laut.de-Kritik
"Wir drehten völlig durch" (Jon Spencer). Kann man so sagen.
Review von Michael Schuh"Verträgst du die Wahrheit? Dann halt dich fest und hab Spaß", verkündet die unbekannte Band Spencer Dickinson frohen Mutes von ihrem Debütalbum herab. Ahnungslos bleibt der Freund ungepflegten Rock'n'Rolls allerdings keine drei Sekunden lang, schafft doch der Opener "That's A Drag" sogleich Raum for the one and only Jon Spencer from New York. Niemand klingt wie er.
Ja, denkt man plötzlich, von seiner Blues Exposion hat man schon ewig nix mehr gehört. Die existiert auf dem Papier zwar noch, hat aber erstmal Sendepause, denn Bandchef Spencer ist derzeit beschäftigt - allerdings mit einem Rockabilly-Duo namens Heavy Trash, das musikalisch Johnny Cash und den Stray Cats nacheifert. Vorliegendes Männer-Universum ist dagegen ein ganz alter Hut, es stammt nämlich aus dem Jahr 2000, entstand also mitten in der Blues Explosion-Albumpause zwischen "Acme" und "Plastic Fang". Die Spencer Dickinson-Power blies 2001 dann aber nur über den japanischen Markt.
Den Part des ominösen Sidekicks Dickinson übernehmen gleich zwei Herren, nämlich Luther und Cody Dickinson, mehr oder weniger bekannt durch die Band North Mississippi All-Stars. Zwar hätte Spencer damals sogar noch mit Johnny Cash aufnehmen können, stattdessen machte er gemeinsame Sache mit den Söhnen der inzwischen auch schon 65 Jahre alten Mississippi-Legende Jim Dickinson, der in noch grauerer Vorzeit bereits Screamin' Jay Hawkins produzierte und 1969 die Aufnahme des Stones-Höllensongs "Wild Horses" leitete.
Nachweislich hat besagter Jimboy auch seinem Nachwuchs gleich literweise Delta Blues in die Wiege geschüttet, denn "The Man Who Lives For Love" dürfte die Mischpultkanäle auf Daddys Zebra Ranch, wo dieser Freak Out entstand, nochmal mächtig ins Glühen gebracht haben. Das muss auch bitter nötig gewesen sein: "Es war arschkalt. Nur eine Scheune mit einem Heizkörper", erinnert sich Spencer an die sechs Jahre alten Sessions, "aber wir hatten dieses Freak-Element, den groovy Hass-Vibe. Wir drehten völlig durch." Kann man so stehen lassen. "The Man Who Lives For Love" ist das Herz-As im Ärmel jedes Dirty Rock'n'Roll-Liebhabers.
Zwar ist Spencers Blues Explosion auch nicht eben für Mainstream Rock bekannt, den kaputten Jam-Charakter dieser Vorstellung lieferten die New Yorker zuletzt höchstens Anfang der 90er. Zwar ist Spencers Handschrift stets klar lesbar ("That's A Drag", "Whatcha Gonna Do", "Why"), beim eckigen Sample-Blues samt fieser Keyboardschleifen in "Zigaboo" oder dem übersteuerten Electro-Trashbrocken "Primitive" scheinen die Sicherungen der Beteiligten aber kurz vorm Durchbrennen gewesen sein.
Höhepunkte dieses nicht von ungefähr gerade in Japan veröffentlichten Experiments stellen neben dem catchy Opener das im "Acme"-Style bluesende "Body (My Only Friend)" dar, die rührende Hillbilly-Ballade "Away Baby" und das fiebrige "Cryin'". Der Titeltrack könnte dagegen glatt ein Früh-70er Stones-Song sein, und wer weiß, vielleicht hat Papa Dickinson ja tatsächlich noch Demos von damals aus der Schublade gezogen. Allein die Tatsache, dass dieses Album nur in limitierter Auflage in den Handel kommt, trübt die Freude ein wenig. Bereitet es doch deutlich mehr Spaß als das ähnlich experimentelle "Damage"-Album von 2004.
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