laut.de-Kritik
Fein austariertes Post Rock-Werk, das bewegt.
Review von Michael Schuh"Spider Smile"? On candystripe legs, the spiderman comes? Gut, The Cure können sie sicher auch etwas abgewinnen, die Tarwater-Köpfe Ronald Lippok (To Rococo Rot) und Bernd Jestram. Auf ihrem neuen Album kann man zu Robert Smiths vertonter Seelenpein immerhin eine Parallele im melancholischen Unterton erkennen und bei "A Marriage In Belmont" vielleicht sogar ein bisschen mehr. Das Tagewerk einer Spinne passt metaphorisch jedenfalls hervorragend zum hektikfreien und perfektionistischen Arbeitsethos des Berliner Duos.
Auch auf ihrem zweiten Album für das Liebhaber-Label Morr Music bleiben sich Tarwater treu und verweben einen engmaschigen Post Rock-Teppich aus elektronischen und analogen Klangsträngen, die nach gängiger Fricklerattitüde sowohl mit Samples, als auch mit Hall- und allerlei abseitigen Geräuschkulissen bestückt sind.
Dass es sich bei dem Soundkosmos Tarwaters nicht um das Ergebnis x-beliebiger Avantgarde-Nerds handelt, belegt innerhalb kürzester Laufzeit der Opener "Shirley Temple", ein nach Art der Velvet Underground surrendes, dank elektronischem Unterbau aber pulsierendes und fein austariertes Instrumental, zu dem selbst John Cale noch einmal seine Violine auspacken würde. "World Of Things To Touch" legt dann einen ersten Kompletteindruck der aktuellen Songwritingkunst Tarwaters offen, da nun auch der zarte, und doch stets prononcierte Gesang Lippoks einsetzt.
Da könnte ich mich schon wieder richtig aufregen, dass mir das vor sieben Jahren rezensierte, dritte Tarwater-Album "Animals, Suns & Atoms" irgendwann abhanden gekommen ist, denn schon damals, so lese ich gerade in meiner alten Review, imponierte mir die ungezwungene Verschmelzung der vielschichtigen Soundscapes mit dem Pop-Segment. Dank des mittels "Spider Smile" ausgelösten Spatzenhirn-Updates kehrt auch meine Verwunderung darüber zurück, dass sich das Wirken dieser Jungs nach wie vor abseits größerer Bühnen abspielt.
Aber gut, Drummer/Programmierer Lippok und Bassist/Gitarrist/Programmierer Jestram covern eben auch nicht The Cure, sondern die Virgin Prunes ("Sweet Home Under White Clouds"), was auch ein Statement bezüglich ihres Selbstverständnisses als Künstler darstellt. Jedenfalls verdienen sowohl eingängige Tracks wie die erwähnten "World Of Things To Touch" und "A Marriage In Belmont" als auch der dunkle Glockenspiel-Shuffle "When Love Was The Law In Los Angeles" weitreichende Aufmerksamkeit. Zu meinen Favoriten zählen allerdings der perkussive Geräusch-Dub "Witchpark", das hippieeske und nach Eigenaussage von einer Busfahrt mit Sun Ra in Schottland beeinflusste "Arkestra" und natürlich das leuchtende Albumjuwel "Lower Manhatten Pantoum", in dessen sechseinhalb Minuten es jedem Notwist- und Sonic Youth-Fan Schauer über den Rücken jagen sollte.
Tarwater haben mit "Spider Smile" definitiv ein Album geschaffen, das noch einige Bonusrunden in meinem Player absolvieren wird. Und das ist sehr viel mehr, als ich über den Großteil der heutigen Veröffentlichungen sagen könnte. Übrigens, die Virgin Prunes waren in den 80er Jahren eine einflussreiche, irische Post Punk-Größe, auf die sich von Billy Corgan über Björk bis hin zu Bono eine weite Allianz an Musikern gerne bezieht. Letzterer coverte mit seiner Band sogar mal "In The Name Of The Father", ein Solosong des Prunes-Sängers Gavin Friday. Amen.
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