laut.de-Kritik
Widerhaken-Melodien in bislang ungehörten Sphären.
Review von Yan VogelDen Spock's Beard 3.0- Erstling "Brief Nocturnes And Dreamless Sleep" kann man als Übergangswerk im Sinne eines behutsamen Abtastens auffassen. Ja, die Songs klangen abwechslungsreich, da viele Einzelkönner ihre Spuren hinterließen (ja, auch Neal Morse). Dadurch kannibalisierte man die Stärken des Kollektivs in punkto Zusammenspiel und geriet allzu retrospektivisch.
Auf "The Oblivion Particle" bedient die Band den basischen Stil des Vorgängers bei gleichzeitig kohärenterem Songwriting, ohne auf aberwitzige instrumentale Passagen zu verzichten. Gerade diese Stellen sind kein solistisches Beiwerk, sondern bilden strukturell eine eigene Identität heraus und tragen die ohnehin schon mit harmonisch abwechslungsreicher Staffage versehenen Widerhaken-Melodien in ungehörte Sphären. Mal majestätisch und hymnisch wie in "To Be Free Again" und "Hell's Not Enough". Mal wie frisch aus dem Irrenhaus, nachzuhören am psychotischen Beginn von "A Better Way To Fly".
Ted Leonard heißt der mittlerweile nicht mehr ganz so neue Sänger und nebenbei Gitarrist. Er assimilierte sich und seinen Stil nach ausgedehnten Touren mit seiner neuen Stammband, als Aushilfe bei Transatlantic und Fronter der Melodic Progger Enchant. Viel Freund viel Ehr und vor allem ein Zugewinn an Bandtauglichkeit. Auch Jimmy Keegan, seines Zeichens Drummer auf zahlreichen Beard-Touren, verfügt nicht nur über ein ausgeprägt virtuoses Schlagzeugspiel, sondern auch über eine klasse Stimme, die er bei der Good Vibrations versprühenden Folk-Pop-Prog-Nummer "Bennett Build A Time Machine" gekonnt einsetzt.
Großartig auch das kontrapunktische Zusammenspiel einmal im klassischen Gestus, danach elektronisch verfremdet bei "The Center Line", das rondoartig mit einem nach vorne preschenden Rock-Opus verzahnt wird. "Tides Of Time" spielt mit den bandeigenen Trademarks, die Vorabsingle "Minion" verzückt mit seinem exhaltiert-verstockten Riff und dem mehrstimmigen Satzgesang im Refrain. "Dissapear" gleicht einer Achterbahnfahrt durch das limbische System, natürlich mit Happy End.
Gleichsam dem Prog wie Pop verhaftet, hatdie Band mittlerweile zahlreiche musikalische Spielarten verinnerlicht. Müßig zu erwähnen, dass die drei Originalmitglieder Al Morse, Ryo Okumoto und Dave Meros Ausnahmekönner in Sachen Kreativität und Virtuosität darstellen.
Bemerkenswert fällt das Cover mit Querverweisen und Hinweisen zu allen Schaffensphasen aus: die Schilder von "Snow" und "V", der colorierte Fisch aus "Feel Euphoria", "The Light" zentral im Bild platziert oder die Angel des Vorgängers. Im Bewusstsein ihrer Vergangenheit entdecken, erfinden und basteln die fünf Bärte ein ums andere Mal musikalische Großartigkeiten, die visionär ausfallen und sich nicht anbiedern. Klar, wird es nie mehr so schön, wie es auch früher nicht wirklich war.
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