laut.de-Kritik
Ekstatische Saxophon-Grooves verwirren die Jazzpolizei.
Review von Philipp KauseJazz muss weder elitär-versnobt noch bierernst klingen. Viele Größen dieser Unterhaltungsmusik verschoben ästhetische Grenzen und muckten auf. Stephanie Lottermoser aus dem Süden Bayerns zog vor vielen Jahren nach Hamburg und nahm schon etliche Alben mit Funk- und Soul-Jazz auf. Ihr fünftes benennt sie nach der Hansestadt. Die stilistische Nähe zu Soul und Funk arbeitet sie darauf mit drei Vokal-Tracks heraus, die sogar mehr in die anderen Segmente passen. Trotzdem überwiegt auf dieser Platte die Präsenz ihrer Saxophon-Soli und an mancher Stelle auch mal der ein oder andere prickelnde Keyboard-Part, so dass sich "Hamburg" auch an geübte Jazz-Ohren wendet.
Wer aber wirklich eingefleischt bis ins Mark von bestimmten Stil-Grundsätzen überzeugt ist, könnte die LP auch als Provokation empfinden. Denn die Tracks haben meist recht klare liedartige Strukturen, selbst wenn Stephanie nicht singt. Der Charakter improvisierter Musik scheint so seltener durch, aber die Stücke weisen Dramaturgie und Progression auf. Man findet einen gelungenen Kompromiss aus Popformat und freierem Spiel.
Einem Teil der 'Jazzpolizei' jedoch, das heißt, konservativen, in Schubladen denkenden Kreisen innerhalb des großen Jazz-Universums mit seinen zig Subgenres, war Stephanies Öffnung und Stilmix anfangs ein Graus. Sie zieht Bilanz: "Natürlich wünscht man sich während des Studiums und während man die ersten Schritte aufm freien Konzertmarkt macht, nicht nur Publikum, sondern auch Anerkennung von den Kommiliton*innen, später von Kolleg*en. Da sind im Jazzbereich sehr unterschiedliche Mentalitäten zuhause. Es gibt Leute, für die nach Bebop nichts mehr kam, was sie überhaupt Jazz nennen würden. Manche spielen nur 'straight-ahead', manche nur avantgardistische Musik und akzeptieren auch nicht so richtig was anderes."
"Ich finde das schwierig. Mir geht es darum, ob etwas gut gespielt und authentisch gemacht ist. Im Zweifel kann das auch Musik sein, die jetzt nicht meine Lieblingsmusik ist. Trotzdem kann ich ja anerkennen, dass Leute da schöne Musik, und: ihre Musik machen. Aber es gibt sehr, sehr starke Puristen in der Jazzszene, die eine genaue Vorstellung haben, was akzeptabel ist, was deep genug ist und was nicht. Dadurch, dass ich in so eine Soul-Groove-Funk-Jazz-Richtung gegangen bin, hat das nicht allen gefallen. Ich hab ein paar Jahre lang ordentlich was bekommen, was tatsächlich nicht schön war. Mittlerweile ist mir das egal. Ich glaube, man kann nur mit der eigenen Musik, wenn man ehrlich zu sich ist, überhaupt erfolgreich sein."
Bereits der - voller Euphorie glitzernde - Opener "Cory" bettet das Saxophon als tragendes Instrument in ein funkrockiges, schnelles Schlagzeug-Rhythmusbett ein. Ein optimistischer Einstieg. "Letter To The Inner Child" unterstreicht mit funky Bassläufen, schneidenden Jazzrock-Riffs am Keyboard und mit einer dominanten E-Gitarre, dass Stephanie die Fusion-Szene der 70er im Stile von Weather Report und den Crusaders feiert und kreativem Denken Raum gibt. Das Album "Hamburg" pustet schnell den Kopf frei und gestattet auch nach zähen Zoom- und Home-Office-Tagen bei April-Frost mit den üblichen Masken-Streitigkeiten in der Supermarktschlange ein paar Kicks in Richtung Lebensfreude und sonnigem Gemüt. Also die richtige Platte zur rechten Zeit.
