laut.de-Kritik
Mit Wiedervereinigungen kennt sich Kim Deal eben aus.
Review von Michael SchuhIn den frühen 90ern gefeierte Helden einer Szene, dann im Auge des aufziehenden Hypes seltsam orientierungslos, später jahrelang im Abseits, viel später die große Bühnen-Wiedervereinigung, gefolgt vom neuen Studioalbum: Das ist die Story von Slowdive. Mit den Breeders verhält es sich recht ähnlich: Sie lösten sich zwar nicht auf, veröffentlichten nach dem 1993er-Album-Hit "Last Splash" aber einfach mal acht Jahre keine neue Platte. Genug Geld für Drogen war trotzdem da. In der Originalbesetzung seit 2013 wieder live zu sehen, liegt nun "All Nerve" vor, die Studioplatte nach der Bühnenreunion.
Auch wenn Chefin Kim Deal die Sache mit dem Wiederliebhaben von ihrer ehemaligen Band Pixies gut kennt: Dass es auch bei den Breeders so weit kommen würde, war lange unwahrscheinlich. Mit Drummer Jim Macpherson, der 1994 nach einem Streit mit Deal auf einem Festival fluchtartig die Band verließ, wechselte die Songwriterin danach sogar noch länger kein Wort als mit Pixies-Kollege Frank Black. Da die Zeit aber außer bei den Smiths alle Wunden heilt, sind nun auch die Schwestern Kim und Kelley Deal mit ihren Ex-Partnern Macphearson und Bassistin Josephine Wiggs wieder dicke und gemeinsam lassen sie die sehr mediokren Alben "Mountain Battles" (2008) und "Title TK" (2002) der 50-Prozent-Breeders-Formationen schnell vergessen.
Sofort ist er wieder da, der echte Breeders-Vibe mit den störrischen Gitarrenlinien und dem knarzend-schönen Harmoniegesang. Gitarrenrock wird hier nicht neu erfunden, aber dies sollte man von rekonvaleszenten 90er-Heroen, die zügig auf die 60 zugehen, auch nicht erwarten. "Nervous Mary" pustet noch den Rost von der in die Jahre gekommenen Karre, "Wait In The Car" lässt danach zwar eine im Alternative Rock schon hundertfach gehörte Akkordfolge vom Stapel, aber allein schon wenn Deal "Good Morning" brüllt, wartet niemand mehr im Auto. Steve Albini wachte in Chicago über den Sound, Kelleys alter Bandkollege Mike Montgomery in Kentucky.
Im Grunde machen es die Breeders wie die Pixies bei deren Comeback "Indie Cindy" vor vier Jahren: Sie werfen all ihre Trademarks in die Waagschale und suhlen sich ausgiebig darin. Diesmal verließ Kim die Gruppe auch nicht nach nur einem aufgenommenen Song, und so sind es insgesamt elf geworden, an denen es kaum etwas auszusetzen gibt. Gerade der entschlackte Sound und das für die Band typisch akzentuierte Gitarre-Bass-Wechselspiel funktioniert 2018 so hervorragend wie 1993.
Drei Viertel der Band wohnen schließlich heute noch in Dayton/Ohio, Drummer Macphearson arbeitet in seinem alten Job als Zimmermann eine Autostunde entfernt und war somit schnell im Proberaum der Deal-Schwestern. Wiggs flog alle paar Wochen aus New York ein. Die Mühe hat sich gelohnt: Der Titeltrack "All Nerve" fährt das Tempo zurück, die eine Deal flüstert dem Gesang der anderen hinterher, im Refrain fahren Bass und Drums dann mächtig Druck auf, der danach sofort wieder abgelassen wird. Instant Classic.
Auch Skurrilitäten nehmen sie mit: Das von Wiggs gesungene "MetaGoth" geht titelgerecht als Bauhaus-Hommage durch, der satte Indie-Pop von "Spacewoman" beeindruckt mit atmosphärischen Unwuchten und Breeders-Langzeitfan Courtney Barnett verhilft mit ihrem Backgroundgesang "Howl At The Summit" zum Refrain-Hit der Platte. Außerdem dabei: Die Reverb-Meditation "Dawn: Making An Effort" und mit "Archangel's Thunderbird" eine ganz niedlich verschwurbelte Amon Düül II-Coverversion.
Natürlich findet sich hier nirgends ein zweites "Cannonball" oder gar "Gigantic", aber letztlich spielt das auch keine Rolle. Die Breeders haben ihrem vermeintlich auserzählten Karriere-Roman einen unerwartet stürmischen Epilog verpasst, der auch 2018 nicht veraltet klingt. Selbst wenn Kim Deal natürlich recht hat, wenn sie sagt: "It's exactly what we should have been doing in nineteen-ninety-fucking-five." Aber wen interessiert schon 1995, wenn Bands wie die Breeders oder Slowdive im Hier und Jetzt so tolle Alben raushauen.
3 Kommentare mit einer Antwort
Ich finde die Scheibe stinklangweilig und höre lieber die neuen Pixies (auch Indy Cindy).
Aha
Witzisch. Bei mir genau andersrum. Kann nur mit vereinzelten neuen Pixies-Songs was anfangen, diese Platte hier funktioniert für mich aber als Ganzes. Schönes Ding.
Qualitativ eine deutlich bessere Platte als was die Pixies in letzter Zeit abgeliefern.
'All Nerve' und 'Meta Goth' habe ich schon so oft rauf und runter gespielt und dennoch nutzen sich die Songs weniger ab als bei den neuen Pixies Alben. Und dabei war ich ehrlich gesagt nie ein Fan von den Breeders.