sogar so relaxt an, dass aus dem ursprünglich geplanten Release im Jahr 1991 nichts wird. Der Aufnahmeprozess zieht sich noch weitere zwei Jahre hin.

Zum Glück heißt es dann aber: "This is how we chillin in 93." Ein warmer Bass-Sound, perlendes Klavier und ein unaufdringliches Saxophon-Sample umschmeicheln langsam den Hörer, der im Downtempo des Albums immer weiter nach unten schaltet, bis irgendwann der ständig laufende Motor im Gedankenapparat stoppt. Der Groove übernimmt die Kontrolle über seinen Zustand.

Eine große Inspiration für den Aufnahmeprozess des Songs liefert der Fusion-Jazz von Billy Cobham, dessen Song "Heather" der Albumtrack "93 'Til Infinity" samplet. Das visionäre Original von 1974 wird nur leicht im Tempo verändert, auf den nur wenig schnelleren Hip Hop-Beat angepasst und bildet den Kern des Albums.

Viele der Texte drehen sich ums Blunts-Drehen und darum, viel vom dem Mist, der zu dem Zeitpunkt gerade in Oakland passiert, vorbei ziehen zu lassen. Das erscheint fast schon hippiesk, nur dass hier nicht Joan Baez singt, sondern alles mischt sich mit dem Stil der immer noch jungen Hip Hop-Kultur: schlichtweg die Momentaufnahme und das Lebensgefühl von ein paar Kids, die keine Lust auf Stress, Hass oder Gewalt verspüren. Vielleicht sogar eine Ideologie, wäre es A-Plus, Opio, Phesto und Tajai um eine große Sache gegangen.

"Anything Can Happen", eben. So lautet das Motto der Jugend. Unbeschwertheit, bevor der Ernst des Lebens mit seiner nicht immer einfach zu bewältigenden Tragik einsetzt. Der Song klingt nach einer schwitzigen Nacht, in der alles möglich erscheint, der Blick zu den Sternen schweift und irgendwo aus der Hood der ältere Nachbar diese tollen alten Platten laut aufdreht.

Ein gutes Beispiel, dass sich der Rest des Albums nicht hinter dem Titeltrack, der Über-Single, zu verstecken braucht. Erst bei weiterem Begutachten des Textes wird klar, dass es um niederschmetternde Berichte aus der Hood handelt: "The cops do not care 'cause our skin has too much shade in it." Wie sich manche Dinge einfach nie ändern.

Dass die Souls of Mischief-Kids diesen Umstand nicht für dumpfes Abfeiern von Gewalt nutzen, sondern sich eher als sprachgewandte Chronisten verstehen, macht "93 'Til Infinity" so besonders: Poesie und Verstand als wirkliche Waffen gegen die Dummheit dieser Welt.

Ein großer Erfolg in den Charts wird "93 'Til Infinity" nicht, was auch nicht verwundert. So ist es eben mit Kunst statt Kommerz, im Nachtprogramm auf MTV statt in der Heavy Rotation am Nachmittag. Jive Records, ein Label, das sich am Mainstream orientiert, versucht trotz (oder gerde wegen) des mauen Erfolgs, aus den smarten Kids eine Rap-Boy-Group zu formen. ber die Beteiligten haben zum Glück ihre eigene Vision. Aus der kreativen Hieroglyphics-Crew, deren Mitglieder sie sind, erwächst bald ein eigenes Label mit einem Chef namens Del Tha Funkee Homosapien, heute auch bekannt als Gastrapper von den Gorillaz.

In den Neunzigern ist daran überhaupt noch nicht zu denken. Keiner aus den Reihen der Hiero-Crew erreicht hohe Chartspositionen, doch ein Blick auf die Billboard-Jahrescharts sagt viel über Zeitlosigkeit und Qualität aus. Kennt noch jemand die lahme Elvis Presley-Cover-Nummer "Can't Help Falling in Love" von UB 40 oder "Freak Me" von Silk? In diesem Jahr 1993 alles große Hits, die man nachträglich am liebsten vergessen und sich dafür schämen möchte.

Anders als bei diesen Millionen-Sellern mögen es vielleicht nicht viele Kids gewesen sein, die "93 'Till Infinity" sahen oder hörten, aber die heißen Kanye West, John Mayer, Joey Bada$$, J. Cole, Four Tet oder Vampire Weekend. Alle berufen sich auf den Einfluss dieses Meisterwerks. Was vor 25 Jahren begann, liegt immer noch fest in Hip Hops DNA und in der Musik allgemein verankert.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Let 'Em Know
  2. 2. Live And Let Live
  3. 3. That's When Ya Lost
  4. 4. A Name I Call Myself
  5. 5. Disseshowedo
  6. 6. What A Way To Go Out
  7. 7. Never No More
  8. 8. 93 'Til Infinity
  9. 9. Limitations
  10. 10. Anything Can Happen
  11. 11. Make Your Mind Up
  12. 12. Batting Practice
  13. 13. Tell Me Who Profits
  14. 14. Outro

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