laut.de-Kritik
Die Briten können die Swinging 40s, Roaring 50s und Golden 60s.
Review von Philipp KauseJames Hunter träumt von einer eigenen kleinen Insel, auf der er seine Ruhe hat, später von einer Wolke im Himmel. Ein "Paradise For One", denn schon "two is a crowd". Zwei Leute auf einem Fleck - zu viele! So blumig wie er die Isolation besingt, lässt sich auch die Corona- Quarantäne in einem sonnigeren Licht betrachten.
Der englische Rhythm'n'Blues-Songwriter fürchtete zum Release-Zeitpunkt seines akuellen Albums noch um seine fünf Deutschland-Konzerte. Dass er überhaupt gebucht wird, eine Woche lang das Land zu bespaßen, erstaunt angesichts der altmodischen 50er Jahre-Musik. Der Soul-, besser Prä-Soul-Anteil seines Sounds lässt ein Engagement für Deutschland sogar eigentlich stets wie eine kleine Sensation wirken. Mittlerweile machte ihm der Coronavirus natürlich einen Strich durch die Rechnung.
Dabei hat der Brite schon viele Karrierejahre und zahlreiche Alben auf dem Buckel, die alle extrem präzise eingespielt wurden und schwerpunktmäßig dem Sound der Zeit um 1960 bis 1962 huldigen. Auf "Nick Of Time" beleben Hunter und sein Sextett recht elegante Stile wieder, die Tanzschulgänger*innen aus klassischen Kursen kennen dürften: Rumba, eigentlich kubanisch, aber auch im Kongo recht verbreitet, erklingt in "I Can Change Your Mind". Soul der ganz alten Sorte (Sam Cooke) unterhält im schmissigen Titelsong "Nick Of Time" sowie im zart instrumentierten "Who's Fooling Who".
Der Funke springt vor allem über, wenn die Band voll aufspielt. "How 'Bout Now" fusioniert frechen Rock'n'Roll-Vibe, Doo Wop-Vocals und ein ultrafettes Baritonsaxofon mit Rhythm'n'-Blues-Groove. In "Till I Hear It From You" duellieren sich Bariton- und Tenorsaxofon zur Latin-Funk-Orgel.
Das Klangdesign des Tracks geht auf das Konto von James und Producer Bosco Mann. Hunter hat dabei keine Scheu, seine Inspirationsquellen offen zu legen: "Mir gingen drei Songs im Kopf umher, als ich ihn schrieb: Ray Charles' Titelsong zum Film 'The Cincinnati Kid', Lou Johnsons "It Ain't No Use" und Bacharachs Musik zu 'Butch Cassidy & The Sundance Kid'". Respekt für die Altvorderen, das unterscheidet die hier gepflegte klassische Soul- und Black Heritage-Culture von der schludrigen Sample- und Zitat-Willkür, wie sie in den Mainstream-Hip Hop der 2010er eingerissen ist.
Dass James Hunter Musik auch als Hörer liebt und sich von ihr verführen und anstecken lässt, macht die Platte so intensiv. Seine Stimme in Songs wie "Never" beweist große Klasse. Der Ausdruck gleitet von sahnig über charmant zu flehentlich, moduliert so ekstatisch, als rutsche er auf Knien vor Hingabe. Nie war er so verliebt, "Never". Nat King Cole fällt als Vergleich ein. Die Songs variieren in Tempo, Arrangement und Stimmhöhe. "Ain't Goin' Up In One Of Those Things" rockt in manischer Little Richard-Manier.
Während manches dem Easy Listening zuzuordnen ist ("Missing In Action"), und das Bass-Schlagzeug-Zusammenspiel ein bisschen dem Swing-Jazz entlehnt klingt, wirft sich der Sänger aus Colchester in "Brother Or Other" mit der ganzen Kraft des (Motown)-Souls ins Gefecht. "Brother Or Other", ein Plädoyer für Hilfsbereitschaft mit röhrendem Groove, darf als der Ohrwurm des Albums gelten. The James Hunter Six haben Aufmerksamkeit für ihre authentische Pflege des spannenden Kulturerbes der Swinging Fourties, Roaring Fifties und Golden Sixties definitiv verdient.
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