Die pianogestützte Vokal-Ballade "Dreaming My Dreams With You" wagt einen Move ins derzeit ziemlich leer gelassene Feld von Corinne Bailey Rae, Randy Crawford und Sade auf dem Plattenmarkt: Schöner, ruhiger, gleitender Soul mit einer sympathisch unaufgeregten, jedoch expressiven Stimme. Stephanie arrangiert die Gesangs-Stücke, in denen sie sowohl singt als auch ins Saxophon bläst, recht elegant. Gleichzeitig bleibt sie auf Augenhöhe mit den Menschen, die sonst einfach Pop hören, und vermeidet exzentrisch-verquaste Sonderlocken.
Sowohl in "Dreaming My Dreams With You" als auch in "Within" imitiert Stephanies Keyboard-Kollege Till einige Sequenzen aus dem Synthesizer und overdubbt sie so, dass sie wie ein Clavinet klingen – eine erfrischende Klangfarbe, selten genutzt, bekannt aus der Musik Marvin Gayes oder Stevie Wonders. "Within" wirkt so ekstatisch, dass es zugleich schon wieder überaus relaxt rüberkommt. "Gate A5 Geneve" entlockt den Tasteninstrumenten noch manch klirrend hohe Töne, die Stephanies Tenorsaxophon gute Kontraste bieten.
Das dritte gesungene Stück, "What Kind Of Lovesong", lässt sowohl Hi-Hats, als auch Saxophon und Gitarre viel Spielraum, um sich zu entfalten. Stephanie intoniert lässig und lässt jedes überflüssige Pathos locker beiseite, denn Singen beschränkt sich auf einen Nebenjob im Gesamtkunstwerk, und da ist das Saxophon der wirkliche Star.
So fühlt man sich stilistisch an manche genialen Live-Aufnahmen von Prince und an seine holländische Mitstreiterin Candy Dulfer erinnert. Stephanie kennt diesen Gedankensprung: "Es ist manchmal zu naheliegend: Ich werde vermutlich für immer mit ihr verglichen werden, weil wir beide blond sind und Saxophon spielen. Das ist auch okay, weil ich sie großartig finde. Candy Dulfer war nicht die erste Saxophonistin, die mir über den Weg gelaufen ist. Ich habe sie erst später entdeckt, aber ich finde sie auch toll." Trotz vieler weiblichen Ex-Mitstudierenden fällt der 37-jährigen Stephanie Lottermoser auf, dass es bis heute nicht viele Frauen gibt, die an diesem Instrument Karriere machen – auch wenn sich das gerade ein bisschen zu wandeln scheint. Somit markiert das Album auch ein Statement in Richtung Sichtbarkeit von Frauen jenseits der Gesangsrolle.
Auch wenn sich etwa "Zwischenraum" oder "Morgen (Hamburg)", ein bisschen zu verhalten anhören und mäandern, so dass man sich schon nahe an Lounge wähnt, ziehen einen die meisten Darbietungen schnell mit. "Hype" steigert sich, einem Hype gemäß, von einem sehr stillen, gemächlichen Einstieg, in einen plakativen, präsenten Mittelteil mit lautem Bläsersolo - und hält dann kurz inne, um in eine orchestrale, bedrohlich laute zweite Hälfte zu münden.
"Karma" und "Prayer" fördern eher die Konzentration und wecken die Lust, sich mehr mit Instrumentals zu beschäftigen und solchen Sounds eine Chance zu geben. Somit erweist Stephanie Lottermoser der Branche einen guten Dienst, verpackt das alles mit einem freundlichen Eyecatcher-Cover-Artwork sehr zugänglich und zeigt ganz nebenbei: Funkyness lebt und kann uns in diesen Zeiten fröhliche Impulse geben.
1 Kommentar mit einer Antwort
Ihre früheren Alben haben gezeigt was sie kann, aber hier steht das in der Rezension verwendete Wort "zugänglich" für glattgebügelten Jazz, der niemandem wehtut, niemanden verschreckt und leider so ganz und gar nicht funky ist. Jazz für Leute die sonst eher keinen Jazz hören. Schade, sie kann es sehr viel besser.
Höre ich genauso.