laut.de-Kritik
Drogen, Spaß und neuer Schwung für die Beine.
Review von Jasmin LützDenkt heute noch jemand mit ganzem Herzen an die Charlatans? Nicht wirklich, oder? Es sei denn, ein neuer Hype aus dem Nordwesten Englands macht sich breit und erinnert an die gute, alte Madchester-Welle der 90er Jahre. Drogen, Spaß und neuen Schwung für die Beine. Diesen Verweis auf den Beginn ihres Erfolges können die Jungs aus Birmingham wahrscheinlich nicht mehr hören, geschweige denn lesen. Einmal abgestempelt, für immer "The Only One I Know".
Aber selbst schuld, wenn sie nun auch noch eine Best-Of Platte veröffentlichen und förmlich nach Aufmerksamkeit schreien. "Forever. The Singles" lautet 2007 der etwas erbärmliche Hilferuf, oder warum erscheint gerade jetzt diese Zusammenfassung? Die Charlatans haben doch gar keinen Grund, sich hinter ihren alten Songs zu verstecken. Ihre Karriere läuft bereits seit 17 Jahren stetig, immerhin elf Longplayer verbuchen sie auf ihrem Diskographie-Konto. Und davon sind nicht nur das Debüt "Some Friendly" ruhmreich. Auch auf dem zuletzt erschienenen Simpatico prügelten sie uns 2006 ihre Gitarrenklänge gewohnt dynamisch um die Ohren.
Wie dem auch sei. "Forever. The Singles" gibt es nun mal, und damit müssen wir uns jetzt abfinden. Für mein Empfinden braucht man diese Zusammenfassung zwar nicht, auch wenn es ganz nett ist, sich die wilde Mischung von Schrammelrock und Diskobeats noch mal ins Gedächtnis zu rufen. "Indian Rope" war 1989 die erste Singleauskopplung, eine ungewöhnliche Kombination aus Acid-House, lässiger Hammond Orgel, Stromgitarre und Schmollmund-Gesang und damit der ideale Medienhype. Über dreißig Singles haben sie veröffentlicht, neben "The Only One I Know" sind "Love Is The Key", "One To Another", "Weirdo" und die spätere chemische Bombe "Forever" auch heute noch schmucke Dancefloor-Treter. Deep Purple in den 68ern mit Pilzköpfen und Ekstase auf der Zunge. Da freut sich jeder neugeborene Indie-Nerd und bittet sein Sixtygirl zum psychedelischen Tanztee.
Positiv gesehen ist diese Kollektion ein Stück Musikgeschichte. Im Booklet gibt es immerhin eine kleine Biographie zur Band, und wenn man sich die siebzehn Songs (ah, da taucht sie wieder auf, die Zahl 17!) näher anhört, dann weiß man auch, von wem Oasis und alle anderen nachfolgenden Massen-Britpopper Mitte der 90er ihre Songstrukturen geklaut haben.
Für Kuschelmomente ist natürlich auch gesorgt. "Impossible" schmiegt sich leise an dich, dank des wohltuenden Gesangs von Burgess. Aber The Charlatans waren bei weitem nicht die besten Mad-Raver. Happy Mondays und The Stone Roses legen die Messlatte noch etwas höher und seien hiermit auch empfohlen. Die Bands gibt es auch gar nicht mehr. So bleiben die schönen Erinnerungen.
Forever? Whatever! Ist ja auch nur ein Lückenbüßer fürs nächste Album. Eigentlich bin ich ja der Meinung, man sollte im Alter entweder würdig abtreten oder aber weitere, hörenswerte Songs komponieren. Sonst genieße ich lieber den Alleingang von Frontmann Tim Burgess: Mit I Believe sorgte er 2003 für eine besondere Überraschung. Das Leben in L.A. scheint ihm sehr gut zu bekommen, und von diesen sommerwarmen Blues-Melodien möchte ich gerne bald mehr hören. Stattdessen leider nur diese Best Of Compilation.
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