laut.de-Kritik
Elektronik ist endlich wieder Chefsache.
Review von Michael SchuhEs gibt Momente, in denen der alltagsbedingte Sättigungsgrad des Musikredakteurs erbarmungslos zuschlägt. "Die neue Stereolab ist da", rief ein Kollege kürzlich nach dem Postgang durch die Redaktion, woraufhin ich mich genötigt sah, den Blick noch sturer auf meinen Monitor zu richten. Gedankliche Absenz kommt recht glaubwürdig rüber, wenn man Kopfhörer trägt.
Eigentlich finden linke Täuschungsmanöver sonst nur bei Themen wie Celine Dion oder den unzähligen Bohlen-Derivaten statt, bei einer Band wie Stereolab sind sie zugegebenermaßen ein echtes Sakrileg. Dafür schmerzt es jetzt auch, dieses Eingeständnis niederzuschreiben.
Wie dem aufmerksamen Leser langsam dämmert, steuern wir nämlich geradewegs auf ein Happy End zu. Letztlich landete die Scheibe halt doch irgendwie auf meinem Tisch und siehe da: Das britische Klang-Kollektiv liefert sich keinesfalls wehrlos der Stagnation ihres Lounge-Konzepts aus, wie es beim letzten Album "Sound Dust" trotz jazziger Kapriolen noch den Anschein hatte. "Margerine Eclipse" ist ein unerwarteter Paukenschlag, auch weil das Quintett die Elektronik endlich wieder zur Chefsache erklärt und damit eine Begeisterung wachruft, die zuletzt alte Klassiker wie "Emperor Tomato Ketchup" auslösten.
Wähnt man sich beim Opener "Vonal Declosion" aufgrund der vertrauten Kombination von Laetitia Sadiers süßem Französisch und lieblichen Orgelklängen noch in trügerischer Sicherheit, führt spätestens der ab Minute 1.38 einsetzende Hochhypnotik-Keyboard-Lauf in "Need To Be" die Hand zum Volume-Regler. Auch im weiteren Verlauf gilt das Motto, das 1989 auf The Cures "Disintegration"-Album prangte: "This music has been mixed to be played loud, so turn it up". Natürlich ist Tim Ganes Truppe viel zu bescheiden, um so zu formulieren, deshalb tue ich es für sie.
Man kommt aus dem Staunen kaum mehr heraus, dass eine Band nach zwölf Studioalben plötzlich mit der Detailverliebtheit eines hungrigen Newcomers ihre schon verloren geglaubte, unnachahmliche Kunst der Repetition noch zu steigern weiß. Ob überraschende Breaks in "... Sudden Stars" und "Cosmic Country Noir", Gitarrenzerren im Album-Hit "Margerine Rock" oder housige Einflüsse in "Margerine Melodie", das Album ist eine einzige, wahrlich butterweiche Pop-Definition und stellt in seinem Genre ein ähnlich eindrucksvolles Comeback dar, wie vor zwei Jahren das "Murray Street"-Album von Sonic Youth.
Auf textlicher Ebene fällt das samtweich perlende "Bop Scotch" auf, in dem Sadier jegliche, imperialistisch ausgerichtete Staatsgebaren verurteilt, während "Feel And Triple" zum traurigen Abschied an das langjährige Stereolab-Mitglied Mary Hansen gerät, die 2002 verunglückte: "Goodbye Mary, you will sing for ever like an angel who flew away." Eine wundervolle Liebeserklärung, genau wie das ganze Album.
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